»Stimmt etwas nicht, Vater?«, fragte Ulric plötzlich besorgt.
Was sollte er seinem Jungen darauf sagen? Alles stimmte nicht! »Wir werden noch sehr viel üben müssen, bis mein Heer gut kämpft.«
Ulric nickte. »Bleibe lieber in der Nähe von Lambi und den anderen Kriegern. Sie kämpfen besser.«
»Ich danke dir für deinen Rat, mein Sohn«, sagte er ernst. Er hatte viel zu wenig Zeit mit Ulric verbracht. Es wäre klüger gewesen, ihn gar nicht mitzubringen. Doch der Junge genoss es, unter den Kriegern zu sein. Für ihn war die Reise ein großes Abenteuer. »Was glaubst du denn, wer der beste Schwertkämpfer ist?«
Ulric deutete zu den Bogenschützen. »Silwyna. Niemand wird so gut auf dich achten wie sie!«
Die Antwort versetzte Alfadas einen Stich. Ahnte sein Sohn etwas? »Ist sie wirklich so gut?«
Der Junge nickte. »Ich habe ihr zugesehen. Du warst doch dabei, als sie Lambi besiegte. Erst hat sie so getan, als könne sie seine Hiebe nur mit Mühe parieren. Er hat sich müde gekämpft. Und dann plötzlich ... Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie ihn entwaffnet hat. Es war, als habe sie eine falsche Haut abgestreift. Plötzlich war sie jemand ganz anderes. Wie eine Katze, die mit einer Maus spielt und sie dann plötzlich tötet. Ich finde ihre Augen unheimlich. Gut, dass sie deine Freundin ist. Sonst würde ich mich vor ihr fürchten.«
Alfadas war erleichtert, als er diese Argumente hörte. Und zugleich war er stolz auf seinen Sohn. Der Vergleich mit der Katze hatte ihm gut gefallen. So war Silwyna wirklich! Elegant, unberechenbar, tödlich. In ihr lebte etwas Wildes, dem er nie nahe gekommen war. Und oft hatte er gedacht, dass es diese ursprüngliche Kraft war, das Animalische in ihr, das sie zurück in die Wälder gerufen hatte. Sie konnte nicht anders! Der Herzog schreckte auf. Plötzlich war es still geworden. Das Murmeln der erschöpften Männer war verstummt. Drei Reiter kamen das Ufer des Fjords entlang. Und obwohl Alfadas am Hof Emerelles aufgewachsen war, stockte auch ihm der Atem. Es war, als seien drei Gestalten aus den Sagen der Alten plötzlich in die Welt der Menschen getreten. Zwei der Reiter waren in makelloses Weiß gekleidet. Sie saßen auf Schimmeln, schlanken und zugleich starken Pferden. Rennern, die dem Wind davonlaufen konnten. Der Dritte ritt einen Grauen. Die Farben seiner Gewänder waren grau und weinrot.
Sie alle trugen Brustplatten, die funkelten, als seien sie aus Silber und Gold gefertigt. Gleißend brach sich das Licht auf den Helmen. Weite Umhänge bauschten sich hinter ihnen, und von den Helmen flatterte Rosshaar im Wind. Jede ihrer Bewegungen wirkte majestätisch. Kein Mensch würde je so vollendet im Sattel sitzen, konnte so sehr eins sein mit den Bewegungen der Rosse. Atemlos sahen alle zu, wie die geheimnisvollen Reiter näher kamen und direkt auf Alfadas zuhielten. Der Herzog erkannte seinen Lehrmeister, auch wenn dessen Gesicht hinter dem Helm mit dem Nasenschutz und den weit herabgezogenen Wangenklappen fast völlig verborgen blieb.
Die drei zügelten ihre Rosse kaum anderthalb Schritt vor ihm. Ulric drückte sich an Alfadas‘ Seite.
Der Anführer der Reiter saß ab und kniete überraschend vor dem Herzog nieder. »Ich grüße dich, Alfadas Mandredson! Mein Volk schickt mich, um dir zu Diensten zu sein. Wir sollen helfen, deine Krieger auszubilden, um sie nach Albenmark zu führen, wenn die Zeit gekommen ist.«
Alfadas war der Auftritt seines Fechtmeisters und Ziehvaters unangenehm. Er packte Ollowain bei den Schultern. »Du solltest nicht vor mir knien«, sagte er leise. »Ein Meister kniet nicht vor seinem Schüler.« Der Elf antwortete darauf nicht, doch erhob er sich. Dem Herzog war klar, was diese Geste zu bedeuten hatte. Sie sollte seine Stellung unter den Menschen stärken. Alle sollten sehen, dass selbst die unheimlichen Elfenkrieger dem Feldherrn Alfadas Mandredson Respekt erwiesen.
»Es tut gut, dich zu sehen, Alfadas«, sagte Ollowain leise und drückte seinen Arm. Der Schwertmeister wandte sich den beiden anderen Elfen zu. »Darf ich vorstellen, Lysilla und Ronardin.«
Die beiden waren inzwischen ebenfalls abgesessen und hatten die Helme abgenommen. Die Elfe streckte Alfadas die Hand entgegen. Als er ihr in die Augen sah, zuckte er unwillkürlich ein wenig zurück. Sie lächelte amüsiert. Offensichtlich reagierten nicht nur Menschen so auf sie. Lysilla hatte etwas Unnahbares, Unheimliches. Ihr Händedruck war fest und kühl. Ganz anders Ronardin. Er wirkte herzlich und neugierig. Seine Augen wanderten rastlos hin und her, begierig, sich nichts von der Welt der Menschen entgehen zu lassen.
Alfadas unterrichtete die Elfen über den Stand der Ausbildung. Lysilla und Ronardin blieben völlig ungerührt, als er ihnen davon erzählte, dass die Mehrheit der Männer keine Krieger waren und ihr Wert in einer Schlacht, vorsichtig ausgedrückt, zweifelhaft war. Ollowain hingegen war seine Betroffenheit deutlich anzusehen. In den folgenden Tagen war es vor allem der Schwertmeister, der all sein Können und seinen Erfindungsreichtum daransetzte, die Menschen so gut wie möglich auszubilden. Er ließ Puppen aus Weidenruten flechten, die so groß wie ein Troll waren und doch zugleich so leicht, dass ein einziger Mann sie ohne Mühe heben konnte. Immer wieder ließ er die erfahrenen Krieger unter diese Puppen schlüpfen und gegen die Formation der Pikenträger anstürmen. So wollte er erreichen, dass nicht allein der Anblick der Trolle die Menschen schon völlig demoralisierte. Auch wurde er nicht müde, jedem Einzelnen zu erklären, wo ihre riesigen Gegner am verwundbarsten waren.
Ronardin und Lysilla unterrichteten die etwa hundert erfahrenen Krieger. Und sie schafften es, fast alle davon zu überzeugen, ihre Rüstungen und Schilde abzulegen, da der beste Schutz gegen Trolle die Beweglichkeit war. Alfadas widmete sich vor allem den Pikenträgern. Immer wieder erklärte er, wie wichtig es war, sich nicht als eine starre Wand aus langen Speeren zu verstehen. Sie sollten ihre Waffen gezielt auf einzelne Angreifer ausrichten, um sie mit möglichst vielen Speerblättern zu verwunden. Auch sollten sie die Piken schräg gegen den Boden stemmen und mit einem Fuß abstützen, weil kein Mann der Welt die Kraft hätte, dem Aufprall eines Trolls standzuhalten. Gerade was dies anging, hoffte Alfadas auf die Lehren, die seine Männer aus dem letzten Übungsgefecht ziehen würden.
Abends, wenn die Freiwilligen sich von den Strapazen des Tages erholen konnten, wurden die Unterführer zusammengerufen und erhielten in der Festhalle von Honnigsvald noch zusätzliche Unterweisungen. Silwyna erzählte von den verschiedenen Völkern Albenmarks und davon, welche Geschöpfe sie schon bald treffen würden. Lysilla und Ronardin versuchten, sie auf die Härte des Winters in der Snaiwamark vorzubereiten und wie sie sich bald auf wunderbare Weise gegen die Kälte schützen würden. Sie erzählten von Eisseglern, den Tücken der Gletscherspalten und malten auf große Holztafeln Karten der Snaiwamark und der angrenzenden Regionen. Auch zeichneten sie Pläne der Festung Phylangan auf und markierten darauf die Quartiere, die man für die Menschen vorgesehen hatte, sowie die Stellungen, die man den Männern des Fjordlands zur Verteidigung zuweisen wollte.
Alfadas war froh, wenn er dazu kam, vier oder fünf Stunden Schlaf zu finden. Ulric hielt sich, obwohl er sein Pony bekommen hatte, fast immer an seiner Seite. Begierig lauschte er abends allem, was er über Albenmark erfahren konnte, ja manchmal wagte er es sogar, den Kriegsrat mit Fragen zu unterbrechen.
Bis zuletzt trafen jeden Tag neue Freiwillige ein. Alfadas konnte es nicht fassen: Trotz all der abschreckenden Geschichten, die er in Umlauf gebracht hatte, riss der Zustrom der Verzweifelten, die bereit waren, alles zu riskieren, nicht ab. Da sie nicht mehr richtig ausgebildet werden konnten, wurden die Neulinge zu den Bogenschützen und den Kämpfern mit den Stangenbeilen geschickt. Unter den Pikenieren wollte der Herzog niemanden dulden, der seinen Mut nicht in all den mühsamen Übungsstunden der letzten beiden Wochen bewiesen hatte. Ein einziger Mann in der vordersten Reihe, der seine Waffe fortwarf, konnte eine Lücke öffnen, die den Untergang aller bedeutete.