Kalf legte seinen Fischspieß zur Seite. »Du bist der beste Schwertkämpfer des Fjordlands. Wer sollte dich bezwingen?«
»Dort, wo wir hingehen werden, war ich nicht mehr als ein begabter Schüler. Gegen die Trolle in den Krieg zu ziehen, das ist so aberwitzig, als würde ich dir befehlen, eine stürzende Eiche aufzufangen. Ganz gleich, wie geschickt und stark du bist, der riesige Stamm wird dich zermalmen, wenn du ihm im Weg bist. So wird es sein, wenn wir uns den Trollen in den Weg stellen.«
Kalf runzelte die Stirn. »Das musst du dem König sagen.«
»Er weiß es.«
Der Fischer schüttelte den Kopf. »Das macht doch keinen Sinn.«
»Er will mich loswerden, Kaff. Mich und viele andere Krieger.«
»Du bist nie besiegt worden, Jarl. Warum sollte er dich in den Tod schicken? Er würde sich selbst schaden, wenn er dich opfert. Ich bin sicher, du wirst wiederkehren.«
Alfadas seufzte. Kalf hätte allen Grund, nicht unglücklich zu sein, wenn er nicht wiederkehrte. Schließlich war er es gewesen, der das Leben des Fischers aus der Bahn gebracht hatte. Und jetzt versuchte Kalf, ihm Mut zu machen. Er war der richtige Mann! »Ich weiß, dass du Asla noch immer liebst.«
»Was hat das mit deinem Krieg zu tun?«
»Wenn sie Hilfe braucht, dann sei für sie und die Kinder da. Das ist alles, worum ich dich bitten möchte.«
»Das war ich immer schon«, entgegnete er sanft.
Der Tonfall, in dem Kalf das sagte, versetzte Alfadas einen Stich. »Und du hast schon Recht. Ich bin verdammt schwer umzubringen. Vergiss das nicht.«
Der Fischer lächelte entwaffnend. »Nicht ich bin der Mann, den du davon überzeugen musst.«
Alfadas hatte einen Kloß im Hals. Dieser verdammte Mistkerl! Er hatte doch allen Grund, sich seinen Tod zu wünschen. Der Jarl öffnete den Lederbeutel an seinem Gürtel und legte einen verschrumpelten Vogelfuß, groß wie eine Kinderhand, auf den Tisch. Ein langer Riemen war daran befestigt.
»Was ist das?«, fragte Kalf verwundert.
»Das Geheimnis, warum die Fische bei mir besser beißen als bei dir. Er ist aus Albenmark. Ich habe ihn von meinem Vater. Der hat ihn einem Pferdemann abgeschwatzt. Ich weiß nicht, zu welchem Vogel dieser Fuß gehört, aber er vermag Fische anzulocken. Man muss ihn nur ins Wasser hängen, still stehen und ein wenig warten.«
Kalf nahm den Fuß, drehte ihn zwischen den Fingern und sah ihn sich von allen Seiten an. »Und ich hatte schon mit den Göttern gehadert, weil du auch noch ein besserer Fischer warst als ich. Hoffe nicht darauf, dass ich ihn dir zurückgebe, wenn du im nächsten Frühjahr wiederkehrst.«
Kalfs Zuversicht hatte etwas Ansteckendes. »Ich werde mir einfach einen neuen Vogelfuß aus Albenmark mitbringen. Glaube nicht, dass ich dich kampflos zum König der Fischer werden lasse.« Der Jarl lachte. Aber plötzlich war die Angst wieder da. Wie ein großer Eisklumpen saß sie in seinem Bauch.
Rebellen, Bauern und Aufrechte
»Da ist wieder diese Frau«, sagte Ulric leise. Der Junge saß vor Alfadas im Sattel und deutete auf die schlanke Gestalt, die ein Stück voraus halb verborgen im Schatten einer Birke stand. Alfadas und Ulric hatten Honnigsvald fast erreicht. Den ganzen langen Weg über war ihnen Silwyna gefolgt.
»Wie kann sie so schnell sein wie wir auf einem Pferd?«
»Sie ist eine Maurawani«, erklärte Alfadas. »Silwyna gehört zu einem Elfenvolk, das in den Wäldern lebt. Sie hat viel Geschick darin, Abkürzungen zu finden, und wir haben uns ja auch nicht gerade beeilt.«
»Diesmal läuft sie nicht fort, Vater. Was will sie von uns?«
»Das werden wir sie fragen.« Die Elfe wartete, an den bleichen Birkenstamm gelehnt. Ihr schwerer Zopf lag ihr wie eine Schlange um den Hals. Sie trug jetzt eine Hose und ein Hemd aus hellem Hirschleder. Die zerrissenen Kleider, mit denen sie ins Fjordland gekommen war, waren verschwunden. Wehmütig dachte Alfadas daran, dass sie ihm einst auch einmal ein Lederhemd geschenkt hatte. Es hatte Fransen gehabt, die verhinderten, dass Wasser durch die Nähte drang. So unendlich lange schien es her zu sein, dass sie gemeinsam durch die Wälder Albenmarks gestreift waren.
»Du hältst dich gut im Sattel, Junge«, sagte die Elfe freundlich.
»Mein Vater wird mir ein Pony schenken, wenn wir in Honnigsvald sind«, erklärte Ulric stolz. »Warum folgst du uns? Und warum bist du nicht bei deiner Königin wie Yilvina?«
»Ich werde deinem Vater helfen, wenn er die Krieger aussucht, die mit ihm gehen. Außerdem sollen sie schon einmal eine Elfe gesehen haben, bevor sie in mein Land kommen. Und was die Königin betrifft, ist eine Leibwächterin mehr als genug für jemanden, der im Haus eines Freundes ruht. Wir würden deine Eltern beleidigen, wenn stets bewaffnete Wachen um die Königin stünden. Schließlich sind wir hier doch nicht unter Feinden.«
Ulric nickte kurz. »Warum kämpfen bei euch die Frauen? Bei uns gibt es so etwas nicht.«
Für einen Augenblick wirkte die Maurawani brüskiert. »Unter uns Elfen gibt es so wenige Männer, dass sie ohne die Hilfe der Frauen nicht siegen können«, antwortete sie schließlich spitz.
»Führt ihr denn viele Kriege?«
»Es reicht, Ulric. Es ist unhöflich, jemanden so auszufragen.«
»Lass ihn nur. Dein Sohn möchte mich halt kennen lernen.« Silwyna ging mit langen Schritten neben ihnen her, während sie weiter einem schmalen Wildwechsel durch den Wald folgten. Die Bäume hatten ein Feuerwerk der Farben entfacht. Jeder Luftzug ließ tausende Blätter herabregnen. Rot, Purpur und Gold umspielte sie. Der Wald feierte ein letztes Fest, bevor die lange Zeit der Dunkelheit und der Stürme begann.
Alfadas war überrascht, wie geduldig Silwyna auf alle Fragen seines Sohnes antwortete. Sie hatte sich verändert. Äußerlich merkte man ihr nichts an ... Oder war er es, der sich verändert hatte? Sah er sie mit anderen Augen? Es gab eine Zeit, da hatte er sie gehasst. Sie hatte ihn gelehrt, was es hieß zu leiden. Und trotz allem war sie noch immer seinem Herzen nahe. Sie zu sehen reichte, um all die lang begrabenen Gefühle wiederzubeleben.
»Mein Großvater erzählt, es gebe Elfen, die wie Eichhörnchen auf den Bäumen laufen können«, sagte Ulric. »Stimmt das?«
»Mein Schwiegervater ist ein geschwätziger Greis«, entschuldigte sich Alfadas.
»Mir scheint, der Junge weiß mehr von Albenmark als du, obwohl er die Wunder meiner Welt nie gesehen hat.« »Ja, Großvater kennt so viele Geschichten!«, bestätigte Ulric begeistert.
»Wenn Vater nicht zu Hause ist, kommt er jeden Abend und erzählt uns von der Königin und Elfen, von Großvater Mandred, den Pferdemännern und von Trollen.«
Er musste mit Erek reden, dachte Alfadas wütend. Es hatte einen Grund, wenn er selbst seinen Kindern nie von Albenmark berichtete, so sehr sie ihn auch bedrängten. Er wollte nicht die Sehnsucht nach dieser fernen Welt in ihre Herzen pflanzen. Sie sollten nicht so wie er immer wieder zum Steinkreis auf dem Hartungskliffblicken und von einer Welt träumen, die sie aus eigener Kraft nicht erreichen konnten.
»Möchtest du erleben, wie es ist, auf den Wipfeln der Bäume zu laufen, Ulric?«, fragte Silwyna.
»Du würdest mich mitnehmen?«
»Wenn du dir zutraust, auf meinem Rücken zu reiten. Dein Vater muss es natürlich erlauben.«
Alfadas seufzte. Wie sollte er es jetzt noch verbieten! Die Maurawani sah ihn mit ihren Wolfsaugen an. Er hatte den Eindruck, dass es ihr viel bedeuten würde, mit seinem Sohn in die Bäume zu steigen. Ob sie Asla um ihre Kinder beneidete? Der Jarl dachte an einige der unschönen Geschichten, die man sich über die Elfen erzählte. Dass sie Kinder stahlen. Auch ihn hatten sie geholt. Würde Silwyna so etwas tun? Es gab einmal eine Zeit, da hatte er geglaubt, in ihren Augen lesen zu können, sie zu kennen. Jetzt wusste er es besser.
»Bitte, Vater! Sag doch ja«, drängte Ulric.
»Wir sehen uns unten am Fjord«, brummte er schließlich. Die Elfen waren ihn damals nicht ohne Grund holen gekommen. Sein eigener Vater, Mandred, hatte ihn an Emerelle verkauft. Silwyna würde gut auf Ulric Acht geben.