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Es war beklemmend, durch eine Winterlandschaft zu marschieren und keinerlei Kälte zu spüren. Wind schlug Alfadas ins Gesicht und zerrte an seinem schweren, roten Umhang, aber er biss ihm nicht in die Haut, so wie es sein sollte. Dem Winter war der Stachel genommen. Ohne Zweifel war es angenehmer. Alfadas sah sehr wohl den Raureif im Pelz der Hunde, und er konnte sich vorstellen, wie mörderisch die Kälte sein musste. Wahrscheinlich würde sich sein Atem als Eis in seinem Bart verfangen, wenn er dieses Amulett nicht hätte. Die Kälte würde sein kleines Heer auszehren und die Schwächsten unter den Männern womöglich sogar umbringen. Es war also gut, wenn die Elfen sie schützten. Und doch blieb das Gefühl, dass es nicht richtig war, durch eine Welt aus Eis und Schnee zu wandern und dabei den Winter nicht zu spüren.

Alfadas stieg über einen Felsbrocken hinweg, der auf dem Weg lag. Es ging ihm zu gut, wenn er jetzt schon Zeit fand, sich darüber Gedanken zu machen, dass ihnen eine Mühsal erspart blieb. Der Pfad, der aus dem Felsen geschlagen war, wurde immer enger. Wie lange es wohl gedauert haben mochte, diesen Weg die Klippe hinauf zu bauen? Nirgends sah er die Spuren von Spitzhaken. Er schien natürlich gewachsen zu sein. Aber kein Steilhang wuchs mit einem passenden Weg! Wahrscheinlich hatte Magie diesen gewundenen Pfad erschaffen. Alfadas blickte zurück zu den bewaldeten Bergen, die sie hinter sich gelassen hatten. Dies also war die Heimat von Silwyna. Nie zuvor war er in den Slanga-Bergen gewesen. Sie galten als wilder, ungastlicher Ort. Nirgends gab es so viele beseelte Bäume wie dort. Viele Geschichten rankten sich um diesen Wald. Es hieß, die Magie sei so stark, dass es immer wieder zu plötzlichen magischen Phänomenen kam. So wie man in einem Gewittersturm nie wusste, wo ein Blitz einschlagen würde, so konnte man in dem verwunschenen Wald niemals sicher sein, nicht zum Opfer ungelenkter Magie zu werden. Silwyna hatte ihm viele Geschichten erzählt, in denen Fremde über Nacht von wild wuchernden Dornenranken erwürgt worden waren. So mancher Wanderer wurde von einem Wahn befallen, der ihn fortan im Kreis umhergehen ließ. Hin und wieder entzog der Wald seinen Besuchern gar die Lebenskraft, und sie wurden in einer einzigen Nacht zu Greisen. So war das Land ebenso gefährlich und unberechenbar wie seine Bewohner. Niemand, der seine Sinne beisammen hatte, ging freiwillig dorthin.

Silwyna hatte ihn in den letzten beiden Tagen gemieden. Offensichtlich hatte sie seine Abschiedsworte, die er in der Welt der Menschen zu Asla gesagt hatte, richtig verstanden. Er war in Albenmark, weil er dazu gezwungen war, und er wollte in seine Heimat zurückkehren. Das Band zwischen der Elfe und ihm war zerschnitten. Und nicht er war es gewesen, der es durchtrennt hatte. Sie sollte sich nur keine Hoffnungen machen! Alfadas rutschte und musste sich an der Felswand abstützen, um nicht zu stürzen. Der Weg war vereist. Ihr Voraustrupp hatte zwar Asche von ihrem letzten Lagerfeuer und Sand gestreut, doch das war nur ein Notbehelf. Nie zuvor war er so hoch in die Berge gestiegen. Kein Baum und kein Strauch gedieh hier mehr. Wieder dachte er daran, dass Menschen an diesem Ort fehl am Platz waren. Er war zu schön ... Ohne dass er es wollte, drängte sich die Maurawani in seine Gedanken. Er sollte lieber darauf achten, wohin er seine Füße setzte, statt über sie zu grübeln. Sie sollte keinen Platz mehr in seinem Kopf haben! Warum nur schaffte er es nicht, sich von ihr zu lösen? Er hatte eine Frau, die ihn liebte, und zwei wunderbare Kinder! Was konnte ihm Silwyna im Vergleich bieten? Nur Enttäuschungen!

Sein Blick schweifte wieder über das wilde Bergland, das sie hinter sich ließen. Die Tiefe des Abgrunds hatte etwas Unheimliches. Sie zog ihn an. Alfadas musste dagegen ankämpfen, nicht zu nahe heranzugehen. Ob es den anderen Männern auch so erging? Wenn man so hoch gestiegen und dem Himmel so nah war, fühlte man sich wie ein Vogel. Es war fast, als fliege man.

Außerdem zehrte der Aufstieg in ungewohntem Maße an seinen Kräften. Sein Atem ging keuchend, obwohl er nur ein langsames Schritttempo angeschlagen hatte. Etwas raubte ihm die Luft. Und den anderen Männern um ihn herum ging es ähnlich. Da war ein Stöhnen und Keuchen, als kämpfe sich ein Heer aus Greisen den Berg hinauf. Der Herzog blickte auf. Fünfzig Schritt noch, dann kam eine enge Kehre. Einige der Männer gingen sehr dicht am Abgrund entlang. Die neue Welt und der Zauber, der sie gegen die Kälte schützte, machten sie übermütig. Andere marschierten fast nackt und hatten sich ihre Körper mit grotesken Fratzen bemalt, um wie Berserker auszusehen. Er würde eine Rede halten müssen, bevor sie morgen das Lager abbrachen. Dieser Übermut konnte zu nichts Gutem führen.

Ein Schrei schreckte den Herzog auf. Kaum zwei Armlängen entfernt stürzte ein Mann an ihm vorbei. Seine blauen Augen waren weit aufgerissen und glänzten. Die Arme ausgebreitet wie Vogelschwingen stürzte er in die Tiefe.

Jetzt trat auch Alfadas dicht an den Wegrand. Ein ganzes Stück tiefer sah er den Unglücklichen gegen die Felswand schlagen. Blut spritzte auf. Der Mann fiel weiter, bis er im Dunst tief unter ihnen verschwand. Während Alfadas noch immer in den Abgrund starrte, ertönte ein zweiter Schrei. Schriller und wilder. Mit angelegten Flügeln stürzte ein schneeweißer Falke aus dem Himmel. Auch er verschwand im Nebel am Fuß der Steilwand.

Beklommen trat der Herzog einen Schritt zurück. »Vorwärts!« Die ganze Kolonne hatte angehalten. Mit einigen barschen Worten trieb er die Männer voran. Er tat es auch, um nicht über den Toten nachdenken zu müssen. Er hatte den Namen des Mannes vergessen, aber er konnte sich noch gut erinnern, wie er in Honnigsvald zu ihm gekommen war. Zunächst war er sehr zurückhaltend gewesen, doch dann hatte er sich immer mehr in Begeisterung geredet. Er war der Schmied gewesen, der die Stangenbeile ersonnen hatte.

Was Alfadas am meisten beschäftigte, war der Gesichtsausdruck des Mannes. Der Schmied war nicht gestürzt, er war gesprungen. Und er hatte dabei glücklich gewirkt!

Der Herzog blickte den Weg entlang. Eine Stunde noch, vielleicht ein wenig länger, dann hatten sie die Steilwand bezwungen. Was immer den Schmied gepackt hatte, hoffentlich ergriff es nicht noch mehr Männer! Alfadas hatte sich verschätzt. Es vergingen mehr als zwei Stunden, bis sie die Steilwand hinter sich gelassen hatten und auf eine weite Ebene gelangten. Während der Herzog die Männer in Gruppen formierte, sobald sie den Steilweg verließen, kamen Ollowain und Graf Fenryl zu ihm. Die beiden Elfen in ihren weißen Gewändern verschwammen fast mit dem Hintergrund der verschneiten Ebene.

Fenryl hatte warme, hellbraune Augen. Seine vollen Lippen und sein ungebändigtes, lockiges Haar, ließen ihn weniger abweisend und kühl erscheinen als die übrigen Elfen. Er trug einen weißen Waffenrock von schlichter Eleganz und einen Seidenmantel, der sich schon beim leisesten Lufthauch bauschte. Erst auf den zweiten Blick fiel Alfadas der Falknerhandschuh an Fenryls linker Hand auf.

»Herzog, es wird bald dunkel werden«, begann der Graf, ohne sich mit höflichen Floskeln aufzuhalten. »Ich würde vorschlagen, dass wir das Heer bis nach Einbruch der Dunkelheit marschieren lassen, um noch ein gutes Stück Weg zwischen uns und den Abgrund zu bringen. Ich mache mir Sorgen.«

»Warum?« Alfadas musterte den Elfen scharf. Hatte er ihm etwas verheimlicht?

»Es ist die Luft. Sie ist in der Höhe anders. Den meisten Elfen macht das nichts aus. Nur unser Atem geht schneller, wenn wir uns anstrengen. Aber bei deinen Männern ... Ich weiß nicht, wie es ihnen ergehen wird. Bei Kobolden ist bekannt, dass manche in einen Rausch verfallen und nicht mehr Herr ihrer Sinne sind. Sie haben Halluzinationen und bilden sich die seltsamsten Dinge ein.«