Sensenbrink trug das, was man in diesen Tagen wohl unter einem erstklassigen Anzug versteht. Er versuchte gelassen zu wirken, aber ich sah natürlich, dass er blass war, die Blässe des Spielers, der weiß, dass er den Verlust nicht ertragen könnte, mehr noch, dass er den Augenblick nicht ertragen könnte, in dem deutlich wird, dass der Verlust unabwendbar ist. Diese Sorte von Menschen hat nie ein eigenes Ziel vor Augen, sie wählen jeweils das Ziel, das den nächsten Erfolg verspricht, und sie erkennen dabei nicht, dass dieser Erfolg niemals ihr eigener sein wird. Diese Menschen hoffen, sie wären Erfolgsmenschen, doch sie sind nur Erfolgsbegleiter, und weil sie das ahnen, fürchten sie den Augenblick der Niederlage, in dem deutlich wird, dass der Erfolg nicht nur nicht der ihre ist, sondern sogar nicht einmal von ihrer Begleitung abhängig ist. Sensenbrink bangte um seine Reputation, nicht um die nationale Sache. Es war absolut sicher, dass Sensenbrink niemals für Deutschland und mich vor der Feldherrnhalle im Kugelhagel verbluten würde. Im Gegenteiclass="underline" Wie zufällig gesellte er sich näher zur Dame Bellini, und wer nicht völlig blind war, konnte sehen, dass trotz all seines aufgeblasenen Selbstbewusstseins es letztlich er war, der sich von ihr moralische Unterstützung erhoffte. Das verwunderte mich nicht.
Ich habe vier Paradefrauen in meinem Leben kennengelernt. Frauen, die für eine Partnerwahl natürlich undenkbar gewesen wären. Ich meine: Da kommt Mussolini zu Besuch oder Antonescu, und wenn man dann solch einer Frau sagt, sie möge jetzt ins Nebenzimmer gehen und nicht ungefragt störend herauskommen, dann muss man auch sicher sein, dass das so geschieht. Eva hat das gemacht, von den vieren hingegen hätte ich das nie verlangen können. Die Riefenstahl zum Beispiel gehörte dazu, eine wunderbare Frau, aber die hätte mir bei so einem Ansinnen doch die Kamera an den Kopf geschmissen! Und so eine war die Dame Bellini wohl auch, die war so recht vom Kaliber dieses verehrungswürdigen Quartetts.
Ich denke nicht, dass jemand anderes als ich gemerkt hat, wie auch sie um die Bedeutung dieser Stunden, dieser Minuten wusste, aber was hat sich diese fantastische Frau im Griff gehabt! Sie zog vielleicht eine winzige Spur kräftiger an ihrer Zigarette, als man es sonst manchmal an ihr sah, aber das war auch schon alles. Ihr sehniger, straffer Körper hielt sich aufrecht, sie war aufmerksam, stets bereit zu hilfreichen Anweisungen, zur richtigen, raschen Reaktion, wie eine lauernde Wölfin. Und kein einziges graues Haar, sie mochte vielleicht sogar jünger sein als geschätzt, Ende dreißig, ein Prachtweib! Deutlich war ihr auch anzumerken, dass ihr die plötzliche Nähe des Sensenbrink unangenehm war, nicht, weil sie ihn als aufdringlich empfunden hätte, nein, weil sie seine Weichlichkeit verachtete, weil sie spürte, dass er ihr nicht seine Kraft zur Verfügung stellte, sondern sich vielmehr selbst an ihrer Energie festhielt. Ich hatte große Lust, sie fragen zu lassen, wie sie den Abend verbrächte. Ich dachte plötzlich mit einer gewissen Wehmut an die Abende auf dem Obersalzberg. Wir saßen oft noch lange gemütlich zu dritt, viert, fünft beisammen, manchmal habe ich etwas erzählt, manchmal nicht, ja manchmal haben wir auch über Stunden geschwiegen, unterbrochen von einem gelegentlichen Husten, oder ich habe auch einmal den Hund gestreichelt, ich habe diese Zusammenkünfte immer als sehr besinnlich empfunden. Es ist ja auch nicht immer einfach, als Führer ist man einer der wenigen Menschen im Staate, die auf die einfache Freude eines gewöhnlichen Familienlebens verzichten müssen.
Und in so einem Hotel ist es doch immer recht einsam, das war eines der Dinge, die sich in den letzten sechzig Jahren am allerwenigsten geändert hatten.
Dann fiel mir ein, dass ich die Dame Bellini in meiner Situation wohl selbst fragen müsste, und das wiederum hatte etwas unangemessen Vertrauliches, zumal wir uns ja noch nicht lange kannten. Ich beschloss, den Gedanken zu verschieben. Andererseits fand ich, wäre es doch angebracht gewesen, meine Rückkehr in die große Öffentlichkeit ein wenig feierlich zu begehen. Mit einem Glas Schaumwein oder dergleichen, nicht für mich freilich, aber ich war stets gerne dabei, wenn andere in einer fröhlichen Stimmung die Gläser erhoben. Da blieb mein Blick am Hotelreservierer Sawatzki hängen.
Seine Augen strahlten mich an, sie waren voll unmissverständlicher Hochachtung, ich kannte diesen Blick, den ich hier nicht falsch interpretiert wissen möchte. Sawatzki gehörte nicht zu den Leuten im SA-Hemd, die man nachts aus Röhms Bett zerrt und denen man sofort angewidert einige Kugeln in den ekelerregenden Leib jagt, die tödliche erst zum Schluss. Nein, Sawatzki betrachtete mich mit einer Form der stillen Verehrung, die ich zuletzt in Nürnberg von den Hunderttausenden gesehen hatte, denen ich Hoffnung gegeben hatte. Die aufgewachsen waren in einer Welt der Demütigung und Zukunftsangst, der zaudernden Schwätzer und Kriegsverlierer, und die in mir die feste Hand sahen, die sie führte, die willig bereit waren, mir zu folgen.
»Nun«, sagte ich und trat auf ihn zu, »hat es Ihnen gefallen?«
»Unglaublich«, sagte Sawatzki, »beeindruckend. Ich habe Ingo Appelt gesehen, aber der ist lasch verglichen mit Ihnen. Sie haben Mumm. Es ist Ihnen wirklich egal, was die Leute von Ihnen denken, oder?«
»Im Gegenteil«, sagte ich, »ich will die Wahrheit sagen. Und sie sollen denken: Das ist jemand, der die Wahrheit sagt.«
»Und? Denken sie das jetzt?«
»Nein. Aber sie denken nicht mehr dasselbe wie vorher. Und das ist alles, was man erreichen muss. Den Rest macht die stetige Wiederholung.«
»Na ja«, sagte Sawatzki, »sonntagvormittags um elf, ich weiß ja nicht, ob das so viel bringt.«
Ich sah ihn verständnislos an. Sawatzki räusperte sich. »Kommen Sie«, sagte er dann, »wir haben im Catering eine Kleinigkeit vorbereitet.«
Wir gingen nach hinten, wo einige Fernsehbeschäftigte recht gelangweilt herumstanden. Ein etwas verwahrloster Geselle drehte sich lachend und mit vollem Munde zu mir um, hustete dann und lieferte einen brauchbaren Deutschen Gruß ab, während ich vorbeiging. Ich klappte den Gruß erwidernd den Arm zurück und ließ mich von Sawatzki zu jenem Bereich des Büffets lotsen, an dem der Sekt bereit stand, ein durchaus anspruchsvolles Produkt im Übrigen, wenn ich Sawatzkis Reaktion recht deutete, der einen Büffetgehilfen mit der Bereitstellung zweier Gläser beauftragte und dabei bemerkte, dass es jene Sorte Schaumwein ja nicht alle Tage gebe.
»Der Wizgür kriegt ja auch nicht alle Tage so einen eingeschenkt«, sagte der Gehilfe.
Sawatzki lachte und reichte mir mein Glas, erhob seines und sagte: »Auf Sie!«
»Auf Deutschland!«, sagte ich. Dann stießen wir an und tranken.
»Was ist«, fragte Sawatzki besorgt, »schmeckt er nicht?«
»Wenn ich überhaupt Wein zu mir nehme, ist es üblicherweise eine Trockenbeerenauslese«, erklärte ich. »Ich weiß schon, diese herbe Note gehört dazu, gewiss, sie gilt hierbei sogar als vorteilhaft, aber mir ist das zu sauer.«
»Ich kann Ihnen auch etwas anderes…«
»Nein, nein, ich bin’s ja gewohnt.«
»Aber Sie könnten einen Bellini nehmen.«
»Bellini? Wie die Dame?«
»Ja, sicher. Der könnte was für Sie sein. Warten Sie!«
Während Sawatzki davonsprang, stand ich etwas unentschlossen herum, für einen Moment erinnerte mich all das an jene furchtbaren Augenblicke in den Jahren meiner politischen Anfänge, zu Beginn der Kampfzeit, als ich noch nicht in die Gesellschaft eingeführt war und mich dort oftmals noch ein wenig verloren fühlte. Allerdings dauerte diese unschöne Erinnerung wirklich nur den Bruchteil einer Sekunde, denn kaum hatte sich Sawatzki abgewandt, als eine junge brünette Dame auf mich zukam und sagte: