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Ollowain war es ein Rätsel, wer freiwillig nach der Bürde der Macht streben mochte. Bei Hof gab es Gerüchte über eine heimliche Fehde zwischen der Königin und dem Fürsten von Arkadien. Man munkelte, der Tod seines Vaters sei kein Unfall gewesen. Die Spitzel der Königin berichteten, dass man in der Fürstenfamilie glaubte, Farodin, der Verbannte, habe in Emerelles Auftrag einen Mord begangen. Das war absurd! Wer Farodin kannte, konnte über solche Behauptungen nur lachen. Und dennoch ließ Ollowain die Atem der See, das Flaggschiff Shahondins, des Fürsten von Arkadien, besonders scharf beobachten.

Womöglich ging es bei den Anschlägen auf Emerelle gar nicht um den Thron, sondern lediglich um Rache? So gesehen war es eine kluge Wahl, die Blutfehde während des Festes zu vollenden. Man würde immer denjenigen verdächtigen, der anschließend nach der Macht griff.

Ollowain durchmaß eiligen Schrittes einen gemauerten Tunnel. Blaues Licht sickerte aus den Deckensteinen. Die feinen Härchen im Nacken des Kriegers richteten sich auf. Die Luft prickelte vor magischer Kraft. Tausende Zauber wurden in diesem Augenblick gesprochen. Jedes Geschlecht der Albenkinder, das die Macht geerbt hatte, wirkte in dieser Stunde Magie. Es war ein jahrhundertealter Wettstreit unter den Zauberern, sich in dieser Nacht gegenseitig zu überbieten. Ollowain dachte mit Schrecken an die ungezählten Möglichkeiten, die ein begabter Magier hatte, wenn er einen Anschlag auf die Königin verüben wollte. Vor dreihundert Jahren war sein Onkel unter Qualen gestorben, weil eine enttäuschte Geliebte mit einem Fingerschnippen einen Schwarm Ratten in seinen Magen gehext hatte. Ein Wort der Macht mochte reichen, um Emerelle durch ihre eigenen Gewänder erdrosseln zu lassen oder den Wein in ihrem Pokal in Säure zu verwandeln. Immer wieder hatte Ollowain auf Emerelle eingeredet, eine Zauberin in ihr Vertrauen zu ziehen. Die Königin brauchte jemanden um sich, der keine andere Aufgabe hatte, als sie vor einem magischen Angriff zu beschützen. Doch die Herrscherin hatte sich in dieser Hinsicht als erschreckend uneinsichtig erwiesen. Gewiss, sie war die bedeutendste Zauberweberin Albenmarks. Wahrscheinlich kam ihr niemand an Macht gleich. Und deshalb beharrte sie darauf, sich selbst zu schützen. Doch auf dem Fest würde Emerelle durch tausend andere Dinge abgelenkt sein, und ein Zauber konnte in Gedankenschnelle töten.

Erst am Mittag hatte Ollowain noch mit Emerelle darüber gestritten, dass sie zusätzlichen Schutz brauchte. Doch die Königin hatte ihn lediglich kühl darauf hingewiesen, dass bei den fehlgeschlagenen Attentaten auch keine Magie im Spiel gewesen war. Vor drei Tagen hatten sie einen vergifteten Dorn im Polster von Emerelles Thronsessel gefunden. Das Gift hatte einen Kobold getötet, der das Polster ausgeklopft hatte. Nur Augenblicke später hätte sich die Königin auf dem Thron niedergelassen. Und dann gab es den Marmorblock, der dicht neben Emerelle auf den Magnolienhof gestürzt war. Es hatte sich gezeigt, dass der Mörtel, der den Stein gehalten hatte, keineswegs mürbe geworden war. Ein Stück der Terrassenmauer war mit einer Brechstange gelockert worden. Jemand hatte dort oben darauf gewartet, dass die Königin den Hof überquerte.

Ollowain würde seine linke Hand dafür geben, wenn er wüsste, was der Mörder als Nächstes plante. Bisher hatte der Attentäter immer Abstand zur Königin gehalten. Deshalb vermutete Ollowain, dass der nächste Mordanschlag mit Pfeil und Bogen durchgeführt wurde. Aber was war, wenn der Mörder in Panik geriet? Emerelle würde schon in wenigen Tagen abreisen. Die Zeit lief dem Meuchler davon. Wie fanatisch war er? Wenn er sein Leben gegen das der Königin zu setzen bereit war, dann konnte man ihn kaum aufhalten. Während des Festes würden hunderte Gäste in Emerelles Nähe sein. Der Mörder mochte einen Dolchstoß nach der Kehle der Königin führen. Oder würde er vielleicht doch versuchen, Magie anzuwenden? Waren die beiden missglückten Attentate vielleicht Teil eines heimtückischen Plans? War der Meuchler in Wahrheit ein Magier? In dieser Nacht der tausend Zauber würde das Weben verderbter Magie wohl unbemerkt bleiben, bis sie ihre unselige Macht entfaltete.

Ollowain musste an seine Mutter denken. Während eines Festmahls in der Himmelshalle von Phylangan hatte sie plötzlich das Glas in ihrer Hand zerbrochen, einen Blütenkelch aus rotem Bergkristall. Er hatte ihr gegenüber gesessen. Sieben Jahre war er alt gewesen. Er erinnerte sich noch an das Blut auf dem weißen Kleid seiner Mutter und an ihren Blick. Ihre wunderschönen grünen Augen, voller Angst. Und dann hatte sie sich den langen Stängel des Kristallglases durchs Auge tief in den Schädel gestoßen. Es konnte nie geklärt werden, ob sie unter einem Zauberbann gestanden und ob ein fremder Wille sie zu dieser Bluttat gezwungen hatte. Manche sagten, sie habe sich auf diese grässliche Weise das Leben genommen, um Landoran, seinen kaltherzigen Vater, zu bestrafen. Doch Ollowain hatte das nie geglaubt. Sie hätte ihn nicht allein zurückgelassen. Niemals! Sie war ermordet worden.

Der Schwertmeister blickte auf. Vom Ende des langen Tunnels her erklang Hufgetrappel. Fackellicht warf tanzende Schatten auf die Eingangswände. Kentauren. Die Ehrengarde war also schon eingetroffen. Ollowain hoffte, dass keiner von ihnen betrunken war. Es war ihm ein Rätsel, warum Emerelle ausgerechnet Kentauren dazu auserkoren hatte, sie vom Palast zur Prunk-Liburne zu geleiten. Manchmal erschien es ihm, als habe die Königin eine heimliche Vorliebe für Geschöpfe, die sich buchstäblich einen Dreck um die Hofetikette scherten. So hatte sie auch diesen raubeinigen Menschensohn gemocht, der vor so vielen Jahren über die Shalyn Falah nach Albenmark gekommen war. Mandred, den Unbeugsamen, so nannten ihn die Höflinge spöttisch und spielten darauf an, dass er die Königin gleich bei ihrer ersten Begegnung beleidigt hatte, indem er sich nicht verbeugt hatte, um Emerelle die ihr gebührende Ehre zu erweisen. Mehr als dreißig Jahre waren seitdem verstrichen, doch die Erinnerung an den Fjordländer war noch immer lebendig. Wohin er wohl gegangen sein mochte, als er sich mit seinen beiden Elfenfreunden gegen die Königin verschworen hatte? Die Spur der drei verlor sich im labyrinthischen Netz der Albenpfade.

Ollowain trat aus dem Tunnel und blickte auf den weiten Magnolienhof hinab. Er war das Herzstück des Palastes, und wurde beherrscht von Matha Murganleuk, einem Magnolienbaum, so alt, dass sein Stamm mächtig wie ein Turm geworden war. Hoch oben in seinem Geäst lagen Emerelles Gemächer. Es hieß, Matha Murganleuk habe von ihrem eigenen Holz gegeben, um der Königin einen Zufluchtsort für einsame Stunden zu schenken. Niemand durfte Emerelle dorthin folgen, nicht einmal ihre Zofen oder Kobolddiener. Es war der einzige Ort in Vahan Calyd, an dem die Königin allein sein konnte.

Doch jetzt wartete Emerelle in dem weißen Pavillon, der, eingebettet in das Wurzelwerk, an eine riesige, halb geöffnete Magnolienblüte erinnerte. Kobolde und winzige Auenfeen umringten die Herrscherin. Ein bocksbeiniger Faun reichte ihr ein gewundenes Trinkhorn. Emerelle nippte nur kurz an dem schweren, goldenen Gefäß. Dann sagte sie etwas zu dem Faun, und der bärtige Kerl brach in schallendes Gelächter aus. Die Kentauren, die sich etwas abseits um eine große Weinamphore versammelt hatten, blickten neugierig auf.

Ollowain fluchte stumm. Er kam spät! Sie alle warteten auf ihn. Und es war nicht gut, Kentauren warten zu lassen. Sie hatten die unheimliche Begabung, immer irgendwo Wein aufzutreiben. Manchmal hatte der Schwertmeister den Verdacht, dass der Umstand, länger als einen Tag nüchtern zu sein, unter dem Volk der Pferdemänner als ein Makel galt. Mit Schrecken stellte sich Ollowain vor, wie Emerelle von einer Horde grölender, angetrunkener Kentauren zur Prunk-Liburne eskortiert wurde. Er hätte sich nicht verspäten dürfen! Mit einem weiten Schritt nahm er die letzten drei Treppenstufen auf einmal und wäre fast in einen Haufen frischer Pferdeäpfel getreten, der halb verborgen zwischen den Wurzeln lag. Das war einer von vielen Gründen, warum er diese Barbaren nicht für hoffähig hielt!