Alfadas war wie gelähmt. Was hier geschah, war der blanke Wahnsinn! Aber er konnte dem König vor all den Gästen nicht ins Wort fallen. So wartete er, bis Horsa sein Methorn nahm und trank. Alfadas trat dicht an seinen Herrscher heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Mein König, wir können nicht gegen die Feinde Emerelles kämpfen. Es sind Trolle. Jeder Einzelne von ihnen ist so stark wie ein Höhlenbär. Und Emerelle würde ein solches Opfer, das nur in Blut und Tod enden kann, niemals von uns verlangen.«
»Hast du schon mal einen Troll gesehen?«, fragte der König.
»Nein«, gestand Alfadas.
»Dann lass dir von einem alten Kämpen sagen, dass es mit den Kriegern so wie mit den Jägern ist. Mit jedem Jahr, das verstreicht, werden die besiegten Feinde in der Erinnerung mächtiger. Im Übrigen haben meine Jäger durchaus schon Höhlenbären zur Strecke gebracht.« Er wandte sich wieder an die Menge in der Halle, die gebannt zu ihm aufsah. »Sind wir Krieger?«, rief er ihnen entgegen. »Oder Hasenherzen?«
»Wir sind Krieger!«, grölten sie und schlugen sich mit den Fäusten auf die Brust.
»Und was tut ein Krieger, wenn ein Weib kommt und ihn um Hilfe bittet? Wird er kämpfen oder sich eine kluge Entschuldigung ausdenken?«
»Kämpfen! Wir wollen kämpfen!«
Horsa standen Tränen in seinem verbliebenen Auge. »Aus euren Kehlen spricht das Herz des Landes. Ein mutiges Herz, unbezähmbar und ungestüm. Ich bin stolz, euer König zu sein. Ich bin stolz, hier zu stehen! Noch heute Nacht werden Boten in alle Winde reiten. Bis zum entlegensten Hof werden sie ziehen und jeden meiner Recken zu den Waffen rufen. In vier Wochen schon will ich eine Heerschau abhalten, hier am Ufer von Honnigsvald. Und Alfadas, mein Herzog, wird die tausend besten unter allen Kriegern auswählen. Sie sollen durch das Zaubertor zu den Elfen gehen und der Königin ihren Thron zurückerobern.« Horsa schlang Alfadas seinen Arm um die Schultern und zog ihn zu sich heran. »Ein Hoch auf unseren Herzog!«
Die Menge grölte wieder. Sie streckten Alfadas Schwerter und Methörner entgegen. Begeisterung brannte in ihren Augen. Diese verdammten Narren! Sie konnten sich nicht vorstellen, was ein Kampf gegen Trolle bedeutete. Selbst die Elfen fürchteten diese Ungeheuer!
»Morgen wird Herzog Alfadas mich zur Elfenkönigin bringen!«, rief der König. »Ich werde ihr sagen, wie man die tausend stärksten Äxte des Fjordlands einsetzt, und dass sie sich nicht fürchten muss. Sie wird von mir alles bekommen, was sie braucht, um ihren Krieg zu gewinnen.«
Alfadas griff nach seinem Methorn und trank. Um ihn herum tobte der Wahnsinn. Für heute Nacht hatte die Vernunft verloren. Aber vielleicht konnte er Horsa morgen umstimmen, wenn er ihm erklärte, worauf er sich da einließ.
Der König nahm wieder Platz, während Veleif ein kriegerisches Lied anstimmte. »Viele meiner jungen Recken sind unzufrieden«, sagte Horsa leise. »Du siegst zu leicht, Herzog. In diesem Sommer haben uns all unsere Nachbarn Tribut gezahlt, statt mit uns zu kämpfen. Die Jungen müssen sich die Hörner abstoßen, sonst gibt es nur Unruhe im Land. Die Bitte deiner Königin kommt da gerade recht.«
Alfadas wollte widersprechen. Doch als er dem König in sein verbliebenes Auge sah, begriff er, dass der Alte keineswegs betrunken war. Mit den Elfen in den Krieg zu ziehen war keine Narretei, die auf einer Festtagslaune geboren war. Offenbar hatte er schon länger nach einem Anlass für einen Krieg gesucht. Und er würde sich gewiss nicht ausreden lassen, was er heute Nacht verkündet hatte. Schon jetzt begann er die Wirklichkeit so zu verdrehen, wie es ihm gerade gelegen kam. Emerelle hatte ihn nicht um Hilfe gebeten! Wie hätte sie das tun können, wenn sie seit Tagen in tiefer Bewusstlosigkeit lag. Aber jeder im Fjordland würde den Worten Horsas glauben. Sie wollten es glauben, dachte er verzweifelt. Nur so wurden sie Teil einer Geschichte, die wie die Sagas der Skalden klang. Außerdem hatte Norgrimm höchstselbst sie mit seinem Kriegshorn zu den Waffen gerufen. Niemand hier im Saal käme auf die Idee, draußen am Fluss nach einem Mann mit einem Horn zu suchen, der zum Gefolge des Königs gehörte. Horsa, der alte Fuchs, hatte dies alles von Anfang an geplant. Deshalb war es auch so wichtig gewesen, dass sein Elfenjarl noch in dieser Nacht erschien. Alfadas seufzte resignierend und hielt sein Methorn hoch, damit es erneut gefüllt wurde. Wäre dies alles nicht geschehen, wenn er die Fährleute nicht hinaus in den Regen getrieben hätte, um ihn überzusetzen?
Solche Grübeleien brachten nichts! Morgen musste er dem König klar machen, gegen welchen Feind er seine Krieger schickte. Wenn die Elfen ihnen den Weg nach Albenmark öffnen würden, dann würde wohl keiner der Fjordländer jemals wiederkehren, auch er nicht. Ganz gleich, wie Alfadas es drehte und wendete, er musste mit ihnen gehen. Ein Herzog, der seinem König den Befehl verweigerte ... Das würde Horsa nicht dulden. Das roch nach Verrat! Alfadas wusste, wenn er hier bliebe, würde er auch nicht überleben. Wahrscheinlich würde Horsa auch Ulric umbringen lassen, damit sein Sohn keine Blutfehde mit dem Königshaus austragen konnte, wenn er zum Mann wurde. Womöglich würde sogar seine ganze Familie ausgelöscht werden.
Horsa lachte über einen Vers des Skalden und hieb mit seiner schweren Faust auf den Tisch. »Guter Mann, dieser Veleif! Der hat eine Zunge wie eine Streitaxt.« Er kniff Alfadas in die Wange. »Es ist gut, dich wieder an meiner Seite zu haben, Jungchen. Ich fühle mich gleich zwanzig Jahre jünger, wenn ich mit dir einen Krieg plane.« Er schob ihm das Stück Braten herüber, das vor ihm auf einer Holzplatte lag. »Iss was, Junge. Du siehst ja aus wie ein Knabe, der seinen ersten Schluck Branntwein genommen hat.«
Alfadas riss ein Stück vom Fleisch ab und begann zu kauen, um nicht reden zu müssen. Die Welt war verrückt! Horsa mochte ihn wie einen eigenen Sohn. Aber wenn er diesen Wahnsinnsbefehl verweigerte, dann würde der König ihn umbringen lassen. So war das hier unter den Menschenkindern des Fjordlands. Und Asla? Würde sie verstehen, dass er keine Wahl hatte?
Ein einmaliges Angebot
Alfadas blickte zum Himmel. Die Sonne stand als milchig blasse Scheibe hinter grauen Wolken. Nicht mehr lange, und es war Mittag. Und der König ließ sich immer noch nicht blicken! Der größte Teil des Hofstaats war längst auf den Beinen. Nur Horsa hatte sich noch nicht erhoben, und niemand wagte es, nach einem Zechgelage den Herrscher zu wecken. Allerdings waren schon mehr als ein Dutzend Boten abgeritten, um Horsas Schnapsidee in alle Winde zu tragen. Mit jeder Stunde, die verstrich, wurde es schwerer, das Unglück noch aufzuhalten. Den ganzen Morgen schon zermarterte sich Alfadas den Kopf darüber, wie man einen Rückzieher machen konnte, ohne dass der König sein Gesicht verlor.
Unruhig ging der Jarl vor den Ställen auf und ab. Es war zum Verrücktwerden! Wenn sie nicht bald aufbrachen, würden sie an diesem Tag auf keinen Fall mehr Firnstayn erreichen.
Ein stämmiger Mann mit eisgrauem Haar trat auf den Hof. Er trug einen bunt bestickten blauen Kittel. Der Fremde blickte Alfadas an, als habe er nach ihm gesucht; dabei war sich der Jarl sicher, den Mann noch nie gesehen zu haben.
»Alfadas Mandredson?« Seine Stimme klang entschuldigend.
»Der bin ich.«
Die grünen Augen des Mannes leuchteten auf. »Verzeih, ich kenne dich nur aus Geschichten ...«
»Ja, ja. Und ich sehe nicht aus wie der blonde Hüne mit dem Zauberschwert, zu dem mich die Skalden gerne machen.« Alfadas lächelte, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich bin Sigvald.« Der Fremde streckte ihm fordernd die Hand entgegen. Er hatte einen festen Griff. Seine Hände waren von feinen weißen Narben überzogen. Sigvald roch nach Schmierfett und Holz. »Ich wollte dir ein gutes Geschäft vorschlagen, Jarl. Bei deinem Dorf gibt es doch einen großen Apfelhain. Und jeden Winter kommen Jäger aus Firnstayn und noch tiefer aus den Bergen, um hier in Honnigsvald ihr Fleisch und ihre Felle zu verkaufen, nicht wahr?«