Lambi schüttelte missbilligend den Kopf. »Das hier sind keine fjordländischen Straßenköter«, sagte er tadelnd. »Ich sehe geradezu vor mir, wie die sich die Seele aus dem Leib kotzen werden, krank auf den Schlitten liegen und man uns an ihrer Stelle in die Geschirre spannt. Ich glaube, es ist besser für uns alle, wenn manche Angewohnheiten deines alten Herrn in Vergessenheit geraten. Auch wenn er verflucht noch mal der Held ist, der den Manneber erschlagen hat.«
Alfadas machte einen weiten Schritt über eine kleine Gestalt hinweg, die im Schnee lag. Ein Kobold. Seine toten Augen starrten zum Himmel. In der Faust hielt er ein Messer. Wie mutig musste man sein, um sich mit solch einer jämmerlichen Waffe einem Feind zu stellen, der sieben Mal größer war als man selbst!
Vor ihnen erklang Kampflärm, doch der Feind war immer noch nicht zu sehen. Das Schneetreiben verhüllte das Schlachtfeld vor ihrem Blick und gab nur einzelne Szenen des Grauens preis. Alfadas wich einem umgestürzten Schlitten aus. Eine graue Stute hing noch im Geschirr. Ein Schlag in den Rücken hatte ihre Wirbelsäule zerbrochen. Die Hinterläufe lagen grotesk verdreht auf dem Eis. Leise wiehernd versuchte das Tier, sich auf die Vorderbeine zu stemmen. Mit seinen verzweifelten Anstrengungen hatte es sich schon wund gescheuert. Der Herzog strich der Stute durch die Mähne und sprach beruhigend auf sie ein. Mit einem sanften Schnitt öffnete er die dick hervortretenden Schlagadern an ihrem Hals. Nun würde sie nicht mehr lange leiden. Hinter dem Schlitten lag ein Elf. Er war unter das umstürzende Gefährt geraten. Sein Brustkorb war zerschmettert. Schnee hatte sich in seinen weit aufgerissenen Augen und in den Nasenlöchern gesammelt. Nicht mehr lange, und das Leichentuch des Winters würde ihn völlig zudecken.
»Könnte ich dich um etwas bitten«, fragte Lambi mit rauer Stimme.
Der Herzog blickte auf. »Was?«
»Wenn ich verwundet werde, dann kümmere dich bitte nicht um mich.« Der Krieger lächelte schief. »Ich möchte schließlich nicht, dass es mir wie diesem Gaul ergeht.«
Alfadas nickte sanft. »Hast du auch Angst?«
Vor ihnen erklang ein langer, urtümlicher Schrei. Fast wie das Brüllen eines Bären, der nach dem Winterschlaf den Frühling begrüßte. Auch Waffenklirren war zu hören.
Lambi rieb sich über seine verstümmelte Nase. »Natürlich habe ich Angst. Ich mach mir fast in die Hosen. Ich wünschte, es würde endlich losgehen. So schlimm wie ich sie mir vorstelle, können die Trolle gar nicht sein. Sie endlich vor mir zu haben, wird eine Erleichterung sein.«
»Du bist sicher, dass ich keine Trollleber an die Hunde verfüttern sollte?«
Lambi zog eine Grimasse. »Könntest du mit den blutrünstigen Geschichten über deinen Vater eine Pause machen, bis wir das hier hinter uns haben? Es wird dich vielleicht überraschen, Herzog, aber bevor es zu einer Schlacht kommt, habe ich immer einen sehr empfindlichen Magen.«
Alfadas blickte ihn betroffen an. »Wirklich?«
Lambi nickte ernst. »Ja. Etwa so empfindlich wie der Magen eines Bluthunds, der gerade die Eingeweide eines Hirschs verschlingt.« Der Kriegsjarl brach in schallendes Gelächter aus.
»Sehe ich vielleicht aus wie ein Mann, der in den Schnee kotzt, nur weil ihm ein bisschen Blut auf die Klinge spritzt?«
Vor ihnen lag eine zerbrochene Truhe. Der Wind zerrte an einem hauchzarten Kleid, das sich im zersplitterten Holz verfangen hatte. Kisten, Fässer und sogar Möbelstücke, die auf dem Eis verstreut lagen, zeugten davon, wie die Elfen verzweifelt versucht hatten, ihre Schlitten zu erleichtern, um den Trollen zu entkommen.
Lambi hob den zarten Stoff an seine zerstörte Nase und schnupperte daran. »Köstlich!«, rief er Alfadas zu. Eine Elfe in einem lindgrünen Kleid taumelte ihnen entgegen. Ihr rotes Haar war zerzaust, die Augen weit vor Panik. Von einem ihrer langen, spitzen Ohren rann ein dünner Faden Blut ihren Hals hinab.
»Bei den Göttern! Luth hat meine geheimsten Wünsche erhört!«, rief Lambi und eilte der Elfe entgegen. Plötzlich übertönte ein röhrender Schrei den Gesang des Windes. Eine riesige Gestalt schälte sich aus dem weißen Schneegestöber. Sie war mehr als drei Schritt groß und trug nur einen Schurz aus schmutzigen Fellen. Die Haut war grau und erinnerte an Felsgestein. Und wie einem Felsen so schien auch diesem Monstrum die tödliche Kälte nicht das Mindeste auszumachen. Einen Augenblick wirkte der Troll überrascht. Dann hob er seine Keule, stieß einen markerschütternden Schrei aus und stürmte geradewegs auf Lambi zu. Der kleine Krieger ließ sich flach auf den Boden fallen und entging so dem ersten wuchtigen Hieb. Alfadas starrte den Troll wie versteinert an. Nichts, was er je über diese grässlichen Ungeheuer gehört hatte, kam der Wirklichkeit auch nur entfernt nahe. Auch die anderen Männer ringsherum waren erstarrt. Entsetzt blickten sie dem Tod entgegen.
Lambi rollte sich verzweifelt zur Seite. Nur wenige Fingerbreit neben seinem Kopf hämmerte die große Keule auf das Eis. Der Kriegsjarl hatte seine Waffe verloren. Hilflos rollte er hin und her und versuchte den Hieben zu entgehen.
Endlich schaffte Alfadas es, den Schrecken zu überwinden. Sein Freund würde sterben.
»Hierher, du dreckige Missgeburt!«, schrie er.
Der Troll wandte ruckartig den Kopf. Sein schmaler, lippenloser Mund verzog sich zu einem Lächeln. Der Herzog stürmte vor und unterlief die Keule des Hünen. Seine Klinge bohrte sich tief in den Oberschenkel des Trolls, doch sein Gegner grunzte nur. Ein Schlag mit der Rückhand traf Alfadas ins Gesicht. Es war bloß eine Ohrfeige, aber die Ohrfeige eines Riesen. Der Herzog wurde von den Beinen gerissen und segelte ein gutes Stück durch die Luft. Sein Schwert steckte immer noch im Bein des Trolls.
Das Ungeheuer stürmte nun den anderen Kriegern entgegen. Ein Keulenschwung ließ den Schädel eines Stangenbeilträgers zerplatzen. Stöhnend kam Alfadas auf die Beine.
»Greift ihn als Gruppe an!«, schrie er. »Sonst wird er euch einen nach dem anderen töten!«
»Nimm das hier!« Lambi hatte sich aufgerappelt, zog eine Axt aus seinem Gürtel und warf sie Alfadas zu. Geschickt fing der Herzog die Waffe aus der Luft und stürzte sich wieder in den Kampf. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Lambi ihm folgte; er war nur noch mit einem Messer bewaffnet.
Die Stangenbeile der Krieger zuckten vor und zurück. An den Spitzen der Waffen waren lange, vierkantige Eisendornen. Sie drangen dem Troll in Arme und Brust, vermochten ihn aber nicht schwer zu verwunden. Der Hüne ließ seine Keule kreisen und zersplitterte die Schäfte der Waffen, wenn die Krieger nicht schnell genug zurücksprangen. Er brüllte etwas in einer tiefen kehligen Sprache. Ob er wohl Angst hatte?, fragte sich Alfadas.
Lambi schlich sich von hinten an den Troll und stieß ihm seinen Dolch tief in die Kniekehle. Mit einem schrillen Schrei sackte das Ungeheuer seitlich zusammen. Stangenbeile fuhren nieder. Die breiten Axtklingen schlugen klaffende Wunden in Schultern und Rücken des Trolls. Noch im Todeskampf schaffte es das Ungeheuer, nach einer der Waffen zu schnappen. Er zog den blonden Krieger, der sie führte, mit einem Ruck zu sich heran und zerschmetterte ihm mit einem Kopfstoß den Brustkorb.
Ein weiterer Hieb traf den Troll in den Nacken. Alfadas konnte das Splittern von Knochen hören. Die Arme weit ausgebreitet, sank der Hüne nach vorn und begrub den sterbenden Krieger unter seinem Leib. Alfadas trat vor und zog sein Schwert aus dem Oberschenkel des Trolls. Der Herzog sah sich um. Zwei seiner Männer waren tot, zwei weitere so schwer verletzt, dass sie lange nicht mehr würden kämpfen können. »Sieg!«, schrie Lambi. »Sieg! Sie sind auch nur aus Fleisch und Blut, wenn auch aus verdammt viel von beidem.«
»Still!«, rief Alfadas. Das Wüten des Sturms hatte nachgelassen. Deutlich war ein kehliger Ruf zu hören. Rechts und links von ihnen erklang Schlachtenlärm. Todesschreie.
»Dorthin!« Der Herzog stürmte dem Geschrei entgegen. Sie fanden zwei weitere Trolle, die ein Blutbad unter den Kriegern aus dem Fjordland angerichtet hatten.
Ronardin, der Wächter der Mandan Falah, versuchte die beiden Trolle von einem Verletzten abzulenken, der verzweifelt über den Boden robbte.