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»Sind Sie Nazi?«

Das war nicht wenig irritierend. »Was ist denn das für eine Frage? Natürlich!«

Sie lehnte sich zurück. Vermutlich war sie es nicht gewohnt, mit jemandem zu sprechen, der das deutliche Wort nicht scheute. Es war bemerkenswert, wie ruhig Sawatzki hier blieb, vor allem verglichen mit dem nun beinahe peinlich schwitzenden Sensenbrink.

»Stimmt es, dass Sie Adolf Hitler bewundern?«

»Nur morgens im Spiegel«, scherzte ich, aber sie überhörte es ungeduldig.

»Gut, dann präziser: Bewundern Sie die Leistungen von Adolf Hitler?«

»Bewundern Sie die Leistungen von Ute Kassler?«

»So kommen wir nicht weiter«, sagte sie ungehalten, »ich bin ja schließlich nicht tot!«

»Sie mögen es bedauern«, sagte ich, »aber ich bin es auch nicht.«

Sie kniff die Lippen zusammen. Der Kellner kam zurück und verteilte die Getränke. Frau Kassler nahm einen Schluck Kaffee. Dann versuchte sie eine neue Finte.

»Leugnen Sie die Taten der Nazis?«

»Nichts liegt mir ferner. Ich bin sogar der Erste, der nicht müde wird, auf sie hinzuweisen!«

Sie rollte mit den Augen: »Aber verurteilen Sie sie auch?«

»Da wäre ich ja schön dumm! Ich bin doch nicht so schizophren wie unsere Parlamentarier«, schmunzelte ich. »Das ist ja das Schöne am Führerstaat. Sie haben nicht nur vorher einen Verantwortlichen oder währenddessen, sondern hinterher auch.«

»Auch für sechs Millionen tote Juden?«

»Gerade für die! Ich habe da natürlich nicht mitgezählt.«

In ihren Augen blitzte für einen Moment Freude auf, bis ich sagte: »Aber das ist doch nicht unbekannt! Wenn ich es recht sehe, macht mir nicht einmal die Siegerpresse das Verdienst streitig, diese Parasiten vom Erdboden getilgt zu haben.«

Sie funkelte mich an.

»Und heute machen Sie im Fernsehen Witze darüber«, zischte sie.

»Das wäre mir neu«, sagte ich ernst. »Das Thema ›Juden‹ ist nicht witzig.«

Sie atmete tief und lehnte sich zurück. Sie nahm einen großen Schluck Kaffee und einen neuen Anlauf.

»Was tun Sie, wenn Sie gerade keine Sendung haben? Was machen Sie privat?«

»Ich lese viel«, sagte ich, »dieses Internetz ist in mancherlei Hinsicht eine große Freude. Und ich zeichne gerne.«

»Lassen Sie mich raten«, sagte sie. »Gebäude, Brücken und dergleichen.«

»Sicher. Ich habe eine Leidenschaft für die Architektur…«

»Davon hab ich auch schon gehört«, seufzte sie. »Es steht ja noch einiges von Ihnen in Nürnberg herum.«

»Immer noch? Das ist schön«, sagte ich. »Ich habe natürlich meinen Teil dazu beigetragen, aber im Wesentlichen gebührt der Ruhm selbstverständlich Albert Speer.«

»Brechen wir’s hier ab«, sagte sie frostig, »das führt ja zu nichts. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass Sie mit einer besonders kooperativen Einstellung gekommen sind.«

»Ich kann mich auch nicht erinnern, dass unsere Vereinbarung diesbezüglich ein geheimes Zusatzprotokoll enthalten hätte.«

Sie winkte dem Kellner wegen der Rechnung. Dann wandte sie sich an ihren Bildreporter. »Brauchst du noch Fotos?« Er schüttelte den Kopf. Sie stand auf und meinte: »Sie lesen von uns.«

Ich erhob mich ebenfalls, und der Hotelreservierer Sawatzki samt Herrn Sensenbrink taten es mir gleich. Umgangsform ist Umgangsform. Das junge Ding konnte ja nichts dafür, dass sie in einer verkehrten Welt aufgewachsen war.

»Ich freue mich schon darauf«, sagte ich.

»Na, dann freuen Sie sich mal schön«, meinte sie im Gehen.

Sensenbrink, Sawatzki und ich setzten uns wieder. »Das war jetzt aber ein kurzes Interview«, sagte Sawatzki aufgekratzt und füllte seine Tasse. »Kein Grund, den Kaffee verkommen zu lassen. Die machen wirklich prima Kaffee hier.«

»Aber ich bin nicht sicher, ob die beiden haben, was sie wollen«, sorgte sich Sensenbrink.

»Die werden ohnehin schreiben, was sie möchten«, sagte ich. »Jetzt sollen sie mir erst mal das Fräulein Krömeier in Ruhe lassen.«

»Wie geht’s ihr?«, fragte Sawatzki besorgt.

»Wie der deutschen Zivilbevölkerung. Je widerwärtiger der Gegner seine Bomben abwirft, desto fanatischer wird der Widerstand. Ein fantastisches Mädel.«

Sawatzki nickte, und für einen Moment schien es mir, als leuchteten dabei seine Augen eine Spur zu hell. Aber ich kann mich natürlich auch irren.

xxiii.

Das Problem mit diesen Parlamentariern ist, dass sie schlichtweg nichts begriffen haben. Ich meine: Warum habe ich denn diesen Krieg geführt? Doch nicht, weil ich so gerne Krieg führe! Ich hasse es, Kriege zu führen. Wenn Bormann noch wäre, den könnte jeder fragen, der würde das sofort bestätigen. Furchtbar ist das, ich hätte diese Aufgabe auch liebend gerne abgetreten, wenn es jemand Besseren gegeben hätte. Und jetzt, nun, also kurzfristig muss ich mich damit zunächst nicht befassen, aber mittel- und langfristig wird das wohl wieder auf mich zukommen. Wer soll das denn sonst machen? Wer würde derlei denn überhaupt sonst machen? Fragt man heute einen Parlamentarier, dann behauptet der doch glattweg, Kriege seien heute nicht mehr notwendig. Das wurde auch schon damals behauptet, und schon damals war es genauso Unsinn wie heute. Der Gedanke ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass diese Erde nicht wächst. Die Zahl der Menschen auf ihr aber schon. Und wenn den Menschen die natürlichen Ressourcen zu knapp werden, welche Rasse wird dann diese Ressourcen bekommen?

Die netteste?

Nein, die stärkste. Und darum habe ich alles daran gesetzt, die deutsche Rasse zu kräftigen. Und dem Russen in die Parade zu fahren, bevor er uns überrollt. Im allerletzten Moment, wie ich dachte. Damals lebten schließlich 2,3 Milliarden Menschen auf der Welt. Zwei Komma drei Milliarden!

Es konnte ja keiner wissen, dass da noch dreimal mehr drauf passen.

Aber – und hier kommt das Entscheidende: Man muss aus dieser Tatsache die richtigen Schlüsse ziehen. Und der richtige Schluss lautet natürlich nicht: Weil wir jetzt sieben Milliarden sind, war damals alles unnötig. Sondern der richtige Schluss lautet: Wenn ich schon damals recht hatte, dann habe ich heute sogar noch dreimal mehr recht. Das ist simple Arithmetik, das rechnet Ihnen jeder Drittklässler vor.

Insofern ist mir die Sache mit meiner Rückkehr auch einmal mehr vollkommen einleuchtend. Denn warum leben jetzt diese sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt?

Weil ich einen Krieg geführt habe, der durch und durch – um einmal dieses neumodische Wort zu verwenden – nachhaltig war. Wenn all diese Menschen sich seither vermehrt hätten, wären wir inzwischen bei acht Milliarden. Und davon wären zweifellos die meisten Russen, die längst das Land hier überrannt hätten, unsere Früchte ernten, unser Vieh wegtreiben, die arbeitsfähigen Männer versklaven, die anderen abschlachten würden, um dann mit ihren schmutzigen Fingern unsere unschuldigen jungen Frauen zu missbrauchen. Erst sah also die Vorsehung meine Aufgabe darin, den bolschewistischen Bevölkerungsüberschuss abzuschöpfen. Und nunmehr liegt meine Berufung natürlich darin, den Rest der Mission zu erfüllen. Die Pause dazwischen war nötig, um meine Kräfte nicht in diesen Jahrzehnten zu vergeuden, die nun einmal nötig sind, damit die Spätfolgen des Krieges eintreten können. Als da wären: Streit unter den Alliierten, Zerfall der Sowjetunion, russische Gebietsverluste und natürlich die Aussöhnung mit unserem nächstliegenden Verbündeten, mit England, um später einmal vereint vorgehen zu können. Es ist mir heute noch schleierhaft, weshalb das nicht schon damals geklappt hat. Wie viele Bomben hätten wir ihnen denn noch auf ihre Städte werfen sollen, bis sie begriffen, dass sie unsere Freunde sind?

Wobei man, wenn man sich die neueren Zahlen einmal ansieht, nicht ganz nachvollziehen kann, wozu England noch nötig ist, eine Weltmacht ist diese marode Insel ja nun wahrlich nicht mehr. Gut, man muss auch nicht alle Fragen gleich beantworten. Allerdings naht nun für durchgreifende Maßnahmen allmählich der letztmögliche Zeitpunkt. Und deswegen war ich auch so entsetzt vom Zustand der sogenannten nationalen Kräfte dieses Landes.