»Ich habe in letzter Zeit…
mehrfach…
Dinge über mich…
in der Zeitung…
lesen.
Müssen.
Ich bin das ja gewohnt.
Von der liberalen Lügenpresse.
Aber neuerdings auch in einem Blatte
das jüngst über die Griechen
einige sehr zutreffende Äußerungen getan hat.
Oder über bestimmte Türken.
Und Faulenzer.
Nun wurde ich in jenem Blatte kritisiert
für einige Äußerungen, die…
in dieselbe Richtung gingen.
Da wurden dann ›Fragen‹ aufgeworfen,
etwa die Frage, wer ich überhaupt sei.
Um nur mal die dümmste zu nennen.
Es war dies Grund genug, dass ich begann, mich zu fragen:
Was ist das für eine Zeitung?
Was ist das für ein Blatt?
Ich habe meine Mitarbeiter gefragt.
Meine Mitarbeiter kennen es,
aber sie lesen es nicht.
Ich habe Menschen auf der Straße gefragt.
Kennen Sie dieses Blatt?
Sie kennen es,
aber sie lesen es nicht.
Niemand liest dieses Blatt.
Aber Millionen Menschen kaufen es.
Nun weiß niemand besser als ich:
Für eine Zeitung gibt es kein höheres Lob als dieses.
Man kennt das Prinzip ja.
Vom ›Völkischen Beobachter‹.«
Hier gab es das erste Mal stürmische Zustimmung. Ich ließ das Publikum verständnisvoll gewähren, bevor ich ernst abwinkte und zur Ruhe mahnte.
»Allerdings hatte der ›Völkische Beobachter‹ einen Chef,
der ein echter Kerl war.
Ein Leutnant.
Fliegerpilot, der für
sein Vaterland
sein Bein verloren hat.
Wer nun leitet dieses Blatt ›Bild‹?
Ebenfalls ein Leutnant.
Ein Oberleutnant sogar.
So was!
Was also stimmt nicht mit dem Mann?
Vielleicht fehlt ihm die ideologische Führung.
Beim ›Völkischen Beobachter‹, da fragte der Leutnant im Zweifelsfall nach,
was ich von der Sache hielt.
Von diesem ›Bild‹-Blatt hat noch niemand bei mir nachgefragt.
Erst dachte ich, der Mann sei womöglich einer dieser Hundertprozentigen, die sich von jeglicher Politik fernhalten.
Dann stellte ich fest: Er ruft sehr wohl an, wenn er geistige Unterstützung braucht.
Nur: woanders.
Bei einem Herrn Kohl.
Einem anderen Politiker.
Wenn man ihn denn so nennen kann.
Bei jenem Herrn Kohl, dessen Trauzeuge er ist.
Ich habe im Verlage des Oberleutnants nachgefragt. Dort hieß es:
Das sei völlig in Ordnung und mit dem ›Völkischen Beobachter‹ gar nicht zu vergleichen.
Der Politiker sei immerhin der frühere Kanzler des vereinten Deutschland.
Aber eben das
macht mich so ratlos.
Denn früherer Kanzler des vereinten Deutschland
bin ich schließlich selber.
Ich bezweifle nur, dass das vereinte Deutschland jenes Herrn Kohl
so vereint ist, wie es das meine war.
Da fehlt ja schon noch so einiges.
Elsass.
Lothringen.
Österreich.
Das Sudetenland.
Posen.
Westpreußen.
Danzig.
Ostoberschlesien.
Das Memelgebiet.
Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen.
Ich dachte nur als Erstes:
Wenn der Herr Schriftleiter kompetente Meinungen braucht,
dann sollte er sie ja wohl beim Schmidt holen.
Und nicht beim Schmidtchen.«
Erneut brandete Zustimmung auf, die ich mit einem ernsten Nicken begrüßte, bevor ich fortfuhr.
»Aber womöglich
ist dieser Schriftleiter nicht auf der Suche nach kompetenten Meinungen.
Ich habe daraufhin diesen Herrn mal
– wie sagt man so schön heute –
gegoogelt.
Ich habe ein Bild von ihm gefunden.
Da war mir alles klar.
Das ist ja der Vorteil, wenn man über fundierte Kenntnisse in der Rassenlehre verfügt.
Da genügt ein Blick.
Dieser ›Schriftleiter‹,
er nennt sich Diekmann,
das ist natürlich kein richtiger Schriftleiter.
Das ist lediglich
ein wandelnder Anzug unter einem Pfund Streichfett.«
Weiterer Jubel sagte mir, dass in dem Schriftleiter Diekmann durchaus die richtige Person getroffen worden war. Ich ließ das Publikum diesmal weniger lang gewähren, um die Spannung zu nutzen.
»Aber letztlich entscheidet die Tat
über die Wahrheit
und über die Lüge.
Die Lüge ist: Jene Zeitung versucht, ihre Leser zu überzeugen, sie sei mein erbitterter Gegner.
Die Wahrheit sehen Sie hier.«
Es hatte allerhand grafische Fertigkeiten gebraucht, um Details auf dem Bild aus meinem Telefon entsprechend zu bearbeiten, aber die Fakten waren unverändert und nur durch Helligkeit und etwas Vergrößerung verbessert. Man sah deutlich, wie Frau Kassler die Rechnung im Adlon bezahlte. Und dann wurde groß Sawatzkis Slogan eingeblendet:
»›Bild‹ finanzierte den Führer.«
Ich muss sagen: Einen derartigen Applaus hatte ich zuletzt 1938 bekommen, beim Anschluss Österreichs. Aber die wirkliche Unterstützung brachten die Besucherzahlen auf meiner Sender-Sonderadresse im Internetz. Mehrfach war die Rede nicht abrufbar, eine unsägliche Stümperei. Früher hätte ich Sensenbrink dafür an die Front versetzt. Versöhnlich war, dass der Slogan für einen ausgezeichneten Absatz sorgte an »›Bild‹ finanzierte den Führer«-Sporthemden, Kaffeetassen, Schlüsselanhängern und dergleichen mehr. Und die Bevorratung der Verkaufsstellen war ausgezeichnet.
Was mich in puncto Sensenbrink wieder versöhnlicher stimmte.
xxvii.
Es dauerte drei Tage, bis sie kapitulierten.
Einen Tag, bis sie mit ihrer einstweiligen Verfügung scheiterten. Das Gericht lehnte sie ab mit der einleuchtenden Begründung, es habe die »Bild«-Zeitung überhaupt noch nicht gegeben, als es den Führer gab, insofern sei doch nur ein Bezug auf den TV-Führer möglich. Und dass die Zeitung den finanziert hätte, sei nun einmal nicht von der Hand zu weisen. Die Zuspitzung der Aussage sei im Übrigen ein von der Zeitung selbst durchaus häufig gehandhabtes Stilmittel, insofern habe sie es auch in einem etwas gesonderten Maße selbst hinzunehmen, wenn derart über sie berichtet werde.
Einen weiteren Tag brauchten sie, um die Aussichtslosigkeit irgendwelcher Revisionen zu erkennen und um die Verkaufszahlen jener Sportleibchen, Aufkleber und Tassen mit dem Slogan zur Kenntnis zu nehmen. Irgendwelche jungen aufrechten Deutschen hielten sogar eine Mahnwache vor dem Verlagsgebäude, wenn auch in einer deutlich heitereren Stimmung, als ich sie unter diesem Begriffe für angemessen gehalten hätte.
Zwischenzeitlich konnte ich mich auch über mangelnde Resonanz in anderen Publikationen nicht mehr beschweren. Die Auseinandersetzung hatte mich anfangs noch vereinzelt in die Klatschseiten gebracht, nun begann ich, in die deutschen Kulturteile vorzudringen. Noch vor sechzig Jahren hätte ich nicht den geringsten Wert darauf gelegt, unter all jenen unattraktiven und unverständlichen Kopfgeburten einer vorgeblichen »Kultur« beschwätzt zu werden. Doch zwischenzeitlich war eine Bewegung entstanden, nach der neuerdings so gut wie alles als Kultur gelten kann oder auch zu einer solchen erhoben wird. Von daher ließ sich das Erscheinen auf diesen Seiten als Teil eines Transformationsprozesses begrüßen, der mir über das Normalmaß politischer Rundfunkunterhaltung hinaus das Gütesiegel politischer Seriosität verlieh. Das völlig vergeistigte Kauderwelsch der Texte freilich war in den letzten sechzig Jahren das Gleiche geblieben, man konnte offenbar davon ausgehen, dass auch heute noch die Leserschaft nur das für anspruchsvoll erachtete, was ihr möglichst unverständlich blieb, und sich das Wesentliche aus dem erkennbar positiven Grundton mittels Vermutung erschloss.