»Das war total gut! Wie kommt man bloß auf so was wie die Hausmaus und die Feldmaus?«
»Das können Sie auch«, sagte ich zuversichtlich. »Sie müssen nur mit offenen Augen durch die Natur gehen. Aber viele Deutsche haben leider heute verlernt, die einfachen Dinge zu sehen. Darf ich fragen, welche Ausbildung Sie genossen haben…«
»Ich studiere noch«, sagte sie, »Sinologie, Theaterwissenschaften und…«
»Um Gottes willen«, lachte ich, »hören Sie auf! Ein hübsches Mädel wie Sie und solch ein verkopfter Unfug! Suchen Sie sich lieber einen tapferen jungen Mann, und tun Sie etwas für die Erhaltung des deutschen Blutes!«
Sie lachte sehr ansehnlich: »Das ist Messed Ekting, oder?«
»Da ist er ja!«, rief hinter mir die Dame Bellini. Sie kam mit Sensenbrink und dem gequält lächelnden Wizgür im Schlepptau und gesellte sich zu uns. »Lasst uns anstoßen! Wir sind doch alle Profis hier. Und rein professionell muss man anerkennen: Das war eine Supersendung! So was hat es bisher nicht gegeben. Das wird die Erfolgskombination!«
Sensenbrink verteilte eifrig Gläser mit Schaumwein, während Sawatzki zurückkehrte und mir ein Glas mit etwas Apricotfarbenem in die Hand drückte.
»Was ist das?«
»Probieren Sie ruhig«, sagte er und erhob sein Glas. »Meine Herrschaften: Auf den Führer!«
»Auf den Führer!«
Es gab ein allgemeines, wohlwollend-erfreutes Gelächter, und ich hatte alle Hände voll zu tun, die Glückwünsche abzuwehren. »Bitte, meine Herrschaften, vor uns liegt noch viel Arbeit!« Ich nahm vorsichtig einen Schluck des Getränks und nickte Herrn Sawatzki anerkennend zu. Es schmeckte sehr fruchtig, schmeichelte dem Gaumen und war doch nicht von übertriebenem Aufwand, im Wesentlichen schien es sich um ein einfaches Fruchtmus nach Bauernart zu handeln, das, wahrscheinlich durch einen kleinen Anteil an Schaumwein, noch etwas Lebendigkeit bekam, diese aber nur in einem ganz geringen Maße, sodass man nach dem Genuss kein übertriebenes Aufstoßen oder ähnliche Unannehmlichkeiten zu fürchten hatte. Die Bedeutung solcher Details ist nicht zu unterschätzen. Man muss in meiner Situation stets auf ein tadelloses Auftreten achten.
Das Bedauerliche an solchen informellen, aber doch wichtigen Zusammenkünften ist, dass man sich nicht nach Belieben einfach zurückziehen kann, solange man nicht parallel einen Krieg zu führen hat. Wenn man gerade einen Sichelschnitt in Nordfrankreich führt, wenn man gerade Norwegen im Handstreich besetzt, da sind alle natürlich voller Verständnis, wenn man sich nach dem Erheben der Gläser in sein Arbeitszimmer absentiert, um die für den Endsieg nötigen U-Boot-Entwürfe zu studieren oder den kriegsentscheidenden Schnellbomber mitzuentwickeln. Doch im Frieden steht man dann eben da und verschwendet Zeit mit dem Trinken von Fruchtmus. Zunehmend ging mir Sensenbrinks lärmende Art auf die Nerven, und auch das sauertöpfische Gesicht des Wizgür machte den Abend nicht angenehmer. Ich entschuldigte mich daher wenigstens vorübergehend, um etwas vom Büffet zu mir zu nehmen.
In rechteckigen, beheizten Blechgefäßen hatte man diverse Würste und mancherlei Gebratenes aufgefahren sowie große Mengen an Nudeln, alles Dinge, die mir nicht sonderlich zusagten. Ich wollte schon umkehren, als neben mir Sawatzki auftauchte.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Nein, nein, es ist schon in Ordnung…«
»Oh Mann!« Sawatzki schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Sie suchen den Eintopf, stimmt’s?«
»Nein, ich kann ja… ich kann ja eines dieser belegten Brote dort nehmen…«
»Aber ein Eintopf wäre ihnen lieber, oder? Der Führer liebt die einfache Küche!«
»Tatsächlich wäre mir das jetzt das Liebste«, gab ich zu. »Oder irgendetwas ohne Fleisch.«
»Es tut mir leid, da haben wir nicht schnell genug geschaltet«, sagte er, »ich hätte es mir denken können. Aber wenn Sie einen Moment warten…«
Er zog sein tragbares Telefongerät hervor und fingerte etwas daran herum.
»Kann Ihr Telefon auch kochen?«
»Nein«, sagte er, »aber es gibt zehn Minuten von hier ein Lokal, das für gutbürgerliche Küche und Eintöpfe sehr gelobt wird. Wenn Sie möchten, lasse ich etwas von dort kommen.«
»Nur keine Umstände. Mir ist ohnehin danach, ein paar Schritte zu gehen«, sagte ich, »ich kann den Eintopf ja auch dort zu mir nehmen.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Sawatzki, »bring ich Sie hin. Ist ja nicht weit.«
Wir verdrückten uns und spazierten durch die doch schon recht kühle Berliner Nacht. Das war deutlich angenehmer als das Herumstehen in diesem Kantinenraum, in dem sich die ganzen Rundfunkmenschen unablässig gegenseitig beweihräucherten. Gelegentlich wirbelten unsere Füße ein wenig Laub auf.
»Kann ich Sie mal etwas fragen?«, meinte Sawatzki.
»Fragen Sie ruhig.«
»Ist das Zufall? Ich meine, dass Sie auch Vegetarier sind?«
»Absolut nicht«, sagte ich, »es ist eine Sache der Vernunft. Ich bin es nun schon so lange, da war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis sich auch andere Leute dieser Überzeugung anschließen. Nur zu den Büffetköchen scheint es sich noch nicht herumgesprochen zu haben.«
»Nein, ich meinte: Waren Sie’s schon immer? Oder erst, seit Sie Hitler sind?«
»Ich war schon immer Hitler. Wer hätte ich denn vorher sein sollen?«
»Na ja, vielleicht haben Sie herumprobiert. Churchill. Oder Honecker.«
»Himmler glaubte an diesen esoterischen Humbug, an Seelenwanderungen und das ganze Mystische. Ich war vorher nie dieser Honecker.«
Sawatzki sah mich an. »Und Sie finden nie, dass Sie es mit Ihrer Kunst etwas übertreiben?«
»Man muss alles mit ganzer, mit fanatischer Entschlossenheit machen. Sonst kommt man zu nichts.«
»Aber, um ein Beispiel zu nennen: Das sieht doch niemand, ob Sie Vegetarier sind.«
»Erstens«, sagte ich, »ist das eine Sache des Wohlbefindens. Und zweitens ist es zweifellos das, was die Natur wünscht. Sehen Sie, ein Löwe, der rennt gerade mal zwei, drei Kilometer, dann ist er völlig erschöpft. Zwanzig Minuten, ach was: eine Viertelstunde. Das Kamel hingegen – eine Woche. Das macht die Ernährung.«
»Ein hübscher Fall von Scheinlogik…«
Ich blieb stehen und sah ihn an. »Was heißt hier Scheinlogik? Also gut, dann anders herum: Wo ist Stalin?«
»Tot, würde ich sagen.«
»Aha. Und Roosevelt?«
»Auch.«
»Petain? Eisenhower? Antonescu? Horthy?«
»Die ersten beiden sind tot, und von den anderen zweien habe ich noch nie was gehört.«
»Schön, die sind jedenfalls auch tot. Und ich?«
»Na, Sie nicht.«
»Eben«, sagte ich zufrieden und nahm den Weg wieder auf. »Ich bin überzeugt: Auch, weil ich Vegetarier bin.«
Sawatzki lachte. Dann machte er sich daran, mich einzuholen. »Das ist gut. Schreiben Sie so was eigentlich nicht auf?«
»Wieso? Ich weiß das doch.«
»Ich hätte immer Angst, dass ich so was vergesse«, sagte er und wies auf eine Gaststättentüre. »Da müssen wir rein.«
Wir betraten das kaum gefüllte Lokal und bestellten bei einer älteren Kellnerin. Sie musterte mich mit einem irritierten Blick. Sawatzki machte eine beschwichtigende Handbewegung, sodass die Dame anschließend anstandslos die Getränke brachte.
»Schön hier«, sagte ich, »das erinnert mich an die Kampfzeit in München.«
»Sie kommen aus München?«
»Nein, aus Linz. Oder eigentlich…«
»… oder eigentlich aus Braunau«, sagte Sawatzki, »ich hab ein bisschen nachgelesen.«
»Wo kommen Sie denn her?«, fragte ich zurück. »Wie alt sind Sie überhaupt? Sie sind doch noch keine dreißig!«
»Siebenundzwanzig«, sagte Sawatzki. »Ich komme aus Bonn, ich habe in Köln studiert.«