»Gut, dann suchen wir die Flüchtlinge. Es ist besser für die Männer, wenn wir schnell aufbrechen. Sie sollten keine Zeit haben, um darüber nachzudenken, was auf dem Weg durch das Tor geschehen ist.« Alfadas begannen die Zähne zu klappern.
»Du solltest die Kälte nicht unterschätzen, mein Freund. Sie wird dich umbringen. Komm mit!« Ollowain brachte ihn hinter die Zelte in einen Bereich des Lagers, wo dicht an dicht die Lastschlitten der Elfen standen. Mehr als zweihundert Wolfshunde kauerten hier im Schnee. Sie waren nicht angepflockt und beunruhigend ruhig. Mit aufmerksamen Blicken verfolgten sie jeden, der in ihre Nähe kam.
Ein Stück weiter hatte Lambi seine Männer um sich geschart. Der Kriegsjarl stand auf einem der Schlitten und hielt eine Rede.
»Ich hoffe, ihr habt mich verstanden, ihr hirnlosen Hurenböcke. Die Elfen haben uns diese Amulette nur geliehen! Wenn ihr sie verliert, oder, was ich eher glaube, versucht, sie zu stehlen, dann habt ihr mehr Ärger, als ihr schlucken könnt! Die Amulette schützen euch vor der Kälte des Landes. Das ist irgendeine Art von Magie. Legt sie an, und ihr könnt in einer Schneewehe vögeln gehen, ohne dass euch die Arschbacken zusammenfrieren. Ihr braucht keine Decken oder Kleider mehr, um euch vor der Kälte zu schützen. Aber werdet mir nicht übermütig. Diese Amulette schützen euch allein vor der Kälte, vor sonst nichts! So, und jetzt kommt her und holt sie euch. Und vergesst nicht, wir werden sie zurückgeben, sobald wir Albenmark verlassen. Und wenn ein Troll einem eurer Freunde den Schädel zermatscht, sich jemand die Gedärme auskotzt oder beim Scheißen vom Schlag getroffen wird, dann nehmt ihm sein Amulett ab. Wir müssen sie alle zurückgeben! Und ich meine wirklich alle!«
Die Krieger drängten sich um Lambi, der aus einem kleinen Silberkästchen die kostbaren Kleinode herausnahm. Die Amulette sahen wie sehr dünne Goldmünzen aus. Alfadas war überrascht, wie schlicht sie gehalten waren. Ihre einzige Verzierung waren ein paar Wellenlinien, ein Sonnenrad oder ein kleiner Rubinsplitter. Sie alle hingen an schlichten roten Lederschnüren.
Einer der Krieger, ein dicker Kerl mit rotem Backenbart, kam auf Lambi zugestampft. Er hatte sein Amulett an seine Pelzmütze gebunden.
»Mein Zauber ist kaputt«, schnaufte er.
»Du musst ihn auf der nackten Haut tragen«, mischte sich Ollowain ein. »Wenn das Amulett deinen Leib nicht berührt, kann es seine Kraft nicht entfalten.«
Lambi blickte zu dem Elfen. »Verdammt, das hatte ich ganz vergessen.« Er wandte sich noch einmal an seine Männer.
»Habt ihr gehört? Tragt das Elfengold auf der nackten Haut, sonst wirkt der Zauber nicht.«
»Egal wo?«, fragte der Bärtige grinsend.
»Meinetwegen steck dir dein Amulett sonst wo hin, wenn du Spaß dabei hast. Aber wenn du es mir zurückgibst, und es stinkt, dann quetsch ich dir die Eier, bis du es mir blitzblank geleckt hast.«
Der Bärtige lachte. »Habt ihr das gehört, Leute? Unser Kriegsjarl will mir an die Eier. Hoffen wir, dass er bald eine willige Elfe findet, die sich an dem Ding in seinem Gesicht, über das man nicht spricht, nicht stört, sonst wird der geile Bock uns noch der Reihe nach bespringen.«
»Reden die manchmal auch von was anderem?«, fragte Ollowain in seiner Muttersprache.
Alfadas lächelte. »Erfundene Heldentaten lieben sie fast ebenso. Würden sie für jede Lüge ein Kupferstück bekommen, wären sie allesamt reich wie Könige.«
»Und denen willst du die Ketten abnehmen lassen?«
»Machst du dir Sorgen, dass sie einer Elfe zu nahe treten könnten?«
Jetzt war es Ollowain, der lächelte.
»Wenn sie ihre schmutzigen Finger nach einer Elfe ausstrecken, dann können sie diese Finger hinterher einzeln im Schnee aufsammeln gehen. Was glaubst du, was Lysilla oder Silwyna mit diesen Kerlen machen, wenn sie ihnen zu nahe treten?«
»Wir werden mit einigen Männern Probleme bekommen, wenn sie zu lange keine Frau haben«, entgegnete Alfadas ernst.
»Aber das soll nicht die Sorge dieses Tages sein. Verteilen auch die anderen Kriegsjarls die Schutzamulette an ihre Männer?«
»Es geschieht alles so, wie du es geplant hast, Alfadas«, versicherte Ollowain.
Beruhigt trat der Herzog zu Lambi und nahm sich eines der Elfenamulette aus dem Silberkästchen. Kaum hielt er das verzauberte Goldstück in der Hand, durchfloss ihn wohlige Wärme.
Wie viel Macht musste man haben, um so etwas zu erschaffen, dachte er. Und wie viel Weisheit musste ein Volk besitzen, um diese Macht nicht zur Erschaffung von Waffen zu nutzen ...
All die Zauberschwerter, die die Skalden seines Volkes den Elfen so gerne andichteten, könnten sie gewiss Wirklichkeit werden lassen, wenn sie es nur wollten. Und im Augenblick wünschte er sich, sie hätten es getan. Alfadas wusste, dass sie jede Waffe im Kampf gegen die Trolle brauchen würden.
Selbst die Elfen mussten das begriffen haben, warum sonst nahmen sie die Hilfe von Menschen an?
Die Wolfsgrube
Orgrim ging zwischen blühenden Sträuchern und Bäumen umher und schüttelte verständnislos den Kopf. »Nutzlos!«, sagte er verärgert, und Mandrag nickte zustimmend. Die große Haupthöhle der Wolfsgrube, ihrer einstigen Felsenburg, war in einen Blumengarten verwandelt. Obwohl es mitten im Winter war, schmückte sich die Natur mit überbordender Farbenpracht. Und es war unangenehm warm. Hier in dieser Höhle herrschte Frühling. Es war nicht richtig, den unabänderlichen Lauf der Jahreszeiten auf diese Weise zu verhöhnen. Gegen die Natur konnte man sich nicht auflehnen. Sie würde immer siegen. Wer klug war, lebte nach ihren Gesetzen. Jeder Troll wusste das!
»Nichts ist mehr so wie früher«, sagte Mandrag bitter. »Wie mag es erst in der Königsburg aussehen, wenn sie hier schon jede Ordnung der Dinge so verdreht haben!« Er löste seinen Streitkolben vom Gürtel und stapfte mit schweren Schritten hinüber zur Statue eines überheblich lächelnden Elfenfürsten. Ein wuchtiger Hieb zerschmetterte die Marmornase. Wieder und wieder hämmerte er mit der schweren Waffe auf den Stein und löschte die Gesichtszüge des Elfen aus, bis schließlich der Kopf der Statue wegbrach und in ein Rosenbeet rollte. Orgrim und sein Gefolge sahen dem Alten schweigend zu – der hünenhafte Gran, Birga, die Schamanin, und Boltan, der Geschützmeister. Sie alle konnten Mandrags Zorn nachfühlen. Mit dem Einzug in die Wolfsgrube war die Ernüchterung gekommen. Keine ihrer Felsenburgen würde noch so aussehen wie früher. Die Elfen hatten alles verdorben! Sie hatten Jahrhunderte Zeit gehabt, jegliche Erinnerung an das Volk der Trolle auszulöschen, und zumindest hier in der Wolfsgrube hatten sie gründliche Arbeit geleistet. Die Wandgemälde aus Ruß und Blut waren verschwunden, ebenso die Runensteine und die kleinen Felsnischen, in denen man sich mit einem Weib vergnügen konnte, während die Alten beim Feuer saßen und redeten. Alles fort! Stattdessen gab es weite Höhlen mit Gärten, deren Decken in Zauberlicht erstrahlten, Paläste mit Zimmern über Zimmern und allerorten Wasser in Teichen, Becken und Brunnen.
Boltan hatte seine Wange an eine der großen Steinstelen gepresst, die überall im Blumengarten aufragten. »Darinnen fließt Wasser«, sagte er überrascht. Plötzlich erhellte ein strahlendes Lächeln sein Gesicht. »Sie nutzen die Geysire. Der Fels hier ist ganz warm. Deshalb konnten sie im Winter einen Frühlingsgarten erschaffen. Es ist keine Magie!«
Birga stampfte ärgerlich mit ihrem Knochenstab auf den Boden. »Red nicht über Dinge, von denen du nichts verstehst, Geschützmeister! Hier ist überall Magie. Jegliche natürliche Ordnung ist gestört. Sie haben allem hier ihren Willen aufgedrückt!« Die Schamanin zeigte zur Höhlendecke. »Was glaubst du, wie man Fels dazu bringt, taghell zu leuchten? Und wie haben sie all die Höhlen erschaffen? Magie, Magie, Magie!« Sie legte eine Hand auf die geschändete Statue. »Selbst hier fühle ich Magie. Sie haben den Stein weich gemacht, bis sie ihn mit bloßen Händen formen konnten, so wie man feuchten Lehm formt und in eine Gestalt zwingt. Das Land wird uns helfen, die Normirga zu vertreiben. Es ist der Elfen überdrüssig. Es wird sie abschütteln, wie ein Hund Flöhe abschüttelt.«