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Andererseits: Welche Überzeugungen sollte er schon haben? Was hatte er außer einer fragwürdigen Herkunft aufzuweisen, außer sinnentleertem prahlerischem Geschwätz? Da hatte ich es natürlich einfacher, hinter mir stand ja immerhin die Zukunft Deutschlands. Ganz zu schweigen vom Eisernen Kreuz. Oder dem Verwundetenabzeichen, das belegte, dass ich für Deutschland auch schon mein Blut geopfert hatte. Was hingegen hatte jener Wizgür geopfert?

Und da erwarte ich selbstverständlich nicht unbedingt das Verwundetenabzeichen in Gold. Wo soll er das herhaben, ohne einen Krieg? Und wenn er es gehabt hätte, wäre wiederum fraglich gewesen, ob er sich noch für seine Unterhaltungssendung geeignet hätte. Die Leute, die solche raren, hohen Verwundetenauszeichnungen tragen, von denen ist bei genauerer Betrachtung oft nicht mehr allzu viel übrig. Das liegt in der brutalen Natur der Dinge. Menschen, die fünfmal oder öfter an der Front verwundet wurden, von Bajonetten, Granaten, Gas, die haben Glasaugen oder künstliche Arme, oder der Mund ist schief zusammengewachsen, wenn überhaupt noch ein Unterkiefer da ist, das ist zugegebenermaßen nicht das Holz, aus dem uns das Schicksal die besten Humoristen schnitzt. Und so verständlich eine gewisse Bitterkeit in ihrer Situation auch sein mag, man muss hier als Führer auch einmal die andere Seite sehen. Da sitzen die Leute im Publikum in bester Stimmung, sie haben sich fein gemacht, sie möchten sich nach einem harten Arbeitstage in der Schrapnellfabrik oder in der Fliegerwerft einmal entspannen oder auch nach einem langen nächtlichen Bombardement, da habe ich schon Verständnis dafür, dass die Bevölkerung von einem guten Komödianten etwas anderes erwartet als zwei amputierte Unterschenkel. Da muss man dann in aller Deutlichkeit auch einmal sagen: Hier ist der sofortige tödliche Granatentreffer für alle wohl die bessere Lösung als ein Verwundetenabzeichen mit anschließender Verwendung als Spaßmacher an der Heimatfront.

Insgesamt merkte man aber eben sofort, dass dieser Wizgür nicht nur keine Weltanschauung besaß, die es mit der nationalsozialistischen aufnehmen konnte, sondern dass er überhaupt keine hatte. Und ohne eine gefestigte Weltanschauung ist man in der modernen Unterhaltungsindustrie selbstverständlich ohne jede Chance und fernerhin auch ohne Daseinsberechtigung, das Weitere regelt dann die Geschichte.

Oder die Einschaltquote.

xviii.

Der Führer ist nichts ohne sein Volk. Das heißt natürlich, der Führer ist schon auch etwas ohne sein Volk, aber man sieht es dann nicht, was er ist. Das ist jedem gesund denkenden Menschen leicht begreiflich zu machen, denn das wäre ja, wie wenn man einen Mozart irgendwo hinsetzt, man gibt ihm aber kein Klavier – da merkt dann auch niemand, dass das ein Genie ist. Da hätte er nicht einmal als Wunderkind auftreten können, mit seiner Schwester. Gut, die hätte dann noch ihre Geige gehabt, aber nimmt man der auch die Geige weg, was hat man dann noch? Zwei Kinder, und die können allenfalls noch Verse im Salzburger Dialekt aufsagen oder dergleichen Allerweltslieblichkeiten, aber das will keiner sehen, das gibt es ja in jedem Wohnzimmer zur Weihnachtszeit. Des Führers Geige hingegen ist das Volk.

Und seine Mitarbeiter.

Natürlich kann man da schon den Einwand der Skeptiker erahnen, die neunmalklug daherschwatzen, man könne nicht zwei Geigen auf einmal spielen. Aber da sieht man auch wieder einmal, was solche Leute für einen Blick auf die Realität haben. Da kann nicht sein, was nicht sein darf. Wenn es aber doch so ist! Genau daran sind ja zahllose auch recht große Führer letzten Endes gescheitert! Man nehme Napoleon zum Beispiel, der Mann war ein Genie, gar keine Frage. Aber eben nur auf der militärischen »Geige«. Gescheitert ist er an den Mitarbeitern. Und da stellt sich die Frage, bei jedem Genie: Was wählt es für Mitarbeiter? Friedrich der Große etwa, der hatte einen Kurt Christoph Graf von Schwerin, einen General, der sich für sein Land vom Pferd hat schießen lassen, die Fahne noch in der Hand, oder einen Hans Karl von Winterfeldt. Der Mann ist 1757 unter tödlichen Säbelhieben zusammengebrochen, das waren noch Mitarbeiter! Aber Napoleon?

Da muss man sagen: Er hatte eine unglückliche Hand, und das ist noch höflich formuliert. Eine Vetternwirtschaft schlimmster Sorte, da stand die Verwandtschaft Schlange. Der schwachsinnige Bruder Joseph sitzt in Spanien, Bernadotte heiratet dessen Schwägerin, Jérôme kriegt Westfalen, die Schwestern werden in irgendwelchen italienischen Grafschaften versorgt, und dankt es ihm jemand? Der schlimmste Parasit war noch Louis, den er als König nach Holland gesetzt hat und der da nach Belieben an seiner eigenen Königskarriere feilte, als hätte er Holland selbst erobert. Mit solchen Mitarbeitern ist weder ein Krieg zu führen noch eine Welt zu regieren. Insofern habe ich stets größten Wert auf exzellente Mitarbeiter gelegt. Und diese in überwiegender Mehrheit auch gefunden.

Ich meine: Allein die Belagerung Leningrads!

Zwei Millionen Zivilisten eingeschlossen, ohne jede Lebensmittellieferung. Es gehört schon ein gewisses Pflichtbewusstsein dazu, da täglich auch noch tausend Bomben hineinzuwerfen, zum Beispiel auch und sogar gezielt auf die Lebensmittellager. Die Leute da, die waren zum Schluss so weit, die haben sich gegenseitig den Schädel eingeschlagen, nur um die Erde fressen zu dürfen, in die der verbrannte Zucker hineingeschmolzen war. Natürlich, diese Zivilisten waren rassisch nicht erhaltenswert, aber der einfache Soldat hätte sich doch leicht denken können: Diese armen, armen Leute! Zumal der Landser auch in vielen Fällen außergewöhnlich tierlieb ist.

Ich habe das selbst in den Schützengräben miterlebt, da sind Leute in das schlimmste Sperrfeuer gerannt, um ihre »Maunzi« zurückzuholen, oder die haben ihre wochenlang aufgesparten Rationen noch geradezu brüderlich mit einem zugelaufenen »Bello« geteilt. Da sieht man auch wieder, dass der Krieg im Menschen nicht nur die härtesten, sondern auch die weichsten, wärmsten Gefühle entfacht, dass der Kampf eben in vielfacher Hinsicht das Beste aus dem Menschen herausmeißelt. Als unbehauener Block geht der einfache Mann in die Schlacht, und heraus kommt er als einwandfreier Tierfreund mit dem unerbittlichen Willen, das Notwendige zu vollziehen. Und daran, dass diese einfachen Menschen, diese Hunderttausende von Soldaten und Katzenfreunden dann aber nicht sagen: »Lassen wir’s doch ruhiger angehen, schlimmstenfalls verhungern die Leningrader eben etwas langsamer«, sondern dass sie stattdessen sagen: »Nur munter hinein mit der Bombe! Der Führer wird sich bei seinem Befehl schon das Richtige gedacht haben!«, daran erkennt man eben, dass man die richtigen Mitarbeiter hatte.

Oder auch von Neuem hat, überlegte ich, während ich Fräulein Krömeier zusah, wie sie den Schluss meiner letzten Führerrede abtippte. Insgesamt war ich mit den Leistungen des Fräulein Krömeier sehr zufrieden. An ihrer Arbeit gab es überhaupt nichts auszusetzen, ihr Einsatz war vorbildlich, neuerdings stand sie mir sogar ganztags zur Verfügung. Lediglich das Aussehen war verbesserungswürdig. Nicht, dass sie nicht gepflegt gewirkt hätte, aber dieses aller Freundlichkeit zum Trotze doch recht düstere Auftreten, diese fast ein wenig todesnahe Bleichheit war einer so fröhlichen, lebensbejahenden Bewegung, wie sie der Nationalsozialismus unbestreitbar darstellt, wenig förderlich.

Andererseits muss ein Führer über derlei auch hinwegsehen können. Von Ribbentrop etwa war vom Aussehen her ein durch und durch repräsentabler Herrenmensch, ein vorbildliches Kinn, erstklassiges Genmaterial – doch letzten Endes war der Mann zeitlebens eine Wurst. Und damit ist dann auch niemandem gedient.