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Er schlug seinen Mantel um sich, grüßte den Valtam und ging mit großen Schritten über das Feld in die Stadt. Mit Unverständnis und Bitterkeit in den Augen blickten sie ihm nach.

In der Stadt herrschte der Hunger. Er konnte ihn fast hinter den dunklen Mauern spüren, den Hunger der verzweifelten, zerlumpten Leute, die vor ihren Feuern hockten und sich fragten, ob sie wohl den Winter überstehen würden.

Einen Augenblick lang gedachte er derer, die sterben würden, wagte aber nicht, den Gedanken weiter zu verfolgen.

Er hörte jemanden singen und verhielt seinen Schritt.

Ein fahrender Sänger, der sich von Stadt zu Stadt bettelte, kam die Straße herunter, während ihn sein zerlumpter Umhang wunderlich umflatterte. Mit dürren Fingern zupfte er seine Harfe, und seine Stimme erhob sich zu einer alten Ballade, die all die rauh klingende Musik, den großartigen, ehernen Klang der alten Sprache von Naarhaym auf Skontar zum Ausdruck brachte. Einen Augenblick lang empfand Skorrogan seltsames Vergnügen daran, einige Zeilen in Gedanken ins Terrestrische zu übersetzen:

Wild wecken fliegende Vögel die Toten des Winters für die Wege der Meere. Liebste, sie locken, singen von Siegen, Ruhm für den Ritter. Leb wohl, Geliebte!

Es ging nicht. Das lag nicht nur daran, daß der metallische Rhythmus und die harten, bellenden Silben verlorengingen, sowie der verschlungene Stabreim — es ergab auf Terrestrisch einfach keinen Sinn. Es fehlten die gemeinsamen Grundbegriffe. Wie konnte man zum Beispiel ein Wort wie Vorkansraavin als Ritter wiedergeben und hoffen, mehr als einen verstümmelten Teil der Bedeutung zu vermitteln?

Die geistige Einstellung war einfach zu verschieden.

Und darin lag vielleicht seine Antwort an die Großhäuptlinge. Aber sie würden sie nicht anerkennen. Sie konnten es nicht. Und er war allein, und der Winter war wieder im Anzug.

* * *

Valka Vahino saß in seinem Garten und badete seine bloße Haut im Sonnenlicht. In diesen Tagen hatte er nicht oft Gelegenheit zu einem Aliacavi — wie war nur das alte terrestrische Wort dafür? Siesta? Nein, das war falsch. Ein ruhender Cundaloaner schlief nicht am Nachmittag. Er saß oder lag im Freien, während die Sonne bis in seine Knochen drang, oder ein warmer Regen ihn berieselte, und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Die Solarier nannten es Tagträumen, aber das war es nicht, sondern — nun, sie hatten kein richtiges Wort dafür. Psychische Erholung war ein unbeholfener Ausdruck, und die Solarier verstanden nie.

Manchmal erschien es Vahino, als habe er nie gerastet, seit einer Ewigkeit von Jahren nicht. Die dringlichen Pflichten des Krieges und dann seine hektischen Reisen nach Sol — und seither, in den vergangenen drei Jahren war er vom Hohen Haus zum höchsten Verbindungsoffizier ernannt worden, weil man annahm, daß er die Solarier besser als jeder andere in der Liga verstand.

Vielleicht stimmte das. Er hatte viel Zeit zusammen mit ihnen verbracht, und er mochte sie als Rasse und als Individuen. Aber — bei allen Geistern, wie sie arbeiteten! Wie sie sich hetzten! Als seien ihnen Dämonen auf den Fersen.

Nun, es gab keinen anderen Weg des Wiederaufbaus, die alten, hinfälligen Methoden zu reformieren und sich mit den Gedanken an den Reichtum vertraut zu machen, der auf sie wartete. Jetzt aber beruhigte es ihn außerordentlich, in seinem Garten zu liegen, während große, goldene Blumen rings um ihn im Wind nickten und die Sommerluft mit ihrem einschläfernden Geruch erfüllten, hie und da ein honigsuchendes Insekt vorübersummte und ein neues Gedicht in seinem Kopf entstand.

Die Solarier schienen Schwierigkeiten zu haben, eine ganze Rasse von Dichtern zu verstehen, wo selbst der dümmste Cundaloaner sich in die Sonne legen und Gedichte machen konnte — nun, jede Rasse hat ihre besonderen Eigenschaften. Wer konnte sich mit dem technischen Genie messen, das die Menschen ihr eigen nannten?

Die gewaltig sich emporschwingenden, singenden Zeilen donnerten in seinem Kopf. Er betrachtete sie von allen Seiten, polierte an ihnen und formte jede Silbe, ehe er sie mit wachsender Freude zu einem Ganzen webte. Es würde gut werden! Man würde sich daran erinnern und es noch nach einem Jahrhundert singen, und man würde Valka Vahino nicht vergessen. Vielleicht feierte man ihn sogar als einen Meister der Versschmiedekunst — Alia Amaui cauian-riho, valana, valana, vro!

„Entschuldigen Sie, Herr.“ Die leblose, metallische Stimme bohrte sich in sein Gehirn. Er fühlte, wie das zarte Gewebe seines Gedichtes zerriß und in Dunkelheit und Vergessen gewirbelt wurde. Einen Augenblick lang spürte er nichts als den Schmerz seines Verlustes, und er erkannte dumpf, daß die Unterbrechung etwas zerstört hatte, was er nie wieder ganz würde erschaffen können.

„Entschuldigen Sie, Herr, aber Mr. Lombard möchte Sie sehen.“

Es war ein Schallstrahl des Robo-Empfangschefs, den Lombard selbst Vahino gegeben hatte. Der Cundaloaner erkannte wohl, daß das glänzende Metallgerät nicht zwischen das geschnitzte Holz und die alten Wandteppiche seines Hauses paßte, aber er hatte den Spender nicht beleidigen wollen — außerdem war das Ding nützlich.

Lombard, Chef der solaren Wiederaufbaukommission, der wichtigste Mensch im System von Avaiki — Vahino wußte die Höflichkeit des Mannes zu schätzen, der ihn aufsuchte, anstatt ihn rufen zu lassen. Bloß — warum mußte er gerade in diesem Augenblick kommen?

„Sag Mr. Lombard, daß ich in einer Minute fertig bin!“

Vahino betrat durch den Hintereingang das Haus und zog sich an. Dann ging er ins Vorzimmer. Zur Bequemlichkeit der Terraner, die nicht gern auf einer geflochtenen Matte hockten, hatte er einige Sessel aufstellen lassen.

Lombard erhob sich, als Vahino eintrat.

* * *

Der Mensch war klein und gedrungen, mit einem dichten Büschel grauer Haare über einem zerfurchten Gesicht. Er hatte sich vom Arbeiter zum Ingenieur und weiter zum höchsten Bevollmächtigten von Sol auf Cundaloa emporgearbeitet, und die Zeichen dieses Kampfes fanden sich noch an ihm. Er ging an Arbeit mit einem fast persönlichen Ungestüm heran und konnte härter sein als Edelstahl. Aber meistens war er angenehm. Er besaß erstaunlich viele Interessen und ein großes Wissen und hatte für das Avaikisystem Wunder vollbracht.

„Friede über deinem Haus, Bruder“, grüßte Vahino.

„Wie geht’s“, antwortete der Solarier. Als sein Gastgeber nach Dienern rufen wollte, fuhr er hastig fort: „Bitte, nichts von eurer rituellen Gastfreundlichkeit! Ich schätze sie, aber wir haben einfach keine Zeit, uns zu einer Mahlzeit niederzulassen und drei Stunden über kulturelle Angelegenheiten zu unterhalten, bevor wir zur Sache kommen.

Ich wünschte — hm, Sie sind ein Eingeborener hier und ich nicht; daher möchte ich, daß Sie persönlich durchsickern lassen — taktvoll natürlich —, daß dies eingestellt wird.“

„Aber — das ist einer unserer ältesten Bräuche…“

„Das ist es ja gerade! Alt, überholt, fortschrittsfeindlich.

Ich möchte nicht geringschätzig wirken, Mr. Vahino. leb wollte, wir Solarier hätten einige Bräuche, die so bezaubernd sind wie eure. Aber — nicht während der Arbeitszeit.

Bitte!“

„Gut — ich wage zu sagen, daß du recht hast. Es paßt nicht in eine moderne, industrielle Zivilisation. Und eine solche versuchen wir ja aufzubauen.“ Vahino nahm Platz und bot seinem Gast eine Zigarette an. Rauchen war eines der charakteristischen Laster von Sol, vielleicht das anstekkendste, sicher aber das am leichtesten zu verteidigende.