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»Ein Rheinländer«, sagte ich erfreut, »sogar ein studierter Rheinländer!«

»Germanistik und Geschichte. Eigentlich hätte ich Journalist werden wollen.«

»Gut, dass Sie es nicht geworden sind«, bescheinigte ich ihm, »ein Lügengesindel durch und durch.«

»Die Fernsehbranche ist auch nicht besser«, sagte er. »Es ist unglaublich, was wir für einen Mist produzieren. Und wenn wir mal was Gutes haben, dann wollen es die Sender lieber mistiger haben. Oder billiger. Oder beides.« Und dann fügte er rasch hinzu: »Mit Ausnahme von Ihnen natürlich. Das ist was anderes. Da habe ich das erste Mal das Gefühl, dass man nicht nur irgendeinen beliebigen Quatsch verkauft. So wie Sie das angehen, also – ich bin ganz begeistert. Das mit dem Vegetarismus und alles, bei Ihnen ist nichts nachgemacht – bei Ihnen ist das irgendwie Teil eines ganzen Konzepts.«

»Ich bevorzuge den Begriff Weltanschauung«, sagte ich, aber ich war insgesamt sehr erfreut von dieser jugendlichen Begeisterung.

»Eigentlich war das schon immer das, was ich machen wollte«, sagte Sawatzki. »Nicht irgendwas verticken. Sondern was Gutes. Bei Flashlight muss man so viel Schrott mitverkaufen. Wissen Sie was? Als Kind wollte ich immer im Tierheim arbeiten. Armen Tieren helfen, so was in der Art. Oder Tiere retten. Irgendwas Positives bewirken.«

Die Kellnerin stellte zwei Schüsseln Eintopf vor uns. Ich war ganz gerührt: Der Eintopf sah richtig gut aus. Und er roch so, wie ein Eintopf riechen muss. Wir begannen zu essen. Eine Zeit lang sagte keiner von uns etwas.

»Gut?«, fragte Sawatzki.

»Sehr gut«, sagte ich löffelnd, »wie direkt aus der Feldküche.«

»Ja«, nickte er, »das hat was. Einfach, aber gut.«

»Sind Sie verheiratet?«

Er schüttelte den Kopf.

»Verlobt?«

»Nein«, meinte er, »eher interessiert. Es gäbe da schon jemanden.«

»Aber?«

»Sie weiß noch nichts davon. Ich weiß auch nicht, ob sie was von mir wissen will.«

»Sie müssen mutig drauflosgehen. Sie sind doch sonst nicht schüchtern!«

»Na ja, aber sie…«

»Nicht zögern. Forsch voran. Frauenherzen sind wie Schlachten. Man gewinnt sie nicht durch Zögerlichkeit. Man muss alle Kräfte zusammenfassen und beherzt einsetzen.«

»Haben Sie so Ihre Frau kennengelernt?«

»Nun, ich konnte mich jedenfalls nicht über mangelndes weibliches Interesse beklagen. Generell bin ich allerdings eher andersherum vorgegangen.«

»Andersherum?«

»Ich habe vor allem in den letzten Jahren mehr die Schlachten gewonnen wie Frauen.«

Er lachte. »Wenn Sie das nicht aufschreiben, tu ich’s. Wenn das so weitergeht, sollten Sie sich überlegen, ein Buch zu schreiben. Einen Ratgeber à la Hitler. Wie man eine glückliche Beziehung führt.«

»Ich weiß nicht, ob ich dazu berufen bin«, sagte ich, »meine Ehe war ja nun doch eher kurz.«

»Stimmt, habe ich gehört. Aber das macht nichts. Das ist sogar noch besser: Wir nennen es ›Mein Kampf – mit meiner Frau‹. Das verkauft sich schon durch den Titel wie geschnitten Brot.«

Da musste auch ich lachen. Ich blickte nachdenklich auf Sawatzki, seine kurzen frech abstehenden Haare, seinen wachen Blick, sein flottes, aber nicht dummes Mundwerk. Und an seiner Stimme erkannte ich: Dieser Mann konnte einer von denen werden, wie sie damals mit mir gegangen waren. In die Festungshaft, in die Reichskanzlei, in den Führerbunker.

xvi.

Ah, der Herr Hitler«, sagte der Zeitungskrämer, »das ist aber schön. Ich habe fast mit Ihnen gerechnet!«

»So«, sagte ich lachend, »warum das denn?«

»Na, ich habe Ihren Auftritt gesehen«, sagte er, »und dann habe ich mir gedacht, dass Sie vielleicht lesen wollen, was so darüber geschrieben wird. Und dass Sie bei der Gelegenheit vielleicht einen Ort suchen, an dem die Auswahl an Zeitschriften etwas größer ist! Kommen Sie rein, kommen Sie rein! Setzen Sie sich. Möchten Sie einen Kaffee? Was ist? Ist Ihnen nicht gut?«

Das war mir unangenehm, dass er mir diese kleine Schwäche ansehen konnte, und es war auch wirklich eine kleine Schwäche gewesen, ein Aufwallen wohliger Gefühle, wie ich sie lange nicht mehr gespürt hatte. Ich war am Morgen gegen halb zwölf Uhr frisch erwacht, ich hatte eine Kleinigkeit zu mir genommen und dann in der Tat beschlossen, die Zeitungen zu lesen, das hatte der Zeitungskrämer alles ganz richtig erraten. Vor zwei Tagen waren auch die Anzüge geliefert worden, sodass ich in etwas weniger Offizielles hatte schlüpfen können. Es war ein einfacher dunkler Anzug im klassischen Schnitt, ich hatte dazu den dunklen Hut gewählt, ich war losmarschiert, und sofort zog ich weitaus weniger Blicke auf mich als sonst. Es war ein sonniger Tag, strahlend klar und erwartbar frisch temperiert, ich fühlte mich für den Moment aller Pflichten ledig und schritt tüchtig aus. Es war so friedlich, fast gewöhnlich, und da ich vorzugsweise Grünzüge und kleine Parks nutzte, gab es auch nicht so vieles, was meine Aufmerksamkeit erforderte, außer einer verrückten Frau, die sich bückte, sichtlich bemüht, im etwas zu lange ungemähten Grase die Exkremente eines Spaniels zu entdecken und aufzulesen. Für einen Moment dachte ich, dass auch eine Epidemie die Ursache für diese Irren sein konnte, allerdings schien der Vorgang niemanden zu beunruhigen. Im Gegenteil, wie ich kurz darauf bemerkte, hatte man hier und da fürsorglich eine Art Automat aufgestellt, bei der solche verrückten Frauen kleine Tüten herausziehen konnten. Ich kam vorerst zu dem Schlusse, dass es sich um Frauen handeln musste, denen der innige Kinderwunsch unerfüllt geblieben war, eine derartige Hysterieform, wie sie diese übersteigerte Fürsorge für allerlei Hunde darstellte, war da natürlich zwangsläufig. Und ich musste zugeben, diesen armen Wesen dann Tüten zu geben, war eine erstaunlich pragmatische Lösung. Langfristig galt es natürlich, die Frauen wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zuzuführen, aber wahrscheinlich war wieder irgendeine Partei dagegen gewesen. Man kennt das ja.

Unter solchen weniger anstrengenden Überlegungen war ich ganz in Gedanken zum Zeitungskrämer spaziert, unbehelligt, kaum bis nicht erkannt, die Situation kam mir merkwürdig vertraut vor, aber erst die Worte des Zeitungskrämers hatten mir deutlich gemacht, woran es lag. Es war jene zauberhafte Stimmung, wie ich sie in meinen Anfängen in München nur zu oft erlebt hatte – nach meiner Entlassung aus der Festungshaft, ich war in München leidlich bekannt, noch war ich nur ein kleiner Parteivorsitzender, ein Redner, der dem Volke ins Herz schaute, und es waren die kleinen und kleinsten Leute, die mir in bewegender Weise ihre Zuneigung zuteil werden ließen. Ich ging über den Viktualienmarkt, die ärmsten Marktweiblein winkten mich freundlich zu sich, gaben mir einmal zwei Eier, ein Pfund Äpfel, man kam nach Hause wie der reinste Fourageur, wo einen die Vermieterin strahlend begrüßte, und die ehrliche Freude leuchtete ihnen so gleißend hell aus ihren Gesichtern wie in jenem Augenblicke dem Zeitungshändler. Und dieses Gefühl von damals, es kam so schnell über mich, noch bevor ich es selbst begreifen konnte, so überwältigend, dass ich rasch in eine andere Richtung blickte. Aber der Zeitungskrämer hatte natürlich aufgrund seiner langen Berufserfahrung eine beeindruckende Menschenkenntnis erworben, wie sie sonst nur manchen Droschkenfahrern zu eigen ist.

Ich hustete verlegen und sagte: »Keinen Kaffee, bitte. Eine Tasse Tee wäre schön. Oder ein Glas Wasser.«

»Kein Problem, kein Problem«, sagte er und füllte Wasser in einen Wasserkocher, ähnlich wie ich ihn in meinem Hotelzimmer hatte. »Ich hab die Zeitungen neben dem Sessel aufgehoben. Es sind nicht sehr viele, ich denke, das Internet ist da wohl die bessere Adresse.«

»Ja, dieses Internetz«, sagte ich zustimmend und setzte mich. »Eine sehr gute Einrichtung. Ich glaube auch nicht, dass mein Erfolg vom Wohlwollen der Zeitungen abhängig sein wird.«