Wütend riss sich Orgrim von dem Anblick los. Die Elfen würden büßen! Wie Würmer würde er sie unter seinen Füßen zertreten.
Signalhörner erklangen. Der Tanz begann. »Bemannt die Deichseln!«, befahl der Rudelführer und überließ einem jungen Krieger seinen Platz. Der polierte Stein der Brücke war tückisch glatt. Es gab kein Geländer an den Seiten der Mandan Falah. So einen Unsinn konnten sich nur Elfen einfallen lassen! Orgrim balancierte am Abgrund entlang. Ihre hölzerne Schutzwand ragte rechts und links ein gutes Stück über die Brücke hinaus. Der Rudelführer löste einen Sperrriegel. Knirschend klappte ein großer Holzschild herunter, vorbei am Rand der Brücke. Auf der anderen Seite löste Brud einen zweiten Schild.
Ein Pfeil stieß fast senkrecht aus dem Himmel herab und schlug dicht neben Orgrim auf den Brückenweg. Die Holzwand schützte sie gegen jeden direkten Beschuss vom Turm am Ende der Brücke. Man konnte seine Krieger nur noch treffen, wenn man steil zur Höhlendecke schoss, so dass die Pfeile in ebenso steiler Bahn herabstürzten, sobald sie den Scheitelpunkt ihres Fluges überschritten. Doch auch darauf war der Rudelführer vorbereitet.
»Schildträger an die Deichseln!«, befahl er ruhig. »Schützt eure Kameraden.« Krieger mit langen Holzschilden stürmten vor. Sie hoben die Schilde über ihre Köpfe und deckten so auch die Krieger an den Deichseln. Orgrim eilte zur Mitte der Holzwand zurück.
Mit dumpfem Pochen bohrten sich Pfeile in die Schilde. Er blickte die Brücke entlang und lächelte. Er hatte auf der Mandan Falah noch keinen einzigen Krieger verloren! Die Kämpfer der ersten Angriffswelle waren nun vollständig auf der Brücke versammelt. Skanga winkte ihm kurz zu, dann verschwand sie durch das Tor aus Licht. Bald würde Boltan mit den übrigen Kämpfern erscheinen. Es galt, keine Zeit zu verlieren.
Orgrim öffnete eine kleine Luke in der Holzwand und spähte zu dem Turm, der sich am Ende der Brücke erhob. Hinter den Zinnen sah er die silbern funkelnden Helme der Elfen. Sie schickten Pfeilschwarm auf Pfeilschwarm der Höhlendecke entgegen. Doch was sich hinter der hohen Holzwand tat, konnten sie nicht sehen.
Der Rudelführer schätzte die Entfernung zum Tor. Er durfte nicht zu weit vorrücken! Der Albenstern, durch den bald Verstärkung kommen würde, sollte unbedingt im toten Winkel der Bogenschützen liegen. Orgrim blickte zurück. Sie waren mit der Holzwand etwa zehn Mannlängen vorgerückt. Das musste genügen! »Halt!«, befahl er. »Setzt die Deichseln ab!«
Der Rudelführer ließ den Ziegenledersack von seinen Schultern gleiten. Leise klirrten die Eisenstangen. Orgrim befand sich jetzt auf einer Höhe mit einem der riesigen Brückenpfeiler. Das war der beste Platz! Der Rudelführer kniete nieder. Was nun folgte, hatte er dutzendfach mit seinen Kriegern geübt.
»Stangenträger! Auf die Plätze!«
Drei Krieger lösten sich aus der Gruppe der Trolle und knieten dicht bei Orgrim nieder.
Der Rudelführer wickelte sich dicke Lederstreifen um seine Hände. Dann griff er in den Sack und holte die erste Eisenstange daraus hervor. An einem Ende lief sie spitz wie ein Dorn zu. Die Kobolde hatten versichert, dass diese Spitzen auf besondere Weise gehärtet waren. Würde es genügen?
»Hammerträger zu mir! Schildträger, gebt uns Deckung!« Gran trat an Orgrims Seite. Der hünenhafte Troll zog einen schweren Kriegshammer aus seinem Gürtel und wog ihn prüfend in der Hand. Weitere Krieger gesellten sich zu ihnen, bis neben jedem Knienden zwei Trolle mit Hämmern standen.
Mit schabendem Geräusch schlossen sich die Schilde über ihren Köpfen zu einem hölzernen Schutzdach. Orgrim hielt seine Eisenstange mit beiden Händen. Vorsichtig setzte er die Spitze auf den polierten Stein. Jetzt schlug die Stunde der Wahrheit! Wenn es nicht gelang, die Eisenstangen in die Brücke zu schlagen, dann würde ihr Angriff scheitern.
Ein Schrei ließ Orgrim aufblicken. Einer seiner Krieger war gestürzt. Aus seinem Bein ragte ein schwarz gefiederter Pfeil. Dicht wie Hagelschlag prasselten die Geschosse auf das Schutzdach aus verschränkten Schilden. Einzelne Glückstreffer würde es immer geben.
Der Rudelführer blickte zu Gran auf. »Fangt an! Und wenn du mir die Finger einschlägst, dann lass ich dich von der Brücke werfen!«
Der Hüne grinste. »Du brauchst deine Hände noch. Vielleicht schaffst du es ja heute endlich einmal, fast so viele Elfen zu erschlagen wie ich. Die ganze Schlacht wäre mir verdorben, wenn du nicht kämpfen könntest.«
»Rede nicht. Schlag zu!«, schnauzte Orgrim.
Klirrend traf der schwere Steinkopf des Hammers auf die Stange. Das Eisen vibrierte zwischen Orgrims Fingern. Gran und der andere Krieger fanden schnell in einen Rhythmus. Abwechselnd schlugen sie auf das Ende der Stange ein. Die Spitze der Eisenstange fand keinen Halt auf dem polierten Brückenpflaster. Wieder und wieder sausten die Hämmer nieder. Orgrims Arme schmerzten. Seine Finger waren ganz taub geworden, so fest hielt er die Stange gepackt.
Dann endlich sah er ein winziges Stück Stein wegsplittern.
»Halt!« befahl er und setzte die Spitze der Eisenstange in den feinen Riss im Pflaster. »Macht weiter!«
Wieder nahmen die Hämmer ihren Rhythmus auf. Aus den Augenwinkeln sah Orgrim, wie sich eine der anderen Stangen bereits langsam in den Stein der Brücke bohrte. Es würde gelingen!
Unendlich langsam ging die Arbeit voran. Die Elfen hatten aufgegeben, auf sie zu schießen. Vielleicht würden sie einen Ausfall aus dem Turm wagen, um die hölzerne Schutzwand von der Brücke zu stoßen? »Bemannt die Deichseln wieder!«, befahl Orgrim, ohne seinen Blick von der Eisenstange zu wenden. Solange seine Krieger gegenhielten, würden die schwächlichen Elflein niemals die Holzwand bewegen können. Orgrim konnte die Stange loslassen. Sie war mehr als eine Handbreit in den Fels getrieben. Tief genug, um die Last zu tragen? Der Rudelführer blickte zum Albenstern. Wie lange würde es noch dauern, bis Boltan die ersten Krieger hierher schickte? Schon jetzt war das kurze Brückenstück überfüllt, das sie besetzt hielten.
»Halt!« Die Hämmer verharrten in der Luft. Orgrim packte die Eisenstange und stemmte sich mit all seiner Kraft dagegen. Sie bewegte sich nicht.
»Lass mich einmal!« Gran kniete nieder. Er verzog das Gesicht, als seine nackten Finger das Eisen umschlossen. Die Muskeln seiner mächtigen Arme spannten sich. Nichts! Die Stange rührte sich nicht.
»Ich würde mich dranhängen«, sagte der Hüne ernst.
»Die Seile!«, befahl Orgrim.
Dicke Taurollen wurden neben ihm auf das Pflaster geworfen. Die Seile waren aus miteinander verflochtenen Lederriemen gefertigt. Sie lagen gut in der Hand. In ihre Enden waren Schlingen geknüpft. Der Rudelführer legte eine der Schlingen über die Eisenstange im Pflaster. Er blickte zu Gran auf. »Nur vier Seile je Stange! Und achte darauf, dass nie mehr als zwei Krieger auf einmal an einem Seil hängen. Mehr tragen sie nicht! Wirf die Seile rechts und links über die Brücke, damit wir uns beim Abstieg nicht gegenseitig behindern.«
Gran spähte in die Tiefe. »Lass mich zuerst gehen. Unten könnte es gefährlich sein. Man kann sich nicht wehren, wenn man am Seil hängt.«
»Deshalb gehe ich zuerst. Gute Aussichten für dich, an meiner Stelle Herzog zu werden, wenn mir etwas passiert.« Der Rudelführer schob seinen Kriegshammer in eine Lederschlinge auf dem Rücken, damit er ihn beim Abstieg nicht behinderte.
Der Hüne grinste schief. »Eigentlich hast du Recht. Geh ruhig zuerst.« Orgrim schlang sich das Seil einmal um die Hüften, dann ließ er sich rückwärts von der Brücke gleiten. Die Seitenklappen der Holzwand schützten ihn vor Beschuss. Er stemmte sich mit den Füßen gegen den Brückenpfeiler. Noch immer hatte er die Lederlappen um die Hände gewickelt. Sich am glatten Mauerwerk abstoßend, glitt er in weiten Hüpfern in die Tiefe. Dichter Nebel zog unter ihm über die Hänge der Himmelshalle. Es war unerträglich heiß hier. Schlimmer als in den Sümpfen bei Vahan Calyd, dachte Orgrim. Aber von dort waren die Normirga ja hierher zurückgekehrt. Vielleicht hatte es ihnen in den Mangroven gefallen? Wer wusste schon, was in Elfenköpfen vor sich ging.