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»Das ist Sippenhaft«, sagte ich kalt. »Und das Fräulein Krömeier ist ja noch nicht einmal mit mir verwandt!«

Wir saßen im Konferenzsaal, die Dame Bellini, Sensenbrink, der Hotelreservierer Sawatzki und ich. Und es war natürlich der große Stratege Sensenbrink, der sogleich fragte: »Da läuft aber nichts, oder? Mit Ihnen und der kleinen Krömeier?«

»Werden Sie nicht albern«, warf die Dame Bellini rasch ein. »Mir hat Herr Hitler auch schon mal die Tür aufgehalten. Wollen Sie mich auch fragen?«

»Wir müssen sichergehen«, sagte Sensenbrink achselzuckend.

»Sichergehen?«, gab die Dame Bellini zurück. »Wobei? Ich werde hier nicht einen Gedanken an diese widerwärtige Angelegenheit verschwenden. Fräulein Krömeier kann tun, was sie will, Herr Hitler kann tun, was er will. Wir leben nicht mehr in den Fünfzigern.«

»Verheiratet sollte er trotzdem nicht sein«, sagte Sensenbrink fest, »jedenfalls nicht, wenn da was mit der Krömeier läuft.«

»Sie haben’s noch immer nicht begriffen«, sagte die Dame Bellini und wandte sich zu mir. »Und? Sind Sie verheiratet?«

»In der Tat«, sagte ich.

»Na, wundervoll«, jammerte Sensenbrink.

»Lassen Sie mich raten«, sagte die Bellini. »Seit 1945? Im April?«

»Natürlich«, sagte ich, »erstaunlich, dass die Pressemeldung doch noch rausgegangen ist. Zu der Zeit war ja ungünstigerweise die Stadt voller Bolschewiken.«

»Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen«, meldete sich der Hotelreservierer Sawatzki, »ich denke wohl, Herr Hitler kann mit vollem Recht als verwitwet gelten.« Man konnte sagen, was man wollte, aber dieser Sawatzki dachte auch unter Feuer schnell, klar, zuverlässig, pragmatisch.

»Ich kann es nicht hundertprozentig bestätigen«, sagte ich, »aber gelesen habe ich es auch so wie der Herr Sawatzki.«

»Na«, wandte sich die Dame Bellini an Sensenbrink, »zufrieden?«

»Es gehört zu meinem Job, auch die unangenehmen Fragen zu stellen«, sagte Sensenbrink pampig.

»Die Frage ist: Was tun wir?«, fasste die Dame Bellini zusammen.

»Müssen wir überhaupt was tun?«, fragte Sawatzki nüchtern.

»Ich gebe Ihnen recht, Herr Sawatzki«, sagte ich, »oder ich würde Ihnen recht geben, wenn es nur um mich ginge. Aber wenn ich nichts tue, wird mein Umfeld weiter in Mitleidenschaft gezogen. Dem Herrn Sensenbrink könnte das vielleicht nicht schaden«, sagte ich mit einem spöttischen Seitenblick, »aber ich kann das Ihnen und der Firma nicht zumuten.«

»Ich würde es uns und der Firma jederzeit zumuten, aber unseren Aktionären keine fünf Minuten«, erwiderte die Dame Bellini trocken. »Das heißt also: kein Interview zu unseren Bedingungen. Sondern zu deren Bedingungen.«

»Sie sind mir dafür verantwortlich, dass es nicht so wirkt«, sagte ich, und weil ich ahnte, dass die Dame Bellini Befehle nicht so freudig akzeptierte wie Sawatzki, fügte ich schnell noch hinzu: »Aber in der Sache haben Sie völlig recht. Wir geben ihnen ein Interview. Sagen wir im Adlon. Und sie zahlen.«

»Sie haben Ideen«, spottete Sensenbrink, »wir werden in dieser Lage wohl kaum ein Honorar durchsetzen können.«

»Es geht ums Prinzip«, sagte ich. »Ich sehe nicht ein, Volksvermögen für diesen Presseabschaum zu verschleudern. Wenn sie die Rechnung bezahlen, soll es mir genügen.«

»Und wann?«, fragte Sawatzki.

»Möglichst schnell«, meinte die Dame Bellini völlig zu Recht. »Sagen wir morgen. Dann geben sie vielleicht einen Tag Ruhe.«

Ich stimmte zu. »Unterdessen sollten wir im Übrigen die eigene Öffentlichkeitsarbeit verstärken.«

»Soll heißen?«

»Wir dürfen die Berichterstattung nicht dem politischen Gegner überlassen. Das darf uns nicht noch einmal passieren. Es gilt, eine eigene Zeitung herauszugeben.«

»Womöglich den ›Völkischen Beobachter‹?«, höhnte Sensenbrink. »Wir sind eine Produktionsfirma und kein Zeitungsverlag!«

»Es muss ja keine Zeitung sein«, warf der Hotelreservierer Sawatzki rasch ein, »Herrn Hitlers Stärke ist ohnehin der Auftritt im bewegten Bild. Die Videos sind da, also warum stellen wir sie nicht auf eine eigene Homepage?«

»Alle bisherigen Auftritte in HD, damit man einen Mehrwert hat verglichen mit den Youtube-Mitschnitten«, überlegte die Dame Bellini weiter. »Und man hätte eine Plattform, falls man was Besonderes mitteilen will. Oder eine eigene Sicht der Dinge. Das klingt gut. Kümmern Sie sich drum, dass die Online-Abteilung ein paar Entwürfe abliefert.«

Wir beschlossen die Konferenz. Auf dem Weg hinaus sah ich noch Licht in meinem Büro. Ich ging hinein, um es zu löschen. So lange das Reich nicht vollständig auf regenerative Energien umgerüstet ist, kostet das alles teuren Brennstoff. Momentan denkt man sich da oft nichts dabei, aber dann ist dreißig Jahre später der Jammer groß, wenn dem Panzer kurz vor El Alamein genau jener Tropfen Treibstoff zum Endsieg fehlt. Ich öffnete die Türe und sah das Fräulein Krömeier reglos an seinem Schreibtische sitzen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich mich noch gar nicht nach ihrem Wohlbefinden erkundigt hatte. Geburtstage, Trauerfälle, persönliche Anrufe, an derlei hatte mich früher Traudl Junge immer erinnert oder eben inzwischen das Fräulein Krömeier – aber in diesem Fall war das natürlich untergegangen.

Sie blickte konsterniert auf die Schreibfläche. Dann sah sie zu mir hoch.

»Wissen Se, wat ick für E-Mails krieje?«, fragte sie blass.

Das arme Tschapperl rührte mich zutiefst. »Es tut mir sehr leid, Fräulein Krömeier«, sagte ich. »Für mich ist derlei leicht zu ertragen, ich bin es gewohnt, Anfeindungen standzuhalten, wenn ich für die deutsche Zukunft eintrete. Ich trage die volle Verantwortung – es ist unverzeihlich, wenn der politische Gegner stattdessen kleine Angestellte unmöglich macht!«

»Det hat doch mit Ihnen nüscht zu tun«, sagte sie kopfschüttelnd. »Det is die janz normale ›Bild‹-Scheiße. Da stehste einmal in dem beschissenen Tittenblatt, und denn biste zum Abschuss freijejeben. Ick krieg Fotos von irjendwelchen Schwänzen, ick krieje lauter üble Post, wat se allet mit mir machen wollen, ick hör ja schon nach drei Wörtern det Lesen uff. Seit sieben Jahren bin ick jetzt Vulcania17, det kann ick jetze verjessen. Der Name is verseucht und nu«, sie tippte betrübt auf eine Taste, »nu isser Jeschichte.«

Es ist unangenehm, wenn man keine Entscheidung treffen kann. Wenn Blondi noch gelebt hätte, hätte ich sie jetzt wenigstens streicheln können, ein Tier und besonders ein Hund kann solchen Momenten immer leidlich die Spannung nehmen.

»Und mit dem Internet hört det ja nicht uff«, sagte sie. Sie blickte ins Nichts. »Im Internet kann man ja wenigstens noch lesen, wat de Leute denken. Aber uff der Straße, da kann man det nich. Da kann man det nur vermuten, und vermuten will ick det lieber nicht.« Sie schniefte, ohne sich zu bewegen.

»Ich hätte Sie vorher warnen sollen«, sagte ich nach einem Momente der Stille. »Aber ich habe den Gegner unterschätzt. Es tut mir ausgesprochen leid, dass Sie nun die Zeche für meinen Fehler zu bezahlen haben. Niemand weiß besser als ich, dass man für die Zukunft Deutschlands Opfer bringen muss.«