Lambi griff sich mit großer Geste an die Brust. »Glaubst du, nur weil ich der tödlichste Krieger in diesem Sauhaufen bin, hätte ich kein Herz, Jarl? Solche Scherze verletzen mich. Aber ich verzeihe dir, denn deinen Worten entnehme ich, dass du, was die Ringkämpfe der Liebe angeht, noch ein grüner Junge sein musst. Sonst wüsstest du, dass man sehr viel Spaß haben kann, ohne dass man sich dabei ins Antlitz sehen muss.«
»Hör auf, von Weibern zu quatschen, Lambi, und sieh der Wahrheit ins Auge!«, blaffte Ragni wütend. »Für mich sind die Feiglinge diejenigen, die sich mit eingekniffenem Schwanz vom Schlachtfeld verziehen.« Lambi griff sich ans Gemächt. »Also bei mir ist hier noch alles in Ordnung, Alter. Nichts verkniffen oder abgeklemmt. Überhaupt frage ich mich, ob wir heute am selben Ort waren. Ich war dabei, als ein Mann, der vor ein paar Wochen noch ein Bäckergehilfe war, einem Troll fast den Kopf abgehackt hat. Ich habe hunderte Männer gesehen, die mutig vorgestürmt sind, obwohl sie wussten, dass im Schneetreiben ein schrecklicher Feind auf sie lauert.« Er fasste sich an die Stirn. »Ach ja, ich hätte es fast vergessen. Ich habe auch noch einen Trupp Trolle gesehen. Es müssen mehr als zweihundert gewesen sein. Sie standen auf einem Hügel, von dem sie sich nicht heruntergetraut haben. Sie sind größer als Höhlenbären, und sie haben sich nicht hinab auf eine Ebene getraut, die von ehemaligen Bäckergesellen, Bauern und Fährleuten verteidigt wurde. Wir haben dort unten gestanden und auf sie gewartet. Und was haben sie getan? Aus der Ferne mit Steinen nach uns geschossen. Das war alles, wozu ihr Mut reichte.«
»Und dann sind diese mutigen Männer abgehauen«, rief Ragni.
Lambi breitete in verzweifelter Geste die Arme aus. »Oh, Luth, was habe ich dir getan? Warum schickst du in steter Folge Trottel in mein Leben und so selten hübsche Frauen? Was hat es mit Mut zu tun, sich als Zielscheibe für Trolle hinzustellen, Ragni? Den Göttern sei Dank, dass unser Feldherr mit mehr Verstand gesegnet ist als manche seiner Kriegsjarls! Ich fühle mich nicht als Feigling, weil ich nicht darauf gewartet habe, bis mir ein paar Trolle die Rübe wegschießen. Wären wir dort stehen geblieben, dann hätten wir den Trollen einen Sieg geschenkt.« Lambi deutete hinaus in die Dunkelheit. »Aber wo sind sie, die vermeintlichen Sieger? Sie trauen sich nicht, uns zu folgen, diese tapferen Steinhäute. Und dann seht euch einmal weiter um. Ich sehe dutzende von Elfenweibern, Kindern und Alten. Die Beute der Trolle. Wir haben sie ihnen entrissen! Kann derjenige der Verlierer sein, der mit der Kriegsbeute vom Feld zieht?«
»Nein!«, rief jemand in der Menge. »Nein!«, fielen sogleich weitere Stimmen ein. »Nein!«
Lambi breitete die Arme aus, um die Menge zum Schweigen zu bringen. »Vielleicht schicken sie uns ein paar Späher hinterher, die durch die Nacht schleichen, um uns Angst zu machen. Das ist die Art der Feiglinge, die das helle Tageslicht fürchten. Meinen Respekt haben die Trolle erst wieder, wenn sie sich uns zur Schlacht stellen. Bevor sie sich nicht so nahe an uns herantrauen, dass wir das Weiße in ihren Augen sehen, spucke ich auf diese Schisser!«
Der Kriegsjarl zog geräuschvoll die Nase hoch und spuckte in den Schnee. Dann sah er sich grinsend um. »Den Schlaueren unter euch ist sicher schon aufgefallen, dass ich ein ziemlich respektloser Geselle bin. Und ich bin verdammt froh, dass ich Kriegsjarl bin, denn ich mag es nicht, anderen Männern nach der Pfeife zu tanzen. Nur für einen gilt das nicht. Für den Mann, der es geschafft hat, aus einem Haufen von Halunken und Tagelöhnern ein Heer zu machen, vor dem Trolle Angst haben. Bis heute war ich davon überzeugt, dass der Tag, an dem wir auf das Trollheer treffen, das eine ganze Elfenstadt ausgelöscht hat, mein letzter Tag sein würde.« Lambi deutete auf Ragni. »Ich weiß, du kannst mich nicht leiden, Kriegsjarl. Aber ich wette, was diese eine Sache angeht, waren wir heute Morgen noch derselben Meinung. Und du, Veleif Silberhand, du hast bestimmt nicht anders gedacht. Oder du, Rolf Svertarm. Oder du, Yngwar!«
Bis auf das leise Knistern der Feuer war es totenstill. Viele Männer nickten gedankenverloren. Lambi schwieg ein paar Herzschläge lang, um seine Worte wirken zu lassen.
»Wenn ich das nächste Mal den Trollen gegenüberstehe, dann sollen sie zu hören bekommen, dass ihre Ängste einen Namen haben. Sie sollen wissen, wer der Mann ist, der ihnen den Schneid für einen Angriff genommen hat. Dieser Name soll mein Schlachtruf sein, und ich will, dass sie zittern, wenn sie ihn hören. Alfadas Trollschlächter!
Los, lasst ihn die Trolle hören, die jetzt vielleicht heimlich um unser Lager schleichen!« Lambi zog sein Schwert und reckte es dem Himmel entgegen. »Alfadas Trollschlächter!«
Hundertfach wurde der Ruf des Kriegsjarls aufgenommen. Die Männer drängten sich um den Herzog. Immer wieder erklang ihr neuer Schlachtruf, und schließlich hoben sie Alfadas auf ihre Schultern. Auch Lambi wurde von der Menge gepackt und emporgehoben. Immer weiter peitschte er die Männer mit seinem Schlachtruf auf, und Alfadas schien es, als sei eine Ewigkeit vergangen, bis sich die aufgewühlte Menge wieder beruhigte. Dutzende Männer luden den Herzog ein, mit ihnen zu trinken, und fast bis zur Morgendämmerung ging er von Feuer zu Feuer, um mit ihnen zu sprechen. Und sie alle brannten darauf, wieder gegen die Trolle zu kämpfen. Zuletzt suchte Alfadas nach Lambi. Er fand ihn schließlich etwas abseits im Windschatten eines Schlittens liegend. Der Kriegsjarl hielt einen halb leeren Weinschlauch im Arm und schlief.
Der Herzog betrachtete ihn schweigend, und er fragte sich, womit ihn der kleine Krieger wohl als Nächstes überraschen würde. Plötzlich schlug Lambi die Augen auf. Er blinzelte schlaftrunken.
»Du findest wohl keine Ruhe in dieser Nacht.«
Alfadas nickte. »Ich frage mich, ob das alles nur schöne Worte waren oder ob du wirklich glaubst, was du den Männern erzählt hast.«
Lambi grinste schelmisch. »Was soll ich glauben? Dass Svanlaug uns ins Gesicht lacht? Die Herrin des Sieges ist eine Hure. Man weiß nie, in wessen Bett sie sich legen wird.«
»Du weißt, dass ich nicht davon rede.«
Lambi setzte sich auf. Sein Atem roch nach süßem Wein, doch seine Stimme war ganz klar. »Es macht einen guten Feldherrn aus, dass er weiß, welchen Mann er zu welcher Zeit an welcher Stelle am besten einsetzt. Und es macht einen sehr guten Feldherrn aus, dass er diesen Mann nicht aufhält, wenn er von sich aus entscheidet, dass seine Zeit gekommen ist.«
»Du musst mir nicht schmeicheln, Kriegsjarl.«
Lambi stieß ein kurzes, bellendes Lachen aus. »Sehe ich vielleicht aus wie ein Schmeichler und Speichellecker, Feldherr? Lerne, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Und enttäusche mich nicht. Du bist der Mann, der dafür sorgen wird, dass wir den Trollen so heftig in den Hintern treten werden, dass sie unsere Schuhsohlen auf der Zunge schmecken. Ich glaube an dich, Alfadas.«
Das letzte Aufgebot
Landoran, der Fürst der Snaiwamark und von Carandamon, beobachtete den Boten, der mit festem Schritt über die Mandan Falah eilte. Sandowas war der letzte Gesandte, der nach Phylangan zurückkehrte. Der Elfenfürst erwartete ihn in dem kleinen Pavillon nahe der Brücke.
Kies knirschte unter den Schritten des Boten. Als er eintrat, kniete er nieder und schlug schwungvoll seinen langen Umhang zurück. Sandowas hatte goldblondes Haar, das von einem silbernen Stirnreif gehalten wurde. Er trug Wildlederstiefel, die ihm bis über die Knie reichten, und ein dunkelgrünes Wams, das mit Perlen bestickt war. Sein roter Umhang hatte einen breiten Goldsaum.
Etwas zu üppig, dachte Landoran beiläufig, als er den jungen Elf betrachtete. Auch das Schwert und den Dolch, deren Handschutz einer Muschel nachempfunden war, erachtete er als zu protzig. Doch wie so vieles war wohl auch der Geschmack eine Frage des Alters. Kurz überlegte der Elfenfürst, ob Sandowas wohl der Richtige für die Mission im Herzland gewesen war. Auf der anderen Seite war sie sehr einfach gewesen. Und auch die Jungen mussten irgendwann damit beginnen, Erfahrungen zu sammeln.