Mit verhängtem Zügel ritt Alfadas langsam zum Hafen hinunter. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Die Berge auf der anderen Seite des Fjords waren hinter Wolkenschleiern verschwunden. Das offene Wasser erschien nun weit wie das Meer. Wenn Horsa über Bord stürzen würde ... Das schwere Kettenhemd, das er stets trug, würde ihm zu einem Ende wie König Osaberg verhelfen.
An der Anlegestelle herrschte einiger Tumult.
Der König schien eben erst eingetroffen zu sein. Und auf der Fähre, die am Ufer lag, hatte man ein schweres Fuhrwerk festgezurrt. Einen Augenblick lang musste der Jarl schmunzeln. Sigvald hatte wirklich keine Zeit verloren. Der große Planwagen und vier Rote standen bereits auf dem flachen Fährboot. Das also war der Weg, wie sie nach Firnstayn gelangen sollten. Wen der Wagenbauer wohl bestochen hatte, um sich die einzige Fähre von Honnigsvald ein paar Tage auszuleihen? »Natürlich war es nie meine Absicht, mich dem König in den Weg zu stellen«, hörte der Jarl die Stimme seines Handelspartners. Sigvald war von drei Kriegern umringt. Einer hatte ihm bedrohlich die Hand auf die Schulter gelegt.
»Was geht hier vor?«, rief Alfadas und drängte seinen Grauen in die Menge.
»Der Bastard will die Fähre des Königs rauben!«, rief einer von Horsas Leibwächtern. »Den sollte man an einen Mühlstein binden und in den Fjord werfen!«
»Dieser Bastard, wie du ihn nennst, handelt in meinem Auftrag. Damit machst du mich zum Verantwortlichen am Raub eines Schiffes, das vermeintlich dem König gehört.« Alfadas schwang sich aus dem Sattel. Er streifte seinen weiten Umhang über die linke Schulter, sodass sein Schwert zu sehen war. »Bist du dir sicher, dass du mich einen Räuber nennen willst? Damit zwingst du mich, meine Ehre mit deinem Blut von diesem Vorwurf reinzuwaschen. Aber wahrscheinlich war das ja nur ein Irrtum. Schließlich wissen wir beide, dass dem König nicht die Fähre der Stadt Honnigsvald gehört, Also kann man sie ihm auch nicht stehlen.«
Der Leibwächter wich einen Schritt zurück. »Du machst mir keine Angst, Elfenjarl«, sagte er trotzig. Er zog die breite Axt aus seinem Gürtel. Seine Knöchel wurden weiß, so fest umklammerte er die Waffe. »Von dir lass ich mich nicht zum Lügner reden.«
Ein kurzer Blick, und Alfadas wusste, dass die beiden anderen Leibwächter sich nicht einmischen würden. Er kannte einen der Männer. Ragni hatte ihn auf zweien seiner Kriegszüge begleitet. Der Mann hatte ihn kämpfen sehen.
»Das reicht!« Horsa trat aus dem Kreis der Schaulustigen.
»Ulf! Steck deine Axt weg und geh an Bord. Ich schätze es, dass du dich für deinen König schlagen wolltest. Bist ein guter Mann. Aber du hast dir den falschen Gegner ausgesucht. Meinen Herzog brauche ich noch.« Dann fuhr er leiser fort. »Was soll dieser Unfug mit der Kutsche? Lass das Fährboot räumen.«
»Die Kutsche ist ein Geschenk für mein Weib.«
Horsa sah ihn mit seinem verbliebenen Auge durchdringend an. Dann begann er plötzlich zu prusten. »Du schenkst deinem Weib ein schweres Fuhrwerk?«, platzte es aus ihm heraus. »Du bist ja noch verrückter, als ich dachte, mein Elfenjarl. Weiber lieben Tand. Schmuck, schöne Stoffe. Manche mögen auch gute Hausgeräte, einen Kupferkessel, eine Kelle oder einen eisernen Bratspieß. Aber ein Weib, das ein vierspänniges Fuhrwerk als Geschenk schätzt, davon habe ich noch nie gehört. Komm, lass das Ding von der Fähre räumen. Unsere Abreise hat sich lange genug verzögert. Wir passen nicht alle auf das Boot.«
»Hast du schon die praktischen Seiten erwogen, die sich aus der Fracht ergeben?«, fragte Alfadas ruhig. »Unter der Plane der Kutsche wirst du während der Reise im Trockenen sitzen, mein König.« Der Jarl blickte zum verhangenen Himmel hinauf. »Und es scheint ganz so, als könnten wir mit reichlich Regen rechnen. Wir werden heute nicht mehr bis Firnstayn kommen, und entlang der Ufer gibt es kein einziges trockenes Nachtquartier. Bist du nicht aus dem Alter heraus, in dem man mit Begeisterung im Schlamm schläft, mein König?« Um Horsa nicht zu brüskieren, sprach Alfadas so leise, dass ihn die Umstehenden nicht hören konnten. »Wozu brauchst du ein großes Gefolge? Auf dem Fjord wirst du keine Leibwächter benötigen. Ein paar Diener vielleicht und ein oder zwei Berater. Nicht einmal Pferde brauchst du. Vom Ufer bis hinauf zu meinem Haus sind es kaum dreihundert Schritt. Der Platz an Bord der Fähre würde ausreichen, wenn du für ein paar Tage auf einen Teil deines Gefolges verzichten kannst.«
Horsa strich sich nachdenklich über den Bart. »Ich brauche meinen Mundschenk und Dalla.« Er deutete auf ein hübsches, junges Mädchen, das etwas abseits der Männer stand und auf den Fjord hinausblickte. »Weißt du, was die schlimmste Krankheit des Alters ist, Herzog?« Er kratzte sich im Schritt. »Alle Glieder werden dir steif, nur dieses eine nicht mehr. Ich sage dir, Dalla ist eine großartige Heilerin! Sie wird sicher auch der Elfenkönigin gute Dienste leisten.«
Alfadas sah noch einmal zu dem rothaarigen Mädchen. Er bezweifelte, dass Emerelle die Hilfe einer Heilkundigen benötigte, die sich besonders auf steife Glieder verstand. Aber er unterließ es, dem König seine Meinung zu sagen.
»Lasst uns an Bord dieser verfluchten Fähre gehen«, befahl Horsa. »Wenn ich noch länger in diesem kalten Nebel herumstehe, kann ich heute Abend nicht einmal mehr aus eigener Kraft ein Methorn heben. Dalla, nimm dein Gepäck und such Schutz unter der Plane der Kutsche. Ich kümmere mich gleich um dich. Bringt ein paar Felle zum Fuhrwerk. In meinem Alter sitzt man nicht mehr mit dem nackten Arsch auf kalten Brettern.« Der König wählte noch drei Krieger aus, die den Fährleuten beim Rudern helfen sollten. Dann legte das Boot ab. Noch bevor sie außer Sichtweite von Honnigsvald waren, gesellte sich Horsa zur Heilerin.
Alfadas musste wiederum daran denken, dass sich wohl niemand wundern würde, wenn ein betrunkener alter Mann, der nachts aufstand, um sein Wasser abzuschlagen, über Bord fiele. Die Bordwand der Fähre war nicht einmal kniehoch. Und das lose gespannte Seil, das als Handlauf diente, würde den Alten kaum retten, wenn er das Gleichgewicht verlor ...
In der Stille der Nacht
Alfadas fuhr aus dem Schlaf hoch. Etwas an Bord der Fähre hatte sich verändert. Der Jarl lag zwischen den hohen Rädern des Fuhrwerks in eine Decke gehüllt. Er lauschte auf die Geräusche der Nacht. Das Fährboot ankerte in einer kleinen Bucht. Mit Einbruch der Dämmerung hatten es die drei Brüder abgelehnt weiterzufahren. Horsa hatte geflucht und ihnen gedroht, sie ertränken zu lassen. Aber schließlich hatte selbst er sich dem Diktat der Vernunft beugen müssen. Die Fährleute kannten diesen Teil des Fjords nicht. Sie wussten weder um Strömungen noch um verborgene Riffe. Ohne Sicht weiterzufahren, wäre die blanke Unvernunft gewesen.
Veleif hatte versucht, mit seinen Liedern die gereizte Stimmung zu vertreiben. Das Gefolge des Königs war auf den Skalden, Dalla, die Heilerin, und Horsas drei Leibwächter zusammengeschmolzen. Nach einem kurzen Mahl hatten sie sich zur Ruhe begeben. So gut es ging ... Alfadas und die anderen hatten zwischen den Rädern des Fuhrwerks Schutz vor dem Nieselregen gesucht, der mit der Dämmerung gekommen war. Keinen halben Schritt über ihnen hatte Horsa auf der Pritsche von der Heilerin seine steifen Glieder behandeln lassen. Das Schnaufen und Stöhnen des alten Königs war ihr Nachtlied gewesen. Alfadas hatte erst Ruhe gefunden, als das Getöse in ein kehliges Schnarchen übergegangen war. Der Lärm des Liebesgeplänkels unmittelbar über seinem Kopf hatte ihn erregt. Und das wiederum hatte ihn geärgert, denn er verabscheute das Gehabe des alten Lüstlings. Alfadas schob die Gedanken beiseite und versuchte, sich auf die Geräusche der Nacht zu konzentrieren. Was hatte sich verändert? Es regnete nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Leise spielten die Wellen um das Fährboot. Die Ankertrossen knirschten. Der Jarl lauschte auf den Atem der Männer neben sich. Das Holz des Fuhrwerks knarrte. Der König! Das Schnarchen hatte aufgehört. Horsa erhob sich. Jetzt wurde die Plane zurückgeschlagen. Für einen alten Mann konnte er sich erstaunlich leise bewegen. Alfadas wurde aus Horsa nicht schlau. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte er den Alten offen bewundert. Aber jetzt ... Er musste Horsa von seinem Weg abbringen! Vorsichtig schob der Jarl die Decke zurück. Seine Hände griffen nach dem Rad neben seinem Kopf. Er zog sich unter dem Wagen hervor. Der Atem der übrigen Männer ging noch immer langsam und regelmäßig. Alle schliefen.