»Zum Beispiel, dass sie fliegen können?«, fragte Alfadas scharf.
Ollowain wich verlegen seinem Blick aus. Der Graf aber nickte. »Ja, das ist schon vorgekommen.«
»Das hättet ihr mir vorher sagen müssen!«
»Wir dachten, es würde euch Menschen nichts ausmachen, weil ihr so viel größer und kräftiger seid.«
»Gibt es noch etwas, wovon du glaubst, dass es meinen Männern nichts ausmachen wird, Graf‘? Ich wäre dir dankbar, wenn du mir in Zukunft beizeiten sagen könntest, wenn du um irgendwelche Kleinigkeiten weißt, die möglicherweise das Leben meiner Männer bedrohen.« Alfadas war immer lauter geworden, und einige der Krieger sahen sich schon nach ihnen um. Sie hatten in der Sprache der Elfen gesprochen, sodass die Fjordländer sie nicht verstehen konnten. Veleif Silberhand blickte neugierig zu ihnen herüber. Auch Lambi war auf sie aufmerksam geworden.
»Würdest du bitte deine Stimme senken, Alfadas?« Ollowain hatte beschwichtigend die Hände gehoben.
»Gibt es noch mehr Probleme, die mit irgendwelchen Hoffnungen von eurer Seite verbunden sind?«, beharrte Alfadas. Es fiel ihm schwer, nicht wieder laut zu werden.
»Das Licht auf dem Eis«, warf Ollowain ein. »Es kann einen blind machen.«
»Das ist nur vorübergehend«, meinte Fenryl rasch. »Wir bedenken sehr wohl, was für deine Männer gut und wichtig ist. Das Licht auf dem Eis stellt keine Gefahr dar, nur eine Unannehmlichkeit. Wir kennen das von den Kentauren und Faunen. Den Kobolden macht es nichts aus. Man kann leicht etwas dagegen tun. Deine Männer müssen nur Augenbinden aus Leder tragen, in die man schmale Sehschlitze schneidet. So sind die Augen geschützt.«
Alfadas blickte zum Himmel. In der letzten Stunde waren Wolken aufgezogen. Die Sonne stand tief am Horizont. Bald würde es dunkel werden. Für heute bestand keine Gefahr mehr, schneeblind zu werden. Er hatte schon davon gehört. Jäger, die sich im Winter weit in den Norden wagten, erzählten davon. Diese Blindheit konnte Tage dauern.
»Ich werde mich darum kümmern, dass sich meine Männer schützen. Sollte ich sonst noch etwas wissen?«
Der Graf lächelte. »Verzeih mir. Ich hätte an den Umstand mit der dünnen Luft denken sollen. Allerdings habe keine Erfahrung mit euch Menschen.« Er hielt inne. »Es gibt da noch etwas. Falls wir in einen Schneesturm geraten, schärfe deinen Männern ein, dass sie dort stehen bleiben, wo uns das Unwetter überrascht. Die Amulette werden sie vor der Kälte schützen. Doch man verliert im Schneetreiben sehr leicht die Orientierung. Die Marschkolonne würde auseinander gerissen und in alle Winde zerstreut werden. Es ist wichtig, im Sturm einfach auszuharren. Wenn ein solches Ereignis eintritt, übernehme ich vorübergehend die Befehlsgewalt. Mein Gefolge wird deinen Männern sagen, was zu tun ist.«
»Was soll das heißen? Ich verliere das Kommando, wenn es anfängt zu schneien?«
»Nur wenn ein Sturm aufzieht«, versuchte Ollowain ihn zu beschwichtigen. »Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine vernichtende Naturgewalt ein Eissturm hier auf der Ebene sein kann. Wenn man keinen Schutz findet, wird man einfach fortgerissen.« Alfadas sah nicht ein, warum er sich jetzt schon Fenryls Forderungen fügen sollte. »Das entscheiden wir, falls wir in einen Sturm geraten.« Er deutete in Richtung der Wolken.
»Steht uns denn ein Sturm bevor?«
»Nein, nur Schneetreiben.« Fenryl hob unvermittelt den linken Arm. Ein weißer Falke landete auf seiner Hand. Im Schnabel hielt er ein blutverschmiertes Schutzamulett. Alfadas sah den Vogel fassungslos an. »Das ist von ... dem Schmied. Dem Mann, der von der Klippe stürzte. Du hast den Vogel darauf abgerichtet, die Amulette zurückzuholen! Du hast gewusst, was passieren würde!«
»Nein, nein, nein!« Graf Fenryl schüttelte entschieden den Kopf. »Ich habe Schneeschwinge lediglich darauf abgerichtet, verlorene Amulette zurückzuholen. Sie sind sehr kostbar, Alfadas, und es dauert lange, ein solches Amulett zu erschaffen. Wir müssen sie zurückhaben, für unsere Kinder! Sie sind nicht einfach zu ersetzen. Ich habe damit gerechnet, dass es Tote geben wird, die man vielleicht nicht ohne weiteres bergen kann. Deshalb habe ich meinen Falken mitgenommen. Ich kann nicht in die Zukunft sehen, Herzog! Ich wusste ebenso wenig wie du, ob jemand beim Aufstieg sterben würde. Doch auch ganz ohne Zauberei war mir klar, dass es auf jeden Fall Verluste geben musste. So verhält es sich nun einmal in einem Krieg!«
Alfadas wandte sich ab und ging wortlos davon. Der Graf hatte Recht. Es war nur vernünftig, was er tat. Und doch machte es dem Herzog zu schaffen, dass sich der Elf wohlweislich auf den Tod der Menschen vorbereitet hatte. Ihn, Alfadas, hatten die ersten Toten unvorbereitet getroffen.
Ihm wurde bewusst, wie lange er aus Albenmark fort gewesen war. Und zugleich fragte er sich erschrocken, ob man ihn in Firnstayn vielleicht so sah, wie er jetzt den Grafen Fenryl empfand. Dessen vorausschauendes Planen war sicher nützlich. Aber darauf vorbereitet zu sein, wie man schwer zu erreichenden Leichen die Amulette wieder abnahm, das erschien Alfadas zutiefst unmenschlich. Sein Fehler! Was erwartete er schon von Elfen! Wie sollten sie menschlich sein?
»Was ist mit dir?« Ollowain war ihm gefolgt.
»Nichts!« Alfadas winkte müde ab. Er wollte nur allein sein, soweit es als Herzog inmitten seines Heerzuges möglich war.
»Graf Fenryl möchte wissen, ob er dich in irgendeiner Weise beleidigt hat. Wenn dem so ist, will er sich bei dir entschuldigen.«
»Ich muss über einige Dinge nachdenken. Richte dem Grafen aus, dass alles in Ordnung ist.« Das war gelogen, doch Alfadas hatte nicht die Kraft, mit dem Elfen eine Debatte über etwas zu führen, das man ihm nicht begreiflich machen könnte. Die Sache mit dem Falken ... Sie war logisch, und sie entsetzte ihn dennoch! Alfadas marschierte mit den Männern. Wie alle anderen trug er eine Tasche mit Notvorräten und lehnte es ab, auf einem der wenigen Pferde zu reiten. Es machte ihm zu schaffen, dass er sich an den Namen des Schmieds nicht erinnern konnte. Er redete mit den einfachen Bauern, die nie zuvor ein Land gesehen hatten, das nur aus Eis und Felsen bestand. Ein Land, in dem niemals etwas wachsen würde und um das man dennoch Krieg führte. Er sprach mit den jungen Kriegern aus der Leibwache des Königs, die sich ihnen zuletzt noch angeschlossen hatten. Sie brannten auf ihre erste Schlacht und versteckten ihre Angst hinter Prahlerei.
Am liebsten war Alfadas bei Lambi und dessen Männern. Der Kriegsjarl schaffte es, stets mit einer Rüstung aus grimmigem Humor gewappnet zu sein. Er vermittelte seinen Kriegern den Eindruck, dass ihn nichts umwerfen könnte. Das machte ihnen Mut. Man glaubte irgendwie, dass es nicht so schlimm kommen könnte, wenn er in der Nähe war.
Alfadas wünschte sich, er wäre mehr wie Lambi. Die Männer seines Heeres hielten ihn, ihren Herzog, für unbesiegbar. Das war ein zerbrechlicher Ruhm. Er wäre lieber der Mann, der selbst in der Niederlage noch einen dreckigen Witz über seine Feinde machen konnte und die Zuversicht verbreitete, dass der nächste Kampf besser laufen würde. Die erste Niederlage würde das Vertrauen seiner Männer in ihn auslöschen. Und wie sollte man gegen Trolle siegen?
Alfadas behielt seine Gedanken für sich. Er wanderte weiter und half dabei, das Lager einzurichten. Sie spannten Schutzwände gegen den Wind. Auf dem blanken Eis war es unmöglich, ein Lagerfeuer zu entzünden. Doch die Elfen stellten große Kupferschalen auf Stelzbeinen auf, in denen sie Feuer entfachten. Obwohl niemand fror, sammelten sich die Menschen in Scharen um die wenigen Feuerschalen. Ihr Licht war das Versprechen, dass die Dunkelheit vorübergehen würde.
Alfadas gab den Befehl, einige der Schafe zu schlachten. Allein der Bratenduft hob schon die Stimmung unter den Männern. Sie schnitten das Fleisch in breite Streifen und warfen es in die Glut der Feuerschalen, bis es eine dunkle Kruste bekam.
Der Herzog beobachtete, wie Ronardin, der Brückenwächter aus Phylangan, ihnen mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu zusah. Er hatte gewiss in all den Jahrhunderten seines Lebens noch kein Stück Fleisch gegessen, das außen schwarz verbrannt war und im Inneren noch roh und blutig.