Da sieht man einmal wieder, dass sogar die einfachen Menschen in der Staatsanwaltschaft viel mehr von Kunst verstehen als diese Professoren an der Wiener Akademie. Staatsanwälte sind zwar heute wie damals juristische Fachidioten, aber sie erkennen wenigstens einen Künstler, wenn sie ihn sehen.
Als ich des späteren Vormittags in mein Büro kam, unterrichtete mich Fräulein Krömeier davon, und ich nahm es als guten Beginn eines Tages, an dem ich die Auseinandersetzung mit jener »Bild«-Zeitung ein für allemal zu beenden gedachte.
Ärgerlicherweise hatte ich die Rede vorher mit der Dame Bellini absprechen müssen, eine Sache, die mir außerordentlich zuwider war, zumal die Dame Bellini auch noch mit dem Hausjuristen anrückte, und man weiß ja, was von Juristen zu halten ist. Zu meiner großen Überraschung hatte der Paragraphenreiter keine oder doch nur kleinere Bedenken, die die Dame Bellini mit einem energischen »Das machen wir trotzdem!« vom Tisch wischte.
Ich hatte noch etwas Zeit, also ging ich hernach in mein Büro, aus dem mir Sawatzki entgegenkam und sagte, er hätte mich gesucht und mir einige erste Muster aus der Produktionslinie hinterlassen, und er freue sich schon auf den Tag der Abrechnung und derlei mehr, was mir irritierend belanglos schien. Zumal ich die Muster schon am Vortage gesehen hatte, Kaffeetassen, Aufkleber, Sportleibchen, die nach amerikanischem Brauch inzwischen T-Shirt genannt wurden. Dennoch war Sawatzkis Begeisterung nach wie vor hundertprozentig vertrauenswürdig.
»Ab 22.57 Uhr wird zurückgeschossen«, sagte er aufgekratzt.
Ich sagte nichts, neugierig.
Und tatsächlich fügte er hinzu: »Von jetzt ab wird Silbe mit Silbe vergolten!«
Ich schmunzelte zufrieden und ging in mein Büro, wo Fräulein Krömeier eifrig neue Schrifttypen für die Rede ausprobierte. Ich überlegte kurz, ob ich eine eigene Schriftart entwickeln sollte. Ich habe schließlich bereits Orden entworfen oder auch das Hakenkreuzsymbol im weißen Feld auf rotem Grund für die NSDAP, letztlich war und ist doch abzusehen, dass ich die ideale Schrift für eine völkische Bewegung am besten selbst entwickeln müsste. Dann fiel mir ein, dass binnen Kürze dann irgendwelche Grafiker in den Druckereien darüber diskutieren würden, ob sie den Text in »Hitler doppelfett« setzen sollten, und ich verwarf den Gedanken.
»Ist an den Mustern irgendetwas neu?«, fragte ich beiläufig.
»Welche Muster, meen Führa?«
»Na die, die der Herr Sawatzki eben vorbeigebracht hat.«
»Ach so«, sagte sie, »natürlich. Nee, det sind nur zwee Tassen.« Und dann griff sie rasch zu einem Taschentuch und schnäuzte sich sehr, sehr umfassend. Und als sie aufhörte, hatte sie ein erstaunlich rötliches Gesicht. Nicht verweint, eher belebt. Nun bin ich ja auch nicht auf der dünnen Heeressuppe dahergeschwommen.
»Sagen Sie, Fräulein Krömeier«, vermutete ich, »kann es sein, dass Sie den Herrn Sawatzki in jüngster Zeit etwas besser kennen…?«
Sie lächelte unsicher. »Wär det schlimm?«
»Das geht mich ja nun nichts an…«
»Nee, jetzt ham Se jefragt, jetze frag ich zurück: Wie finden Se denn den Herrn Sawatzki, meen Führa?«
»Einsatzfreudig, begeisterungsfähig…«
»Nee, Sie wissen schon. Der is in letzter Zeit wirklich ziemlich freundlich und kommt öfter mal vorbei, und ick meine, wie finden Se den denn so – als Mann? Meinen Se, det wär einer für mich?«
»Nun«, sagte ich, und für einen Moment schoss mir die Frau Junge durch den Kopf, »es wäre nicht das erste Mal, dass zwei Herzen in meinem Vorzimmer zueinander finden. Sie und der Herr Sawatzki? Ich glaube, Sie beide haben miteinander sicher viel zu lachen…«
»Det stimmt«, strahlte das Fräulein Krömeier, »der is richtig süß! Aber sagen Sie ihm det nich, det ick det jesacht hab!«
Ich versicherte ihr, dass sie auf meine Verschwiegenheit zählen könne.
»Und Sie«, fragte sie dann fast ein wenig besorgt, »sind Se nervös?«
»Warum sollte ich?«
»Det is so unglaublich«, sagte sie. »Ick hab ja schon einije von diesen Fernsehtypen jesehn, aber Sie sind wirklich der Coolste.«
»In diesem Beruf muss man Eiswasser in den Adern haben«, sagte ich.
»Geben Sie’s ihnen«, sagte sie fest.
»Werden Sie es sich ansehen?«
»Ick bin gleich hinter der Kulisse«, sagte sie stolz. »Ick hab ooch schon eins von den T-Shirts, meen Führa.« Und noch bevor ich etwas sagen konnte, öffnete sie schwungvoll den Reißverschluss ihres schwarzen Jäckchens und zeigte mir stolz das Hemd.
»Ich muss doch sehr bitten!«, sagte ich scharf, und als sie rasch wieder die Jacke schloss, fügte ich noch etwas milder hinzu: »Dass Sie mal was tragen, das nicht schwarz ist…«
»Allet nur für Sie, meen Führa!«
Ich machte mich auf den Weg, ließ mich mit dem Fahrdienst zum Studio bringen, wo schon Jenny wartete und mich mit einem lauten »Hallo, Onkel Ralf!« begrüßte. Ich hatte es inzwischen aufgegeben, sie zu korrigieren, auch weil ich wohl mit ziemlicher Sicherheit annehmen konnte, dass sie sich einen kleinen Dauerscherz daraus machte. Ich war in den letzten Wochen schon Onkel Ulf gewesen, dazu noch Onkel Golf, Onkel Schilf und Onkel Torf. Ich war nicht sicher, ob ich auf ihre Zuverlässigkeit zählen konnte, wenn es hart auf hart kam, langfristig allerdings würde ihre Leichtfertigkeit mit Sicherheit die Moral untergraben – insofern hatte ich sie intern schon einmal vorgemerkt. Wenn derlei nach der ersten Verhaftungswelle nicht aufhören würde, sah ich sie bislang direkt für die zweite Welle vor. Einstweilen ließ ich mir natürlich nichts anmerken, als sie mich zu meiner Garderobe geleitete, wo bereits Frau Elke wartete.
»Räumt den Puder weg, Herr Hitler kommt«, lachte sie. »Heute ist der große Tag, wie ich höre?«
»Es kommt darauf an, für wen«, sagte ich und setzte mich.
»Wir vertrauen auf Sie.«
»›Unsere letzte Hoffnung – Hitler‹«, sagte ich versonnen. »Wie früher auf den Plakaten…«
»Das ist jetzt aber ein bisschen sehr dick aufgetragen«, meinte sie.
»Dann nehmen Sie wieder was weg«, mahnte ich besorgt, »ich will doch nicht aussehen wie ein Kasperl.«
»Ich meinte – ach, vergessen Sie’s. Bei Ihnen braucht’s ja nicht viel. Der Mann mit der Traumhaut. Gehen Sie raus und zeigen Sie denen, wo der Hammer hängt.«
Ich begab mich hinter die Kulissen, um abzuwarten, bis Wizgür mich ankündigte. Er tat es mit immer größerem Widerwillen, aber man musste anerkennen, dass man diesen Widerwillen als Außenstehender nicht erkennen konnte.
»Meine Damen und Herren: Zum multikulturellen Ausgleich sehen Sie jetzt Deutschland aus Sicht eines Deutschen – Adolf Hitler.«
Begeisternder Applaus begrüßte mich. Die Auftritte waren mit jeder Sendung einfacher geworden. Es hatte sich eine Art Ritual entwickelt, wie früher im Sportpalast. Grenzenloser Jubel, den ich mit tödlichem Ernst in minutenlangem Schweigen zu absoluter Stille niederrang. Erst dann, in diesem Spannungsfeld zwischen Erwartung der Menge und eisernem Willen des Einzelnen, erhob ich das Wort.