Manche Mären mühen der Worte wunders viel, Von kühner Krieger Kämpfen, mit List im Blick das Ziel, Von fröhlich frechen Festen, von kummervollen Klagen, Da höret nun den Zeugen, nicht den Sänger sagen.
An karger Klippenküste der Elfen Stadt erstrahlte, Wo sengend Sonne stach, wo Reichtum leuchtend prahlte, Wo wilde Wellen wogten, da lag der Stolzen Stadt, Die einst man mit Bedacht Reilimee geheißen hat. Tapfer trugen Trolle den Krieg vor ihre Mauern. Wo Kriegerkeulen klangen, da gab es kein Bedauern.
Wo Schiffe schwammen, der Schnitter schwang sein Blatt, Da vor der starken Stadt, die man Reilimee geheißen hat. Tausend Tote türmten sich unter stolzen Zinnen, Wo Mühen nicht noch Mut halfen zu entrinnen. Wo Königsklage klang, der Listenreiche tat den ersten Schritt zur Mauer, die Reilimee umgürtet hat.
Reisszähne und Rammböcke
»Steuerbordruder einholen!«, rief Orgrim aus Leibeskräften, um den Lärm des Gefechtes zu übertönen.
»Steuerbordruder einholen!«, hallte es wie ein Echo aus dem Rumpf der Geisterwind. Skanga hatte ihm, dem Schiffeversenker, ihre Galeasse überlassen. Sie war zwar nicht an Bord, was man als Ausdruck eines gewissen Misstrauens verstehen mochte, aber sie hielt ihn für fähig, diesen tollkühnen Angriff durchzuführen, und hatte auch alle Umbauten am Schiff gestattet.
Der schwere Rumpf der Geisterwind schwang herum, als nur noch die Backbordruder das Wasser aufwühlten. Auf der Steuerbordseite wurde ein Netz herabgelassen, in das dicke Lumpenbündel geflochten waren. Sie würden den Aufprall gegen die befestigten Hafenmauern abfedern.
Wie Hagelschlag gingen die Pfeile der Verteidiger auf die Geisterwind nieder. Die Elfen hatten erkannt, dass die große Galeasse das gefährlichste Schiff in der Angriffsformation war.
Schildträger schirmten Orgrim gegen den Beschuss ab. Der Rudelführer blickte die lange Hafenmauer entlang. Wie zwei ausgebreitete Arme erstreckte sie sich in die türkisfarbene Bucht. Sie schützte den Hafen und seine Schiffe vor schwerer See. Und nun zerschellten an ihr auch die Angriffswellen der Trolle. Dreimal schon waren sie gegen die Stadt angestürmt, und dreimal waren sie zurückgeschlagen worden. Niemand hatte gewusst, wie schwer Reilimee befestigt war, als Branbart den Angriff auf die Elfenstadt beschlossen hatte.
An Land war Reilimee durch einen doppelten Mauergürtel geschützt. Und zur See gab es diese verfluchte Hafenmauer. Fast zehn Schritt erhob sie sich über das Wasser, und alle zwei Schiffslängen gab es Wachtürme, die noch ein gutes Stück höher als die Mauer waren. Die Einfahrt in den Hafen wurde durch zwei kleine Festungen gesichert. Zwischen ihnen spannte sich eine Kette mit armdicken Eisengliedern. Keine der Galeassen hatte diese mächtige Barriere zu zerbrechen vermocht.
Krachend zerbarst ein Schild neben Orgrim. Holz- und Knochensplitter, Blut und Hirn spritzten dem Rudelführer über Brust und Gesicht. Einem seiner Schildträger hatte es den Kopf weggerissen. Der zwei Zoll starke Eichenschild des Kriegers wies ein großes, ausgefranstes Loch auf.
»Du solltest jetzt das Achterdeck verlassen«, riet Boltan und zog sich einen fingerlangen Holzsplitter aus dem Brustmuskel.
»Durch die Schildträger werden sie auf dich aufmerksam!« Der Geschützmeister deutete zum nächstgelegenen Turm der Hafenmauer. Hinter den Zinnen sah Orgrim Elfenhelme in der Sonne funkeln.
»Ich bin gespannt, wie diese verdammten Elfenkatapulte aussehen«, brummte Boltan. »Wir haben Vahan Calyd zu schnell erobert. Dort gab es sicher auch schon welche von diesen verfluchten Dingern. Eine Schande, dass wir da alles kurz und klein geschlagen haben.«
»Wir werden die Ersten auf der Mauer sein, und ich verspreche dir, dass du ein paar der Katapulte als Kriegsbeute bekommst. Sie sind ...«
Seine Stimme ging in einem gewaltigen Krachen unter. Holzsplitter jagten über das Achterdeck, Trolle schrien auf.
Einige Krieger wälzten sich in Blutlachen auf dem Deck. Ein weiterer Geschütztreffer hatte ein großes Loch in das Schanzkleid gerissen. Die verdammten Katapulte der Elfen vermochten Steine in waagerechter Schussbahn abzufeuern. Sie waren um ein Vielfaches treffsicherer als die Katapulte, die Orgrim bisher kannte. Die Steinschleudern der Trolle schossen dem Feind Felsbrocken in steilem Bogen entgegen, und selbst so erfahrene Geschützmeister wie Boltan konnten nur grob schätzen, wo die Geschosse einschlagen würden und welchen Schaden sie anrichteten.
Faustgroße Steine prasselten gegen die Hafenmauer. Mit Genugtuung hörte Orgrim die Schreie verwundeter Elfen. König Branbart hatte befohlen, die Verteidiger auf den Mauern mit Steinen zu bewerfen. Kein einziges der Trollschiffe feuerte mehr Brandgeschosse ab.
»Hievt die Reißzähne!«, befahl Orgrim. Die Geisterwind war kaum mehr als fünf Schritt von der Hafenmauer entfernt.
»Backbordruder einholen! Alle Mann an Deck.«
Der Rudelführer verfolgte gespannt, wie die schweren Enterbrücken mit Flaschenzügen an den Masten hochgezogen wurden. Die Mastkörbe über der ersten Rah waren verstärkt worden. Man hatte Laschen aus dickem Bullenleder angebracht, in denen die Enterbrücken eingehakt werden sollten. Das war jedoch erst möglich, wenn die Geisterwind unmittelbar neben der Hafenmauer lag, denn die riesigen Gewichte, die man in die Takelage hievte, würden das Schiff sonst kentern lassen.
In den Wanten und auf den Rahen wimmelte es nur so von Trollen, die unberührt vom Beschuss der Elfen die Vielzahl verschiedener Manöver ausführten, welche den Angriff begleiteten. Jetzt zahlte es sich aus, dass Skanga nur die Besten der Besten an Bord genommen hatte. Mit keiner anderen Schiffsbesatzung hätte Orgrim diesen Angriff durchführen können, ohne ihn vorher wochenlang zu proben.
Brandpfeile gingen auf die Geisterwind nieder. Orgrim hatte schon in der vergangenen Nacht die Segel abnehmen lassen, um sein Schiff weniger anfällig gegen diese heimtückischen Geschosse zu machen. Nur von Rudern angetrieben, war die große Galeasse zwar erbärmlich langsam, doch wog die verminderte Brandgefahr diesen Nachteil reichlich auf. Überall auf den Decks standen mit Wasser gefüllte Eimer. Orgrim hatte eigene Löschgruppen aufgestellt, die keine andere Aufgabe in diesem Gefecht hatten, als Brände zu ersticken. Ein dumpfer Schlag erschütterte die Geisterwind. Die Galeasse war längsseits der Hafenmauer gegangen. Von den oberen Mastkörben versuchten Steinwerfer, die Bogenschützen auf der Mauer auszuschalten.
Immer mehr Geschosse prasselten auf die Geisterwind ein. Alle Bogenschützen und alle verfügbaren Katapulte in Reichweite schienen nun allein dieses Schiff zum Ziel auserkoren zu haben.
Zufrieden sah Orgrim, dass alle drei Reißzähne einsatzbereit waren. Wie Raubtierzähne sahen die langen Dornen an der Unterseite der Enterbrücken aus. Hölzerne Kiefer, bereit, in die Hafenmauer zu beißen. »Hisst die Lederwände!«, rief Orgrim. Dann nahm er seinen Schild und stieg vom Achterkastell. Er würde den Angriff über den Hauptmast anführen. Orgrim war fest entschlossen, der erste Troll zu sein, der seinen Fuß auf die Mauern Reilimees setzte.
Torgroße Rahmen wurden an den Rahen hochgezogen. Sie waren mit nassen Lederhäuten bespannt. So würden sie einen Teil der Brandpfeile abfangen, vor allem aber den Beschuss der Entermannschaften erschweren, die in die Masten stiegen.
Der Rudelführer schlang sich den Schild über den Rücken und prüfte, ob sein Kriegshammer sicher im Gürtel saß. »Rauf auf die Mauer! Schlagt diesen jämmerlichen Wichtlein die Schädel ein!« Orgrim enterte die Wanten, dutzende Krieger folgten ihm. Die Decks und Masten hallten wider vom Kriegsgeschrei. Zufrieden sah der Rudelführer, wie etliche Pfeile in die Schutzwände schlugen. Sein Plan ging auf! Am Ende der Wanten zog er sich in den Mastkorb. Kräftige Hände halfen ihm hinauf. Fast gleichzeitig hatte Gran den Mastkorb am Vormast erreicht. Dieser Bastard glaubte doch nicht etwa, dass er als Erster auf der Festungsmauer stehen würde?