Sklavenmädchen mit eisernen Halsringen eilten geschäftig durch die weite Halle. Die beiden Weiber, die den Bratspieß drehten, hatten bis auf einen Lendenschurz alle Kleider abgelegt. Mit teilnahmslosen Gesichtern ließen sie die Scherze der Betrunkenen über sich ergehen.
Alfadas‘ nasse Kleider begannen in der stickigen Hitze zu dampfen. Er öffnete die schwere Bronzefibel seines Umhangs und legte ihn sich über den Arm. Dann bahnte er sich einen Weg durch die Reihen der Zecher.
Eine vertraute Melodie drang leise durch den Lärm. Und eine Stimme sang: »Dort kommt der Jarl vom Firnenstayn mit seinem Elfenschwerte fein. Den Held aus vielen Schlachten die Götter zu uns brachten.«
Es wurde stiller in der Halle. Alfadas hasste solche Auftritte, auch wenn er wusste, dass Veleif, der Skalde des Königs, es gut meinte mit seinen Versen.
Horsa Starkschild erhob sich von seinem Sitz. Er war ein hoch gewachsener alter Mann. Trotz seiner grauen Haare war er noch immer eine kriegerische Erscheinung. Schon in seiner Jugend hatte er durch einen Pfeil ein Auge verloren. Er trug stets eine schwarze Augenbinde, die ihm gemeinsam mit seiner langen Nase und dem schmalen Gesicht etwas Düsteres, Raubvogelartiges gab. Selbst in der Festhalle war Horsa mit einem kurzen Kettenhemd gekleidet. An seinen Annen prangten breite Goldreifen.
»Mein Herz wird weit vor Freude, wenn ich dich sehe, Jarl Alfadas Mandredson. Selbst wenn du ausschaust wie ein junger Hund, den man gerade ertränken wollte.« Die Stimme des Königs war laut genug, um selbst Schlachtenlärm zu übertönen. Jeder im Saal hatte seine Worte hören können. Alle Gespräche verstummten.
Der König hob sein schweres, mit Goldbeschlägen verziertes Methorn und hielt es Alfadas entgegen. »Komm und trink, Junge. Das vertreibt die Kälte, und wenn man genug davon bekommen hat, dann hört man die Geister der Ahnen flüstern.«
In all den Jahren unter den Menschen hatte sich Alfadas nicht an diese raue Herzlichkeit gewöhnen können. Jedes Mal, wenn man ihn so empfing, wusste er nicht, was er sagen sollte, und ihm schoss das Blut in die Wangen wie einem Jüngling. Alfadas stieg auf das hölzerne Podest. Unfähig, schlagfertig zu antworten, nahm er einfach nur das Methorn und trank. Dabei ließ er einen guten Teil über seinen Bart rinnen. In dieser Nacht hieß es, einen klaren Kopf zu behalten.
Als er dem alten König das Horn zurückgab, lachte dieser.
»Du machst dich, Junge. Du machst dich! Als du zum ersten Mal an meiner Tafel gesessen hast, hast du getrunken wie ein kleines Kätzchen, das an einer Milchschale nippt.« Er stieß grob eine Sklavin zur Seite, die sich vorgebeugt hatte, um sein Methorn nachzufüllen. »Los, macht Platz an der Tafel. Der Junge soll zu meiner Rechten sitzen und mir von den Elfen erzählen, die ihren Hof in Firnstayn aufgeschlagen haben.«
Die übrigen Ehrengäste rückten zusammen, und ein weiterer Stuhl wurde herangebracht. Die meisten der Männer nickten Alfadas freundlich zu. Einige hatten allerdings schon genug getrunken, um ihre Eifersucht und ihren Hass nicht mehr verstecken zu können. Sie beneideten ihn darum, dass er schon mit so jungen Jahren das uneingeschränkte Vertrauen des Königs genoss und den Platz einnahm, auf den sie vielleicht heimlich gehofft hatten. Die Mehrheit jedoch schätzte ihn, denn seine Siege hatten Gold und Sklaven ins Fjordland gebracht und sie alle reicher gemacht.
Alfadas nahm Platz, wie es der König befohlen hatte. »Es ist nicht, wie man dir berichtet hat, Horsa. Emerelle ist nicht mit ihrem Hofstaat gekommen. Sie ...«
»Mein Bote hat einen Pferdemann gesehen«, unterbrach ihn Horsa. »Er hat auch gehört, dass die Königin in einer großen Schlacht verwundet wurde. Kämpfen bei den Elfen denn selbst die Weiber?«
Am Tisch des Königs waren alle anderen Gespräche verstummt. Auch in der großen Halle war es sehr still geworden. Alle versuchten, so viel wie möglich von Alfadas‘ Worten zu erhaschen. Vermutlich hatte jeder hier schon davon gehört, dass Elfen nach Firnstayn gekommen waren.
Der Jarl wollte seinen König nicht belügen, zugleich war ihm aber auch daran gelegen, so wenig wie möglich über die Albenkinder preiszugeben. Er konnte nicht noch mehr Schaulustige in Firnstayn gebrauchen. »Die Königin Emerelle ist tatsächlich verwundet. Ein heimtückischer Feind hat sie angegriffen, während die Elfen ein großes Fest feierten. Die Festgesellschaft wurde völlig überrascht und zerschlagen. Emerelle musste fliehen. Gewiss wird sie bald ein Heer aufstellen, um Rache für den feigen Überfall zu nehmen.«
Alfadas hatte die Ereignisse von Vahan Calyd absichtlich verzerrt und in einfache Worte gekleidet. Er wusste, dass Geschichten von Raubzügen und Blutrache allen in der Halle wohl vertraut waren. So konnte er sich lange Erklärungen sparen.
»Habt ihr das gehört, Kameraden?«, rief Horsa aufgebracht.
»Dies tapfere Weib ist das Opfer von Verrat geworden, und sie wendet sich an uns.« Der König richtete sich halb auf und stützte sich dabei mit den Fäusten auf der Tischplatte ab. Atemlose Stille herrschte in der Halle. »Seit der Jarl Mandred die Elfen um Hilfe bat, um den schrecklichen Manneber zu erschlagen, stehen wir in der Schuld des Volkes jenseits der Zaubertore. Sie haben uns ihre besten Krieger geschickt, um zu helfen, wo Menschenmut und Menschenschwerter versagten.« Er machte eine kurze Pause und ließ seinen Blick über die versammelten Männer schweifen. Plötzlich legte er eine Hand ans Ohr. Er runzelte die Stirn, und es schien, als lauschte er auf ein leises, weit entferntes Geräusch. »Hört ihr das?«, rief Horsa.
Es war so still, dass man die glühenden Scheite in der langen Feuergrube knistern hören konnte. Niemand in der Festhalle wagte auch nur zu atmen. Ganz leise vernahm Alfadas das Geräusch des Regens auf den Schindeln der Festhalle.
»Norgrimm hat in seiner goldenen Halle das Kriegshorn an seine Lippen gesetzt. Ich höre es rufen!«
»Ich kann es auch hören!«, rief einer der Männer im Festsaal.
»Ganz deutlich!«
Alfadas kannte den Mann. Es war Ragni, einer der Leibwächter des Königs. Jetzt riefen auch andere, dass sie das Kriegshorn des Gottes hörten. Was für ein törichter Haufen ... Er stutzte. Da war etwas. Es kam vom Fluss her. Leise. Der Wind verzerrte es. Ein Horn. Tief und feierlich erklang sein Rufen. Ein Schauder überlief Alfadas. Es gab keine Götter! Das konnte nicht sein!
Horsa streckte beide Arme weit ausgebreitet der Decke entgegen. »Wir hören dich, Norgrimm! Wir folgen deinem Ruf!«
»Wir folgen deinem Ruf!«, erklang es hundertfach in der Festhalle. Keiner saß mehr auf seinem Platz. Die Männer hatten Schwerter und Äxte ergriffen und schwenkten sie mit ausgestreckten Armen über den Köpfen. Auch die Ehrengäste rings um Horsa hatten sich erhoben. Alfadas gehörte zu den Letzten, die aufstanden. Er konnte nicht fassen, was hier geschah.
»Als die Elfen uns halfen, war ich noch ein junger Mann, mit einem Bärtchen zart wie Katzenfell. Aber ein Fjordländer vergisst keine Schuld!« Er hob erneut den Kopf, und es schien, als könne er durch die rußschwarzen Deckenbalken bis hinauf zum Sternenhimmel blicken. »Ich habe dich gehört, Norgrimm. Und von dieser Stunde an stehen die Männer des Fjordlands an der Seite der Elfen. Wer mit unseren Freunden im Kriege liegt, der muss auch unsere Klingen fürchten!« Nun zog Horsa sein Schwert und reckte es in die Höhe. »Norgrimm, wir hören dich!«, rief der alte König aus Leibeskräften. »Und wir folgen deinem Ruf, dich zu ehren, uns zum Ruhme!«
Horsa wandte sich abrupt um und blickte auf Alfadas. »Jarl von Firnstayn. Du bist der Mann, der unser Königreich stark gemacht hat. Wann immer ich dich rief, kamst du, mein Schwert zu sein. Ich entkleide dich des Jarltums! Sei von Stund an wieder mein Herzog, mein Heerführer, der Erste unter meinen Kriegern! Führe meine Männer nach Albenmark und raste nicht, bis auch der letzte Feind erschlagen ist. Erst wenn die Schwerter wieder Frieden haben, sei die Stunde gekommen, in der du aufs Neue ein Jarl sein kannst. Dann wollen wir uns hier wieder versammeln, um im Glanze dieser Halle deinen Sieg zu feiern.« Der König trat vor und küsste Alfadas auf die Stirn. Damit war seine Ernennung zum Herzog besiegelt.