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Endlich erreichte er den verborgenen Winkel. Die Tür war verschwunden! Aus dem Fels gebrochen!

Der Troll hatte ihn fast erreicht. Behutsam legte Ollowain Lyndwyn auf eine breite Bank, die aus dem Fels geschlagen war, und bettete ihr Haupt auf staubbedeckte Seidenkissen. Dann wandte er sich um und zog sein Schwert.

Auch der Troll wirkte erschöpft. Aus rot entzündeten Augen blickte er Ollowain an. »Verfluchte Elfen! Ihr konntet ihn uns nicht lassen! Lieber vernichtet ihr den Königsstein, als ihn an uns zu verlieren.« Mit einem weit ausholenden Axthieb griff er an.

Der Schwertmeister wollte den Hieb unterlaufen, doch der Troll wechselte im letzten Augenblick seine Schlagrichtung. Das breite Blatt seiner Steinaxt verfehlte knapp Ollowains Schulter. Der Elf rutschte auf Geröll aus. Halb strauchelnd sprang er außer Reichweite seines Gegners.

»Dann verreckt eben dein Weibchen zuerst«, murrte der Troll und stapfte zur Steinbank hinüber.

Ollowain wollte schreien, doch aus seiner wunden Kehle drang nur noch ein Krächzen. Er sprang vor. Sein Schwert schrammte über den Arm des Trolls.

»Lästiges Männlein.«

Der Ellbogen des Trolls traf Ollowain gegen die Brust. Er wurde von den Beinen gerissen und schlug hart gegen einen Felsen.

Sein Gegner setzte sofort nach. Benommen warf der Schwertmeister sich zur Seite. Zu langsam! Diesmal traf die Axt seine Schulter! Sein Kettenhemd zerriss. Er spürte Knochen splittern. Es flimmerte vor seinen Augen. Der Troll beugte sich hinab und wollte ihn aufheben. Ollowains Schwertarm schnellte hoch.

Hastig richtete sich sein Gegner auf, um der Klinge zu entgehen. Es knirschte. Zu erschöpft, um noch einmal anzugreifen, erwartete der Schwertmeister den Todesstoß.

Der Troll rührte sich nicht mehr. Blut sprudelte unter seinem Kinn hervor.

Ollowain blinzelte. Hat der Berg dich doch noch besiegt, dachte er. Die Spitze eines Stalaktiten ragte aus dem Kinn des Trolls. Der steinerne Dorn hatte ihm den Schädel durchbohrt, als er aufgesprungen war.

Der Elfenfürst schleppte sich zu Lyndwyn. Noch immer lag sie in Trance. Ollowains linker Arm hing schlaff und gefühllos herab. Dunkel strömte das Blut aus der tiefen Wunde.

Stöhnend riss er einen breiten Streifen Stoff von seinem zerfetzten Waffenrock und stopfte ihn in die Wunde. Er schob sein Schwert in den Gürtel und zog Lyndwyn hoch. Nur ein paar Schritte noch!

Ein gewaltiger Stoß ließ den Berg erzittern. Stalaktiten brachen aus der Höhlendecke und prasselten zu Boden. Der tote Troll rutschte vom steinernen Dorn.

Ollowain trat über die Türschwelle, die ihm immer verboten gewesen war. Wer sie überschritt, war jenseits der Jugend. Blinzelnd sah er sich in der engen Felskammer um, die er nur aus Erzählungen kannte. Zwei Schlitten mit weit hochgebogenen Kufen standen auf dem Boden vor einer runden Tunnelmündung. Hierher brachte man in festlichem Zug jene, die auf die letzte Probe gestellt wurden.

Ollowain hob Lyndwyn vor sich auf den Schlitten. Dann stieß er sich mit den Füßen ab. Stahl knirschte auf Fels. Der Schlitten neigte sich in den Tunnel hinab.

Der Schwertmeister hob die Füße und verkantete sie hinter den Kufen. In rasender Fahrt schossen sie den Tunnel hinab einem schnell größer werdenden Lichtfleck entgegen. Dann waren sie umgeben von gleißender Helligkeit. Der Schlitten tat einen Satz und schlug hart auf einem steilen Eisfeld auf.

Wind brannte auf Ollowains Wangen. Er konnte kaum noch etwas sehen. Verzweifelt umklammerte er Lyndwyn und versuchte den Schlitten zu steuern. Alle tückischen Felsen waren aus diesem Bereich des Berghangs entfernt, das wusste der Schwertmeister. Er musste den Schlitten nur auf Kurs halten. Wenn sie ungefähr geradeaus fuhren, würden sie viele Meilen weit ins offene Land hinausgetragen. Mit dieser Schlittenfahrt begann die Eisprobe. Jugendliche, denen man zutraute, dass ihre Zauberkraft reichte, um sich vor dem Frost zu schützen und den Elementen zu trotzen, begannen hier ihre Reise. Und wenn sie es aus eigener Kraft über Gletscher und Abgründe hinweg bis zum Himmelshafen auf der anderen Seite des Berges schafften, dann galten sie unter den Normirga fortan als Erwachsene. Ollowain sank das Kinn auf die Brust. Lyndwyns Haar peitschte ihm ins Gesicht. Es roch nach Steinstaub. Vor seinen Augen verschwamm der gleißend helle Hang. Dann waren da nur noch Licht, das Mahlen der Kufen und der Gesang des Windes über den Klippen.

Unter dem Aschebaum

Sie tanzte im warmen Wind. Weit unter ihr waren Flammen, die verloschen, wenn ihr Blick sie traf. Stimmen raunten in ihrem Kopf. Sie flüsterten ihr zu, die Flammen zu ersticken. Doch so sehr sie sich auch mühte, das Feuer blieb, ja, es gewann an Kraft. Jetzt schlug es höher. Ihr Kleid brannte. Jemand riss es ihr vom Leib. Eine schattenhafte Gestalt. Starke Arme umschlangen sie. Das Feuer rückte in weite Ferne. Kalter Atem streichelte ihre Wangen.

Lyndwyn blinzelte. Sie lag im Schnee. Etwas Bedrohliches war ganz nah. Sie wagte kaum zu atmen. Wie war sie hierher gekommen? Sie erinnerte sich an die Halle des Feuers, den Chor der Zauberweber ... Und an jene eine Nacht mit Ollowain.

Etwas Durchscheinendes huschte vorüber. Schnüffelnd, gierig. Lyndwyn spürte den Albenstein auf ihrer Brust. Nichts konnte sie besiegen. Sie streckte sich und richtete sich dann auf. Schnee fiel von ihrem Kleid. Sie lag an einem Berghang. Dicht neben ihr ragte eine Schlittenkufe aus einer Schneewehe.

Die Zauberweberin blickte auf, als sie des fernen Grollens gewahr wurde. Sie lag am Fuß eines Berges. Meilen entfernt erhob sich eine riesige, dunkelgraue Rauchsäule. Ihre Spitze war aufgefächert wie eine Baumkrone. Der Wind zerrte den Rauch nach Westen. Dunkelrotes Glühen flackerte entlang der Unterseite der Rauchwolke. Einzelne Funken stiegen durch den Rauch, um in weitem Bogen aus dem Himmel hinabzustürzen. Dort, wo sie auf den Berghang fielen, schoss heller Wasserdampf empor. Weiter oben am Berg war der Schnee unter grauer Asche verschwunden. Der Gipfel hatte sich verändert. Er wirkte breiter. Der Schnee war dort völlig verschwunden. Lyndwyn sah einen roten Strom, der sich den Südhang hinabwälzte. Mehrmals spürte die Magierin den Boden unter den Füßen erbeben.

Sie erinnerte sich an den Chor. Und sie fühlte, dass all ihre Sänger verstummt waren, für immer.

Wie kam sie hierher? Sie sah sich um. Weiter unten am Hang lag eine zusammengekrümmte Gestalt, halb im Schnee begraben. Ein wenig wackelig auf den Beinen, stieg sie hinab. Ihre Knie schmerzten bei jedem Schritt. Das lange blonde Haar ... Der weiße Waffenrock! Lyndwyn begann zu laufen, strauchelte schon nach wenigen Schritten im tiefen Schnee, raffte sich auf und versuchte es erneut. Es war Ollowain! Er war sie holen gekommen!

Mit zitternden Händen umfasste sie sein Gesicht. Seine Wangen waren wie Eis! Eine tiefe Wunde klaffte in seiner Schulter. Die Zauberweberin legte eine Hand auf seine Stirn. Sie schloss die Augen und fühlte seinen Leib. Sein Herz schlug schwach, aber regelmäßig. Er hatte sehr viel Blut verloren. Das Schlüsselbein links vom Hals war zersplittert, sein Schulterblatt eingekerbt. Auch eine Rippe war gespalten.

Sie schenkte ihrem Liebsten Wärme. Mehr, als es das Amulett an seinem Hals vermochte. Dann griff sie nach der Macht des Albensteins. Kraft ihrer Gedanken heilte sie die Knochen und ließ zerfetzte Muskelstränge wieder zusammenwachsen. Nur das viele Blut, das er verloren hatte, konnte sie nicht ersetzen.

Sein Herzschlag war stärker geworden. Er lag in tiefem Schlaf. Lyndwyn bettete sein Haupt auf ihren Schoß. »Es ist doch immer wieder ergreifend, zum Zeugen junger Liebe zu werden.«

Die Zauberweberin fuhr auf. Die Stimme war in ihrem Kopf!

»Ich bin es, Shahondin. Hab keine Angst, meine Enkelin!«

»Wo bist du?« Lyndwyn sah sich verwundert um. Außer ihr und Ollowain war niemand auf dem weiten Berghang zu sehen.

»Bitte versprich mir, dich nicht zu erschrecken.« Die Stimme klang nun unendlich traurig. »Die Trolle haben mich gefangen. Und sie haben mir Schreckliches angetan, mein Mädchen. Ich bin nicht mehr der, den du kanntest.«