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Die ersten Stunden am Kiosk gehörten den einfachen Arbeitern und den Rentnern. Sie redeten nicht viel, kauften Rauchwaren, die Morgenzeitung, vor allem eine Zeitung namens »Bild« war sehr beliebt, gerade auch bei Älteren, ich nahm an, weil der Verleger eine unerhört große Schrift bevorzugte, damit auch Menschen mit Sehschwäche nicht auf Informationen zu verzichten brauchten. Eine ausgezeichnete Idee, musste ich im Stillen zugeben, daran hatte nicht einmal der eifrige Goebbels gedacht – mit dieser Maßnahme hätten wir ohne Zweifel noch mehr Begeisterung in diesen Bevölkerungsgruppen entfachen können. Gerade den älteren Volkssturmleuten hatte es in den letzten von mir erlebten Kriegstagen an Schwung, Durchhaltewillen und Opferbereitschaft gemangelt, wer konnte ahnen, dass so einfache Mittel wie eine größere Schrift so viel Wirkung erzielten?

Andererseits: Es hatte ja auch Papier gefehlt. Dieser Funk war doch alles in allem ein unheilbarer Trottel gewesen.

Meine Anwesenheit vor dem Kiosk führte allmählich zu ersten Problemen. Gelegentlich gab es zwar, gerade unter den jüngeren Arbeitern, Heiterkeit, häufiger auch Anerkennung, die in den Worten »kuhl« und »krass« ausgedrückt wurde, unverständlich, gewiss, aber das Mienenspiel ließ auf einen unleugbaren Respekt schließen.

»Gut, nicht wahr«, strahlte da der Zeitungskrämer den Kunden an, »da merkt man keinen Unterschied, oder?«

»Nee«, sagte der Kunde, ein Arbeiter, er mochte Mitte zwanzig sein, und faltete seine Zeitung. »Aber darf man denn das?«

»Was?«, fragte der Krämer.

»Na, in der Uniform.«

»Was gibt es am deutschen Soldatenrock auszusetzen?«, fragte ich argwöhnisch und auch mit leichtem Ärger im Tonfall.

Der Kunde lachte, vermutlich, um mich zu beschwichtigen.

»Der ist wirklich gut. Nein, ich meine, Sie machen das ja wohl beruflich, aber braucht man da eine Sondererlaubnis, wenn man die ständig in der Öffentlichkeit trägt?«

»Das wäre ja noch schöner!«, gab ich empört zurück.

»Ich meine ja nur«, sagte er etwas eingeschüchtert, »wegen der Verfassung…«

Das gab mir zu denken. Er meinte es nicht böse, und tatsächlich war die Verfassung meiner Uniform nicht die beste.

»Gut, sie ist etwas schmutzig«, gab ich leicht geknickt zu, »aber selbst schmutzig ist das Kleid des Soldaten noch immer von größerer Ehre als jeder saubere Frack des verlogenen Diplomatentums!«

»Warum soll die verboten sein?«, fragte der Zeitungskrämer nüchtern, »ist doch kein Hakenkreuz dran.«

»Was soll denn das nun wieder heißen?«, schrie ich da erbost. »Sie werden ja wohl auch so wissen, in welcher Partei ich bin!«

Der Kunde verabschiedete sich mit einem Kopfschütteln. Als er weg war, bat der Zeitungskrämer mich, wieder Platz zu nehmen, und wandte sich ruhig an mich.

»Er hat nicht ganz unrecht«, sagte er freundlich. »Die Kunden gucken schon seltsam. Ich weiß ja, dass Sie Ihre Arbeit sehr ernst nehmen. Aber könnten Sie nicht wirklich was anderes anziehen?«

»Ich soll mein Leben, meine Arbeit, mein Volk verleugnen? Das können Sie nicht von mir verlangen«, sagte ich und sprang wieder auf. »Ich werde diese Uniform tragen bis zum letzten Blutstropfen. Ich werde die Opfer der Bewegung nicht durch erbärmlichen Verrat ein zweites Mal von hinten erdolchen wie Brutus den Cäsar…«

»Müssen Sie eigentlich immer gleich so ein Fass aufmachen?«, sagte der Zeitungskrämer nun auch ein wenig ungehalten. »Es hat ja nicht nur was mit der Uniform zu tun…«

»Sondern?«

»Das Ding stinkt. Ich weiß ja nicht, woraus Sie sie gemacht haben, aber haben Sie da alte Tankwartsuniformen verarbeitet oder was?«

»Im Feld kann der einfache Landser auch nicht den Rock wechseln, und ich werde hier nicht der Dekadenz derer anheimfallen, die es sich hinter der Front gemütlich machen.«

»Das mag ja alles sein, aber denken Sie doch mal an Ihr Programm!«

»Wieso?«

»Na, Sie wollen doch Ihr Programm an den Mann bringen, oder?«

»Ja und?«

»Haben Sie schon mal daran gedacht, was passiert, wenn hier mal wirklich ein paar Leute vorbeikommen und Sie kennenlernen wollen? Und dann stehen Sie da und riechen, dass man sich nicht traut, neben Ihnen eine Zigarette anzuzünden.«

»Sie haben sich ja auch getraut«, erwiderte ich. Aber meinen Worten fehlte die gewohnte Schärfe, weil ich seinen Argumenten widerwillig beipflichten musste.

»Ich bin eben mutig«, lachte er. »Kommen Sie, gehen Sie rasch nach Hause, und holen Sie sich ein paar andere Klamotten.«

Da war es wieder, das leidige Wohnproblem.

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass das derzeit schwierig ist.«

»Na, aber Ihre Ex arbeitet doch vielleicht jetzt. Oder sie geht einkaufen. Warum stellen Sie sich denn so an?«

»Nun ja«, sagte ich zögernd, »das ist sehr problematisch. Die Wohnung…« Ich war jetzt wirklich ein wenig in argumentativen Nöten. Es war aber auch eine entwürdigende Situation.

»Haben Sie am Ende keinen Schlüssel?«

Diesmal musste ich selbst lachen angesichts von so viel Naivität. Ich wusste gar nicht, ob es für den Führerbunker überhaupt einen Schlüssel gab.

»Nein, äh, wie soll ich sagen: Der Kontakt ist irgendwie… ist, äh, unterbrochen… worden.«

»Haben Sie ein Kontaktverbot?«

»Ich kann es mir ja selbst nicht wirklich erklären«, sagte ich, »aber es ist wohl etwas in der Art.«

»Himmel, so wirken Sie gar nicht«, sagte er etwas reserviert. »Was haben Sie denn angestellt?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß, »mir fehlt die Erinnerung an die Zwischenzeit.«

»Sie scheinen mir jedenfalls nicht gewalttätig«, sagte er nachdenklich.

»Nun«, sagte ich und rückte mir mit der Hand den Scheitel zurecht, »ich bin natürlich Soldat…«

»Also schön, Sie Soldat«, sagte der Zeitungskrämer. »Ich mach Ihnen noch einen Vorschlag. Weil Sie gut sind und ich an solche Besessenen wie Sie glaube.«

»Natürlich«, bekräftigte ich seine Rede, »wie jeder vernünftige Mensch. Man muss seine Ziele mit ganzer Kraft verfolgen, ja, mit Besessenheit. Der laue, verlogene Kompromiss ist die Wurzel allen Übels und…«

»Ist ja gut«, unterbrach er mich, »also passen Sie auf. Ich bringe Ihnen morgen ein paar alte Sachen von mir. Sie brauchen sich nicht bedanken, ich hab in letzter Zeit etwas zugelegt, ich bring die Knöpfe nicht mehr zu«, und dabei blickte er unzufrieden auf seinen Bauch, »aber Ihnen könnten sie passen. Sie arbeiten ja glücklicherweise nicht als Göring.«

»Wie käme ich dazu?«, fragte ich irritiert.

»Und dann bringe ich Ihre Uniform gleich in die Reinigung…«

»Die Uniform gebe ich nicht aus der Hand!«, betonte ich unnachgiebig.

»Schön«, sagte er, und er wirkte mit einem Male ein wenig erschöpft, »dann bringen eben Sie Ihre Uniform in die Reinigung. Aber das sehen Sie doch ein, oder? Dass man die mal sauber machen muss.«

Man wurde behandelt wie ein kleines Kind, es war empörend. Aber, so viel war klar, das würde so bleiben, solange ich schmutzig wie ein Kind herumlief. Also nickte ich.

»Bloß mit den Schuhen wird das schwierig werden«, sagte er. »Was haben Sie für eine Größe?«

»43«, sagte ich gottergeben.

»Da werden Ihnen meine zu klein sein«, sagte er. »Aber ich lass mir was einfallen.«

iv.

Man muss dem Leser mit Verständnis begegnen, wenn in ihm an dieser oder auch an anderer Stelle ein Staunen aufkeimt über die Geschwindigkeit, mit der ich mich in die Gegebenheiten der neuen Situation fügte. Es kann auch gar nicht anders sein, dass der Leser, der über Jahre, ja Jahrzehnte meiner Abwesenheit unablässig aus der Suppenkelle der Demokratie mit einem verbogenen marxistischen Geschichtsbilde übergossen wurde, dass er in der Brühe schwimmend kaum noch fähig ist, den Blick über den eigenen Tellerrand hinauszulenken. Ich will hier an den ehrlichen Arbeiter, den braven Bauern auch keinerlei Vorwurf richten. Wie will denn der einfache Mann dagegen aufbegehren, wenn all die vermeintlichen Fachleute und dahergelaufenen Gelehrten vom hohen Katheder ihrer vorgeblichen Wissenstempel herab über sechs Jahrzehnte verkünden, der Führer sei tot? Wer will es dem Manne übel nehmen, dass er inmitten des täglichen Überlebenskampfs nicht die Kraft findet zu sagen: »Wo ist er denn, der tote Führer? Wo liegt er denn? Zeigt ihn mir!«