Die Waffenkäufer erwischten Thomas und Bastian nicht. An ihrer Stelle erwischten fremde Agenten in der Bundesrepublik, wie erinnerlich, in den Jahren 1948 bis 1956 ein paar »echte« Waffenhändler. Sie legten ihnen Zeitbomben in die Autos. Oder sie schossen sie auf offener Straße zusammen.
Philosophisch meinte Thomas Lieven bei einer dieser makabren Gelegenheiten: »Wer Gewalt liefert, kommt gewaltsam um. Wir haben Schmierseife geliefert. Wir leben …«
Das war, wie gesagt, zu einem späteren Zeitpunkt. Am 14. Mai 1948 hatte Thomas eine kurze Weile lang urplötzlich doch die Befürchtung, ein gewaltsames Ende könne ihn ereilen. Und zwar, als es gegen Mittag klingelte. Bastian ging öffnen. Er kehrte wachsbleich zurück. »Zwei Herren von der sowjetischen Militärkommission.«
»Allmächtiger Vater!« sagte Thomas. Da kamen sie schon herein. Ernst und schwer. Trotz der Wärme noch in Ledermänteln. Thomas war es plötzlich sehr heiß. Dann war ihm plötzlich sehr kalt.
Aus. Es ist aus. Sie haben mich gefunden.
»Gutten Taggg«, sagte der eine Sowjetmensch. »Cherrr Chellerrr?«
»Ja.«
»Wirrr suchen Frau Dunja Melanin. Man sagt uns, sie sein mit Ihnen.«
»Nun, hm, äh …« Thomas fing sich. »Zufällig ist die Dame anwesend.«
»Gestatten, daß wirrr mit ihrrr sprechen? Allein sprechen?«
»Aber bitte«, sagte Thomas. Er führte die beiden in ein Zimmer, in dem Dunja sich gerade manikürte.
Nach zehn Minuten gingen die Herren in den Ledermänteln bereits wieder – ernst und verschlossen.
Bastian und Thomas stürzten zu Dunja. »Was war los?«
Mit einem Jubelschrei flog die blonde Schönheit Thomas an den Hals und warf ihn fast über den Haufen.
»Das ist der glücklichste Tag meines Lebens!« Kuß. »Du mein Herz!« Kuß. »Du mein Einziger!« Kuß. »Wir können heiraten!«
Bastian fiel der Unterkiefer herab.
Thomas stammelte: »Wir können was?«
»Heiraten!!!«
»Aber du bist doch verheiratet, Dunja!«
»Nicht mehr! Seit zwei Minuten nicht mehr! Die Herren forderten mich auf, sofort heimzukehren. Im Namen eines sowjetischen Scheidungsgerichts, bei dem mein Mann eine Klage führt. Ich lehnte ab heimzukehren. Da sagten die Herren: ›Dann ist Ihre Ehe von Stunde an geschieden!‹ Hier, bitte, die Urkunde!«
»Ich kann nicht Russisch lesen«, murmelte Thomas, um den sich alles drehte. Er sah die strahlende Dunja an. Er sah den wachsbleichen Bastian an.
Na, dann gesegnete Mahlzeit, dachte er. Und die Schiffe mit der Sägemehlmunition und der Schmierseife sind auf hoher See.
Hilf, Himmel!
12
Das beste wird sein, ich nehme einen Strick und schieße mich damit tot, überlegte Thomas Lieven melancholisch. Wie soll ich jemals aus dem ganzen Schlamassel herauskommen? Bedrückt und beklommen schlich er in diesen Tagen herum. Als er in der Nacht zum 18. Mai von einem Besuch in Dunjas möbliertem Zimmer nach Hause kam, schleppte er sich ächzend zum Badezimmer und riß in seiner Nervosität die kleine Hausapotheke von der Wand. Donnernd krachte sie auf den Boden.
Schlaftrunken kam Bastian Fabre aus seinem Zimmer gestolpert: »Mensch, was ist denn los?«
»Brom …« stöhnte unser Freund. »Ich brauche Brom, ich muß mich beruhigen …«
»Kommst du von Dunja?«
»Ja. Stell dir vor – sie hat schon unser Aufgebot bestellt. Du bist einer von den Trauzeugen. Die Sache soll in vier Wochen steigen. Und sie will Kinder. Fünf! So schnell wie möglich … Bastian, ich bin verloren, wenn nicht sofort etwas geschieht – sofort, hörst du?«
»Hab’s gehört. Na, trink erst mal das da. Ich habe eine Idee. Vielleicht funktioniert sie. Aber dazu mußt du mir zwei bis drei Tage freigeben.«
»Laß dir Zeit, mein Alter«, sagte Thomas Lieven. Bastian verschwand. Als er nach sechs Tagen wiederkehrte, war er ungemein schweigsam.
»Mensch, mach doch mal das Maul auf!« drängte der verzagte Verlobte. »Hast du was erreicht?«
»Man wird sehen«, antwortete Bastian.
Das war am 25. Mai. An diesem Tag hörte Thomas nichts von Dunja, und auch nichts am folgenden. Als er sie abends besuchen wollte, war sie nicht zu Hause.
Am 27. Mai um 18 Uhr 15 schrillte in seiner Wohnung das Telefon. Er hob ab und hörte zunächst nur ein gewaltiges Getön und Brausen, Stimmen und Motorengeräusche.
Dann vernahm er plötzlich Dunjas Stimme, tränenerstickt, verzweifelt: »Mein Herz – mein Geliebter …«
»Dunja!« schrie er. »Wo bist du?«
»In Frankfurt – auf dem Flughafen – in der Militärpolizeistation …«
»Militärpolizeistation?«
Aufschluchzen in Frankfurt. Dann: »Ich fliege nach Amerika, mein Guter …«
Thomas plumpste in einen Sessel. »Du – was?«
»Meine Maschine startet in zehn Minuten … Ach, ich bin ja so unglücklich … Aber es geht um mein Leben. Sie bringen mich um, wenn ich hierbleibe …«
»Bringen dich um«, wiederholte Thomas blödsinnig. Summend kam Bastian ins Zimmer, ging zu einer Wandbar und machte sich einen kleinen Whisky. Indessen hörte Thomas die Stimme Dunjas: »Sie haben mir Drohbriefe geschrieben – sie haben mich überfallen, fast erwürgt – sie haben gesagt, sie werden mich umbringen, weil ich nicht heimgekehrt bin – die Amerikaner sagen es auch!«
»Die Amerikaner auch?«
»Nicht doch so, wie du meinst!« rief die Stimme aus Frankfurt hysterisch. »Ich werde im Auftrag des State Departments nach Amerika geflogen – in Sicherheit … Mein Mann ist doch ein Sowjetgeneral, vergiß das nicht …«
»Dunja, warum hast du mir nichts von all dem erzählt?«
»Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen. Ich durfte auch mit niemandem sprechen …« Sie redete rasend schnell. Thomas wurde es schwindlig.
Von Liebe und Wiedersehen sprach Dunja, von ewiger Treue und ewiger Verbundenheit, über Ozeane hinweg. Und zuletzt: »… ich muß aufhören, Geliebter. Meine Maschine wartet auf mich … Leb wohl …«
»Leb wohl«, sagte Thomas. Dann war die Verbindung unterbrochen. Thomas legte den Hörer auf die Gabel.
Er starrte Bastian an und beleckte die Lippen. »Gib mir auch einen. Aber schnell. Das ist dein Werk – ja?«
Bastian nickte. »War übrigens gar nicht so schwer, mein Kleiner«, sagte er.
Nein, so schwer war es wirklich nicht gewesen, nachdem Bastian herausbekommen hatte, daß es in der Nähe von Nürnberg ein riesiges Ausländerlager gab. »Valka-Lager« hieß es. Dorthin war der treue Freund gefahren …
In der trostlosen Umgebung des trostlosen Lagers existierten viele Kneipen. Am dritten Abend fand Bastian zwei Herren, die bereit waren, zu durchaus zivilen Preisen einige Drohbriefe in russischer Sprache abzufassen. Weiterhin waren sie willens, nach Wiesbaden zu kommen und daselbst einen kleinen Einbruch zu inszenieren, eine Dame ein bißchen zu würgen und gewaltig zu erschrecken …
»… umgehend trat die Reaktion ein«, berichtete Bastian nun händereibend seinem Freund.
»Bastian!« schrie Thomas ihn an.
»Es war ein garantiert ungefährliches Würgen. Ich habe dem Iwan vorher eingeschärft, daß ihr nichts Ernsthaftes geschehen dürfe!«
»Schnell noch einen, pur!« stöhnte Thomas.
»Gerne. Ich gebe zu, die Methode war nicht fein …«
»Barbarisch war sie!«
»… aber du liegst mir doch am Herzen, mein Alter. Und ich habe dich immer mit fünf Kindern gesehen … Kannst du mir verzeihen?«
Später an diesem Abend unterhielten sie sich über ihre Zukunft. Und Thomas kam auf ein neues Geschäft zu sprechen. »Wir haben hier eine Menge Geld gemacht. Das Geld müssen wir jetzt anlegen – und zwar schnell.«
»Warum schnell?«
»Ich habe da etwas gehört – glaub mir, es muß schnell gehen. Wir werden Autos kaufen. Amerikanische Pontiacs, Cadillacs und so weiter.«
Thomas erwärmte sich über seinem Thema. Für einen Dollar, erklärte er, mußte man im Moment etwa 200 R-Mark bezahlen. Nun, sie hatten Geld genug! Natürlich bekam man als Deutscher keine Einfuhrlizenz für amerikanische Autos. Sei’s drum! Thomas hatte da einen kleinen Angestellten der amerikanischen Militärregierung kennengelernt. Der schied eben aus dem aktiven Dienst aus. Jackson Taylor hieß der Herr. Er würde eine Einfuhrlizenz bekommen.