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— In zehn Minuten wird sich der Herr Hofrat darauf hinausreden, daß ihn das Amt rufe und daß er nur deshalb keine Zeit für seine Familie habe, weil er sich für die Gemeinschaft zersprageln muß. Das übliche Freilos. Ich wunder mich, daß mir dieser beinharte Realismus bisher nie aufgefallen ist. Ich habe immer gedacht, ich hätte in einem süßlichen Heimatfilm mitgewirkt. So kann man sich täuschen.

Peter blickt eine Weile auf den Bildschirm.

— Das muß ich in der Zeitung übersehen haben, daß der wieder einmal gesendet wird.

Dann kneift er Ingrid sacht in den Nacken, seine übliche Art. Er hat ein Pflaster um den Daumen, das scheuert. Weil Ingrid nicht reagiert, erkundigt sich Peter, ob sie etwa immer noch böse sei.

Sie ist erstaunt, daß er das Gespräch von vor zwei Tagen nicht längst verdrängt hat, das wertet sie als sicheres Zeichen, daß ihm das Gewissen zusetzt. Deshalb hakt sie nach — sie versucht (natürlich versucht sie es) zu erklären, mit zunächst leiser, die Silben verschleppender, allmählich sich erregender Stimme, warum die Diskussion nicht einfach erledigt sein könne, nur weil zwei Tage vergangen sind und der Jahreswechsel bevorsteht, davon werde nichts besser. Sie argumentiert, so eine profane Versöhnung, obwohl keine Änderung eingetreten ist, halte nicht lange, wäre überdies unehrlich. Er solle sich endlich mit den Tatsachen auseinandersetzen und sie (Ingrid) mit seinen Ausflüchten und ewiggleichen Antworten in Ruhe lassen. Für alles sei sie der Trottel, und falls er sie in dieser Ansicht korrigieren wolle, soll er zuerst in den Windfang schauen und dann in die Abwasch, in der sich das Geschirr von gestern und vom Frühstück türmt. Es gebe ja immer den Trottel Ingrid, der hinter allen herräumt. Ob er, wie die Dinge stehen, allen Ernstes meine, daß sie da nicht mehr böse sein soll.

— Na, eigentlich schon.

Er sagt es irgendwie recht lieb und würde es besser so stehenlassen. Aber er fährt fort, er finde ihr Verhalten genauso eigenartig, und er denke nicht daran, diesen Zustand auf Dauer mitzumachen. Ihre Berufstätigkeit beeinträchtige das Familienleben auf eine Art, da könne er nicht einfach zusehen.

Sie funkelt ihn mit einem schnellen Blick an, eine Sekunde später sind ihre Augen wieder geschlossen. Sie sagt, und erst am Ende des Satzes gehen ihre Augen wieder auf, aber Richtung Fernseher:

— Wozu hätte ich dann so lange studiert, wenn ich die Ausbildung nicht nutzen würde. Du hast doch gewußt, daß du eine angehende Ärztin heiratest.

Keine Antwort. Sein hilfloses Dastehen ist Antwort genug. Er hat nichts zu sagen, denn er weiß genau, daß es nichts gibt, was zu seiner Rechtfertigung dienen könnte.

Ingrid reibt die kalten Hände vor den weiterhin hochgezogenen Knien. Sie heftet den Blick auf den Bildschirm. Sie sucht einen Anhaltspunkt für ihren stockenden Gedankenfluß und zitiert schließlich einen Satz, den Kanzler Kreisky unlängst verwendet hat:

— Wie die Vogelscheuchen im Gurkenfeld, zum Reden nicht fähig.

Peter beklagt sich:

— Du bist so aggressiv.

Mit träger Genugtuung gibt Ingrid zurück:

— Allerdings.

In der Tat ist sie schon wieder sauer, kaum hat sie ein paar Worte mit Peter gewechselt. Sie sagt sich, was bildet der sich überhaupt ein. Im kommenden Jahr wird sie fünfunddreißig, sie hat die ersten grauen Haare, und er meint, über sie bestimmen zu müssen. Sie hat genug Probleme damit, sich von ihrem Vater zu lösen, da braucht sie keinen Mann, der genauso dominant sein möchte und, statt ihre Bemühungen zu unterstützen oder wenigstens anzuerkennen, ihr ein Gefühl der Unzulänglichkeit vermittelt. Obwohl sie viel mehr leistet als er, erhält sie fast nie ein Kompliment, außer vielleicht, daß das Essen gut ist. Stundenlanges Kochen wird honoriert, weil es ins Bild von der vorbildlichen Gattin, Hausfrau und Mutter paßt, wie es an den Fassaden der Gemeindebauten prangt: ein Heimchen mit Holzschuhen und Nackenhaarknoten, eine Garbe Ähren im Arm, links und rechts Kinder. Ansonsten? Kein Wort der Anerkennung. Es wird tunlichst alles vermieden, was daheim den Eindruck erwecken könnte, sie sei tüchtig oder gar begehrenswert. Das läßt Peters Egoismus nicht zu. Er schafft es nicht, sich aus dem Zentrum zu nehmen, das ist die Pathologie der Männer, da sind sie alle gleich, und wenn nicht alle, so die meisten. Garantiert steht Ingrid nicht allein da mit einem Mann, der nur sich selbst liebt. Das alles ist schade, sehr schade, zumal der Herr Haushaltsvorstand eindeutig keine Einsicht besitzt. Da könnte sie genausogut versuchen, Cara das Einmaleins beizubringen.

Wie war der Dienst, Ingrid?

Das fragt niemand.

Da sie schon einmal dabei ist, teilt sie Peter mit, daß sie es zuwege gebracht hat, ihren nächsten Dienst von Sonntag auf Montag zu tauschen. Sie komme seit Tagen nicht zur Ruhe und brauche das lange Wochenende zum konzentrierten Ausschlafen und Regenerieren. Da Peter in der kommenden Woche noch frei habe, sei es ja eigentlich egal.

Peter regt sich furchtbar auf, er habe sich für Montag soviel vorgenommen, er sei davon ausgegangen, Ingrid werde zu Hause sein und den Laden schmeißen (seine Diktion). Er habe sich mit zwei Kollegen für das Fußballturnier in der Stadthalle verabredet.

— Na toll, sagt Ingrid.

Eine Sekunde später verzieht sie den Mund:

— Die Kinder werden nicht das erste Mal allein zu Hause sein. Ich habe den hartnäckigen Verdacht, sie beschäftigen sich auch heute ohne elterliche Anleitung. Dann ist das halt ein Training für Montag.

— Die Kinder sind nicht das Problem, die schicke ich mit dem Andritsch-Buben in die Stadt, wo es schon etwas geben wird, einen Ersttagsstempel oder eine Rede am Rathausplatz. Aber ich kann die Arbeiter fürs Bad nicht auch mitschicken. Außerdem weiß ich nicht, wie du den Spiegel im Bad montiert haben willst.

Er redet lauter Schwachsinn, findet Ingrid, und weil sie Peter einbremsen muß, damit er nicht alles auf sie abwälzt, sagt sie dreimal, sie sei in diesen Dingen ja doch keine Hilfe, da müsse er schon seine eigenen Fähigkeiten in Anschlag bringen. Hier folgt sie dem Beispiel von Sissi. Die nicht einmal zehnjährige Tochter ist in strategischen Dingen gewiefter als die bald fünfunddreißigjährige Mutter. Im vorliegenden Fall heißt das, Sissi hat längst begriffen, wie zuverlässig es funktioniert, wenn sie die Blonde spielt. Zweckdenken als Selbstschutz. Dummheit als Anwendung, als wäre Dummheit eine Form von Höflichkeit: Tut mir leid, aber das kann ich nicht. Da kenne ich mich nicht aus. Das ist mir nun wirklich zu schwer. Ingrid muß diese Sätze automatisieren, etwas anderes, das leuchtet ihr ein, bleibt ihr nicht übrig. Entweder man gibt den Männern die Möglichkeit, sich überlegen zu fühlen, oder sie ziehen sich aus der Affäre.

Ob dann am Montag wenigstens etwas gekocht sei, fragt Peter. Das empfindet Ingrid erst recht als eine Frechheit. Wenn Peter einmal zum Einsatz kommen soll, kriegt er die Panik, dabei ist Ingrid weitaus öfter diejenige, die in den sauren Apfel beißt. Sie arbeitet auch härter für ihr Geld als der Herr Straßenverkehrsspezialist, der ganze Tage durch die Gegend heizt, wie es ihm beliebt. Wenn man einen Gradmesser sucht, wie unterschiedlich bei ihnen die berufliche Belastung ausfällt, muß man sich nur anschauen, was sie nachts träumen. Während Ingrid regelmäßig dienstliche Probleme verarbeitet und von Glück reden kann, wenn sie mittendrin aufwacht, kauft Peter sich im Traum einen Alfa Romeo und ist am Morgen vor Seligkeit nicht ansprechbar. Er prahlt sogar damit, daß er im Innendienst mit den Kollegen Dart spielt. Vermutlich auch deshalb ist ihm daheim jeder Handgriff zuviel.

Sie sagt:

— Ganz nach deinen Wünschen, es wird alles passieren.

Ohne ein weiteres Wort steht sie auf und schlägt mit schmalen, vom Gähnen wäßrigen Augen den Weg Richtung Küche ein.

Als sie an Peter vorbeigeht, meint er geduldig (kann sein, es ist versöhnlich gemeint):