Das Wolfspferd wandte sich wieder ab. Es schnappte nach Aslas Bauch! »Vahelmin ist dein Name!« Der Vorhang glitt durch Gundars Finger. Er brach in die Knie. »Mein Licht musst du rauben, wenn du wieder sein willst, was du einst warst. Erinnere dich! Vahelmin ist dein Name!«, keuchte der Priester mit seinem letzten Atem.
Ulric drängte an ihm vorbei. Er hielt den Elfendolch mit beiden Händen umklammert und humpelte in die Stube. Das Wolfspferd drehte sich um. Mit einem Satz durchmaß es den Raum. Sein Leib glitt durch den Jungen hindurch, der zu Boden stürzte. Gundar breitete die Arme aus. Er blickte in den weit klaffenden Kiefer der Bestie. Dolchlange Zähne fuhren in seine Brust. Das eiserne Band um sein Herz zersprang. Kälte durchdrang ihn. Seine Barthaare knisterten. Blaues Licht umgab ihn. Ein seltsamer Geruch, wie nach einem Gewitter, war in der Luft. Das blaue Licht war jetzt verschwunden. Der Geist auch.
Gundar blickte zur Decke der Stiefelkammer. Er musste nach hinten gestürzt sein, aber er konnte sich nicht erinnern, wie er auf den Boden geschlagen war.
Aslas Gesicht schob sich über ihn. Sie war wirklich eine schöne Frau ... Der Priester fühlte keine Erschöpfung mehr. Jetzt war auch die Elfe bei ihm. Wenn er ja ein wenig jünger wäre ... Sie öffnete sein Wams! Jemand schob ihm eine Decke unter den Nacken. Sein Kopf kippte nach hinten. Jetzt konnte er die Elfe nicht mehr sehen. Nein ... plötzlich war sie wieder über ihm. Ihre Lippen berührten einander. Das hätte er sich niemals träumen lassen, von einer Elfe geküsst zu werden! Sie wollte sich sicher dafür bedanken, dass er ihre Königin gerettet hatte. Das verfluchte Wolfspferd hätte sicher alle im Langhaus umgebracht.
»Was ist denn das?« Das war Aslas Stimme, dachte Gundar.
»Er hat ein rostiges Kettenhemd an. Los, hilf mir, Erek. Wir müssen es ausziehen.« Die Elfe beugte sich wieder dicht über ihn hinab. Sie hielt eine Wange an seinen Mund. Dann richtete sie sich ein wenig auf und sah ihn mit ihren wunderbaren dunklen Augen an.
»Er atmet nicht mehr.« Die Elfe sprach die Worte in einem lieblichen Singsang. Gundar wollte schmunzeln, doch er war zu müde. Was für schöne Augen! Und die Pupillen. Schwarz wie Holzkohle. Sie schienen ihn aufsaugen zu wollen. Ja ... Es wurde schwarz. Fiel er? Nein. Da war ein Licht. Ein Langhaus, ganz aus Gold. Was für eine prächtige Halle! Die großen Flügeltore standen weit offen. Gundar hörte das fröhliche Lärmen einer Festgesellschaft. Und der Geruch von Braten stieg ihm in die Nase. Wasser lief ihm im Munde zusammen. Er hatte viel zu lange schon nicht mehr vernünftig gegessen!
Es würde gut sein, an der Tafel Platz zu nehmen, zu essen und dann ein wenig auszuruhen.
Das gebändigte Feuer
Landoran hatte ihn durch den steinernen Wald zurück zur Treppe geführt. Der Fürst hätte die Halle des Feuers wohl gerne noch weiter hinter sich gelassen, doch am Treppenabsatz blieb Ollowain stehen.
»Genug!« Bis hierher hatten sie keine Worte gewechselt. Was mit beredtem Schweigen begonnen hatte und mit dem Gefühl, dass sein Vater tatsächlich sein Bestes wollte, als er ihn von den Zauberern fortführte, wuchs sich langsam zu der beklemmenden Stille aus, die seit dem rätselhaften Tod seiner Mutter zwischen ihnen herrschte. »Was geschieht dort in der Halle des Feuers?«
Landoran wirkte noch erschöpfter als sonst. Er ließ sich auf einer steinernen Bank nieder, lehnte sich mit dem Rücken an die Felswand und verschränkte seine Arme vor der Brust. »Was glaubst du, warum du dich in deiner Kindheit in den Felsenburgen von Carandamon nie mit einem Zauber vor der Kälte schützen musstest? Tief unter dem Eis liegt flüssiges Feuer. Und solange unser Volk in diesem Land des ewigen Eises lebt, nutzen wir die Kraft des verborgenen Feuers. Wir erschaffen Geysire und fangen das kochende Wasser in einem Netz von Röhren auf, das hinter den Felswänden verborgen liegt. Und in den großen Hallen haben wir Pfeiler oder ausgehöhlte Säulen errichtet. Die Wärme aus dem Innern der Erde strahlt so bis in den letzten Winkel unserer Felsenburgen. Doch das Spiel mit dem Feuer hat seine Tücken. Es ist ein wenig wie das Zusammenleben mit einer Katze. Sie schenkt dir behagliche Augenblicke, ja manchmal wiegt sie dich sogar in dem trügerischen Gefühl, dass du sie verstehst und ihr Handeln vorausahnen kannst. Und dann, wenn du dich ihrer sicher fühlst, beißt sie dich plötzlich, oder sie schlägt ihre Krallen in dein Fleisch, ohne dass du zu begreifen vermagst, warum sie das getan hat. So ist es auch mit dem Feuer im Herzen der Erde. Jahrhundertelang hat es uns gewärmt. Nun will es uns verbrennen.«
»Ich weiß besser als die meisten unseres Volkes, was es heißt zu frieren!«, entgegnete Ollowain gereizt. »Und ich wusste schon als Kind, woher die Wärme in den Wänden der Felsenburgen von Carandamon kommt! Mir musst du das nicht erzählen, Vater! Ich habe hier auch einmal gelebt. Was ist hier in Phylangan anders? Die Halle des Feuers, so etwas gibt es doch in keiner anderen Felsenburg.«
»Der Steinerne Garten ist Teil eines alten Vulkans. Tief unter unseren Füßen gibt es eine große Höhle voll flüssigem Fels. Sie steht unter Druck, und die Lava drängt in einem verschütteten Schlot nach oben.« Landoran seufzte müde. »Der ganze Berg ist mit einem Netzwerk von Rissen und Spalten durchzogen. Ganz abgesehen von den Röhren, die wir in den Fels getrieben haben, um die Wärme der Tiefe zu nutzen. Nun steigen dort Gase auf. Kochendes Wasser schießt aus den Pfeilern in der Himmelshalle, und Schwefel ist in den See dort aufgestiegen, um alles Leben zu vergiften. Doch all dies ist nur das Vorspiel. Unter unseren Füßen baut sich eine Kraft auf, die den ganzen Berg zerreißen könnte.«
Der Schwertmeister hörte seinem Vater mit wachsendem Entsetzen zu. Diese Neuigkeiten übertrafen seine schlimmsten Erwartungen. Die müde Ruhe seines Vaters reizte ihn bis aufs Blut. Wie konnte er nur dort sitzen, erschöpft, doch offensichtlich selbstzufrieden? Man musste Phylangan verlassen, solange noch Zeit dazu blieb! »Wann werden wir damit beginnen, die Truppen über den Himmelshafen auszuschiffen?«
»Du willst aufgeben?« Landoran blickte fassungslos zu ihm auf. »Die prächtigste aller Felsenburgen der Vernichtung überlassen? Zweimal schon waren wir in ähnlicher Lage und mussten gegen das Feuer ankämpfen. Wir haben es jedes Mal geschafft. Wir werden die Gefahr auch diesmal überstehen!«
»So wie jener Magier, der in Flammen aufging.«
»Man muss Opfer bringen«, entgegnete der Fürst kühl. »Das sollte dir als Krieger doch wohl nicht fremd sein. Oder hast du noch nie Truppen in einer Schlacht in den sicheren Tod geschickt, um dir Zeit zu erkaufen und letztlich einen glorreichen Sieg zu erringen?«
Ollowain fragte sich, wie viel sein Vater wohl über ihn wusste. Diese Frage war kein Zufall! »Zumindest würde ich einen solchen Sieg nicht glorreich nennen.«
»Erzähl mir nichts, Junge! Wenn du wirklich so denken würdest, dann hättest du dich niemals mit Leib und Seele der Kriegskunst verschrieben. Wer Heere in Schlachten führt, der weiß um den Preis des Sieges. Der Magier, der dort unten verbrannte, hieß Taenor. Er war nur mäßig begabt. Wie wir sehen konnten, ist er nicht ins Mondlicht gegangen. Er wird also wiedergeboren werden. Vielleicht in einen Leib, in dem er größere Kräfte entfalten kann. Was bedeutet solch ein Tod anderes als das Geschenk des Neuanfangs?«
»Und was geschieht mit den Kobolden, den Kentauren oder den Menschen? Sie alle dürfen nicht auf ein neues Leben hoffen. Sie sind dein Einsatz im Spiel mit dem Feuer. Wie kannst du das tun?«
Landoran lächelte verächtlich. »Ich habe niemanden gezwungen, hier für uns zu kämpfen. Sie sind gekommen, und ich nehme ihre Hilfe dankbar an. Ja, ich gestehe sogar, ich bin auf sie angewiesen, denn unser Volk hätte nicht die Kraft, gleichzeitig hier unten und auf den Mauern zu kämpfen.«
»Du musst ihnen die Wahrheit sagen!«, beharrte Ollowain.