xxv.
Es war nicht so, dass ich etwas anderes erwartet hätte. Eigentlich war ich fast zufrieden, denn immerhin hatten sie das Fräulein Krömeier diesmal herausgelassen. Aber es war nun auch nicht das, was man gemeinhin unter einer guten Presse verstehen konnte. Andererseits halte ich den Begriff der »guten Presse« ohnehin für einen Widerspruch in sich. Dennoch hatte ich vorausgesetzt, dass mein Entgegenkommen in irgendeiner Art und Weise etwas mehr honoriert würde als mit der Zeile:
»Sind Sie wahnsinnig?« Sensenbrink feuerte die Zeitung auf den Konferenztisch. »Auf die Art und Weise stehen wir ruckzuck vor dem Staatsanwalt! Frau Bellini hat Ihnen hier in unser aller Beisein gesagt, dass das Thema ›Juden‹ nicht witzig ist!«
»Das hat er denen auch gesagt«, warf Sawatzki ein, »wörtlich. Aber die haben es nicht geschrieben.«
»Ruhe bewahren«, sagte die Dame Bellini. »Ich hab mir den Mitschnitt noch mal angehört. Herr Hitler hat alles, was er gesagt hat, als Adolf Hitler gesagt.«
»Wie ich es immer zu tun pflege«, fügte ich verwundert hinzu, um die Lächerlichkeit des Gesagten zu betonen. Die Dame Bellini sah mich kurz mit einem Stirnrunzeln an und fuhr dann fort:
»Ja, äh, genau. Rechtlich kann uns da gar keiner. Ich möchte hier zwar nochmals betonen, dass Sie beim Judenthema vorsichtig sein sollten. Aber ich kann nicht erkennen, was an der Aussage falsch sein soll, Hitler sei für den Tod von sechs Millionen Juden verantwortlich. Wer sollte es denn sonst sein?«
»Lassen Sie das nicht den Himmler hören«, schmunzelte ich. Man konnte förmlich sehen, wie dem Bedenkenträger Sensenbrink die Haare zu Berge standen, auch wenn ich nicht ganz nachvollziehen konnte, weshalb. Für einen Moment überlegte ich, ob am Ende auch Himmler auf irgendeinem Grundstücke erwacht wäre und Sensenbrink mit ihm eine weitere Sendung plante. Aber das war natürlich Unsinn. Himmler hatte nun wirklich kein Gesicht für das Fernsehen. Das sieht man schon daran, dass Himmler auch keinen einzigen Verehrerinnen-Brief bekommen hat, meines Wissen jedenfalls. Ein Verwaltungsmann, wenn man ihn brauchte, aber dem leuchtete immer auch eine gewisse Verschlagenheit aus dem Gesicht, ein Brillen tragendes Verrätertum, wie sich letztendlich ja dann noch bewahrheitet hat. So etwas will doch niemand im Fernsehapparat sehen. Auch die Dame Bellini wirkte für einen ganz kurzen Augenblick etwas ungehalten, doch dann entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder. »Ich sage es nicht gerne, aber Sie machen das schon sehr geschickt«, schloss sie. »Andere brauchen da ein halbes Jahr Medienschulung.«
»Ja, toll«, wetterte Sensenbrink. »Das ist aber nicht nur eine Rechtsangelegenheit. Wenn die weiter aus allen Rohren feuern, können die uns die Quote versauen. Die können doch gar nicht anders!«
»Sie könnten schon«, sagte ich, »sie wollen halt nicht.«
»Nein«, schrie Sensenbrink, »die können nicht. Das ist der Axel-Springer-Verlag! Haben Sie sich mal deren Grundsätze angesehen? Punkt zwei: ›Das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes.‹ Das ist nicht nur irgendein Geschwätz, das stammt noch vom alten Springer, das ist denen ihre Bibel, das kriegt jeder von den Redakteuren zum Dienstantritt, und die Einhaltung überwacht notfalls die Springerwitwe persönlich!«
»Und das sagen Sie mir erst jetzt?«, fragte ich scharf.
»Das muss doch nicht schlecht sein, wenn die nicht locker lassen können«, hakte Sawatzki ein, »wir können die Aufmerksamkeit doch in jedem Fall brauchen.«
»Richtig«, meinte die Bellini. »Aber es darf nicht ins Negative kippen. Wir müssen sicherstellen, dass allen Zuschauern klar ist, wer der Böse ist.«
»Und wer soll der Böse sein?«, stöhnte Sensenbrink. »Himmler?«
»›Bild‹«, sagten die Dame Bellini und der Hotelreservierer Sawatzki wie aus einem Mund.
»Ich werde die Verhältnisse in meiner nächsten Führeransprache klarstellen«, versprach ich. »Es wird Zeit, dass die Volksschädlinge beim Namen genannt werden.«
»Muss man sie unbedingt ›Volksschädlinge‹ nennen?«, ächzte der Reichsbedenkenträger Sensenbrink.
»Wir können ihnen zusätzlich eine gewisse Doppelzüngigkeit unterstellen«, sagte Sawatzki, »wenn wir noch ein bisschen Geld im Etat hätten. Haben Sie schon mal in Hitlers Handy gesehen?«
»Sicher, da ist der Gesprächsmitschnitt drauf«, sagte die Dame Bellini.
»Nicht nur«, sagte Sawatzki. Er beugte sich vor, nahm mein Telefon an sich und wischte ein wenig darauf herum. Dann legte er den Apparat so vor uns, dass wir den Bildschirm gut sehen konnten. Ein Foto war darauf.
Es war der erste Moment, in dem ich den genialen Goebbels nicht mehr vermisste.
xxvi.
Ein gewisses Alter hat immer auch seine Vorteile. Ich bin etwa sehr froh, dass ich erst mit dreißig Jahren zur Politik gekommen bin, in einem Alter, in dem der Mann auch körperlich und sexuell zu einer ersten Ruhe kommt und sich daher mit ganzer Kraft auf seine eigentlichen Ziele konzentrieren kann, ohne dass ihm dauernd die körperliche Liebe Zeit und Nerven raubt. Im Übrigen ist es auch so, dass das Alter die Anforderungen bestimmt, die die Umgebung an einen richtet: Wenn das Volk sich einen Führer von, sagen wir, zwanzig Jahren wählt, und der interessiert sich für keine Frau, dann gibt es selbstverständlich sofort Gerede. Was ist das für ein seltsamer Führer, heißt es bald, warum nimmt sich der keine Frau? Will er nicht? Kann er nicht? Aber mit vierundvierzig Jahren, wie in meinem Falle, wenn der Führer sich da nicht sofort eine Gefährtin wählt, da denkt das Volk dann: Na ja, er muss ja nicht, wahrscheinlich hat er schon. Und: Schön, dass er sich nur um uns kümmert. Und so geht das fort. Je älter man wird, desto mehr erreicht man die Rolle des Weisen, nebenbei bemerkt auch ganz ohne eigenes Zutun. Es gibt da diesen Schmidt, dieser uralte frühere »Bundeskanzler«, dieser Mann etwa hat absolute Narrenfreiheit und kann Blödsinn reden noch und noch. Man setzt ihn in einen Rollstuhl, wo er in ununterbrochener Reihenfolge Zigaretten abbrennt und in einem unerträglich langweiligen Duktus die dümmsten Allgemeinplätze verkündet. Dieser Mann hat überhaupt nichts begriffen, und wenn man es einmal nachliest, dann stellt sich heraus, dass sich sein Ruhm lediglich auf zwei läppische Taten gründet, nämlich dass er im Fall einer Hamburger Sturmflut die Armee zu Hilfe rief, wozu man kein Genie sein muss, und dass er den entführten Industriellen Schleyer kommunistischen Verbrechern überlassen hat, was für ihn keine große Sache gewesen sein kann und ihm sogar gesinnungsgmäßig entgegen gekommen sein dürfte, denn Schleyer war immerhin lange Jahre in meiner SS und von daher dem Sozialdemokraten Schmidt mit Sicherheit ein Dorn im Auge. Aber nun, kaum vierzig Jahre später, wird dieser rollende Schwelbrand als allwissendes Orakel durch das Land gereicht, dass man meinen könnte, der Herrgott persönlich sei herabgestiegen.
Um beim Thema zu bleiben: Von diesem Herrn werden natürlich auch keine Frauengeschichten mehr erwartet.
Der Vorteil eines Alters von etwas über einhundertzwanzig Jahren ist freilich vor allem ein taktischer: Der politische Gegner rechnet nicht damit und ist vollkommen überrumpelt. Er setzt ein anderes Aussehen voraus oder eine andere körperliche Verfassung, im Allgemeinen wird die Realität komplett geleugnet, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Das führt zu sehr »unangenehmen« Folgen: So hat man beispielsweise kurz nach dem Kriege alle Taten der nationalsozialistischen Regierung zu Verbrechen erklärt, völlig abstrus, letztlich war das ja eine gewählte Regierung. Und man hat festgelegt, dass diese »Verbrechen« niemals verjähren würden, was immer gut klingt in den Ohren jener gefühlsduseligen Parlamentswanzen, wenngleich ich in dreihundert Jahren denjenigen einmal sehen möchte, der sich überhaupt noch an diese heutigen Regierungslumpen erinnert. Tatsächlich bekam die Firma Flashlight auch prompt eine offizielle Mitteilung von der Staatsanwaltschaft, dass diese von irgendwelchen Dummköpfen angerufen worden sei und auch diverse Anzeigen wegen solcher Verbrechen eingegangen wären. Doch die Ermittlungen seien natürlich sofort eingestellt worden, weil ich ja nicht sein könne, wer ich bin, und als Künstler sei da natürlich eine ganz andere Freiheit gegeben und so weiter und so fort.