»Mr. Taylor gründet pro forma ein Autogeschäft in Hamburg und verkauft die Karren – für uns.«
»An wen? Hat doch kein Mensch Penunze hier!«
»Das wird sich bald ändern.«
»Wie viele Autos willste denn kaufen?«
»Na, so an die hundert!«
»Jesus! Und gleich rüberkommen lassen?«
»Ja. Nein. Ich will sie kaufen und rüberkommen lassen. Aber vielleicht nicht gleich.«
»Sondern wann?«
»Das hängt davon ab, wann das Ding steigt.«
»Was für ein Ding?«
Thomas sagte ihm, was für ein Ding …
13
Am 10. Juni 1948 lief die »Olivia« aus dem Hafen von New York aus. Am 17. Juni befand sich das Schiff mit einer Ladung von 100 amerikanischen Automobilen auf einer Position von 15 Grad 15 Minuten westlicher Länge und 48 Grad 30 Minuten nördlicher Breite vor der Westküste Frankreichs. An diesem Tag erhielt der Kapitän folgenden chiffrierten Funkspruch:
norddeichradio – 17 juni 48 – 15.43 uhr – von reederei schwertmann hamburg an captain hannes dröge – im namen des cargo owners fordern wir sie auf ihre jetzige position bis auf weiteres beizubehalten und deutsche hoheitsgewässer vorläufig nicht anzulaufen – halten sie den funkverkehr mit uns aufrecht – sie bekommen neue weisungen – ende
Daraufhin kreuzte die »Olivia« drei Tage und drei Nächte lang in dem erwähnten Seegebiet. Die Besatzung richtete einen Turnusdienst ein, pokerte und soff. Immer wieder ließ man den unbekannten »Cargo Owner« hochleben.
Am 20. Juni erreichte den angeheiterten Ersten Funker dieses chiffrierte Kabeclass="underline"
norddeichradio – 20 juni 48 – 11.23 uhr – von reederei schwertmann hamburg an captain hannes dröge – im namen des cargo owners fordern wir sie nun auf unverzüglich hafen hamburg anzulaufen – ende
Während der Erste Funker das Kabel für den angeheiterten Captain dechiffrierte, hörte der angeheiterte Zweite Funker eine Nachrichtensendung von Radio London ab. Er nahm den Kopfhörer von den Ohren und sagte: »Da haben sie heute bei uns in Deutschland eine radikale Währungsreform bekanntgegeben. Das alte Geld ist nichts mehr wert. Nur 40 Mark pro Nase werden umgetauscht.«
»Das geht nie gut«, unkte der Zweite Funker.
»Mensch, mein Erspartes«, sagte der Captain.
»Reich ist jetzt derjenige, der Ware hat«, sagte der Erste Funker.
Dem Zweiten Funker stand der Mund offen: »Junge, Junge, unser Cargo Owner hat jetzt einhundert Autos!«
Der Captain nickte schwermütig: »So ein Ding müßte mal unsereiner drehen. Ein gerissener Hund. Wüßte gern, wer das ist!« Lieber Captain Hannes Dröge, vielleicht lesen Sie zufällig diese Zeilen. Dann wissen Sie es jetzt also …
14
Am 10. März 1948 hatte der tschechische Außenminister Masaryk Selbstmord begangen, und Benesch war verhaftet worden.
Am 18. April waren die neuen Lebensmittelrationen für die Vereinigten Westzonen bekanntgegeben worden. In vier Wochen erhielt der deutsche Normalverbraucher: 400 Gramm Fett, 100 Gramm Fleisch, 62,5 Gramm Trockenei und 1475 Gramm Nährmittel.
Am 21. Juli kam es auf dem Gelände der »I.G. Farben« in Ludwigshafen zu einer grauenvollen Explosion, die 124 Todesopfer forderte.
Anfang August trafen Thomas Lieven und sein Freund Bastian Fabre in einer kleinen Stadt in Franken ein. Wie Thomas Bastian erläuterte:
»Zuerst wollte ich ja lieber nach Südamerika. Aber jetzt ist mir in Wiesbaden ein alter Freund über den Weg gelaufen, dieser Erich Werthe. Bei dem können wir besser untertauchen als irgendwo anders. Bei dem findet uns kein Mensch. Solange das Autogeschäft noch läuft, bleibe ich auch lieber in Deutschland. Zumal ich mir letzthin einige Altaktien gekauft habe. Mal sehen, ob die nicht raufklettern …«
Die Laune des Zufalls hatte Thomas in Wiesbaden ein Wiedersehen mit dem schlanken, großen Exoberst Werthe von der Abwehr Paris beschert. Auf der Straße waren sie buchstäblich ineinander hineingelaufen. Der alte, weißhaarige Berufsoffizier bekam feuchte Augen. »Mensch, Lieven, die Freude!«
»Pst! Nicht so laut, Herr Werthe. Ich heiße hier gerade Heller.«
Werthe mußte grinsen. »Noch immer auf krummen Touren?«
»Was heißt noch immer? Jedesmal, wenn ich es auf die gerade Tour versuche, bekomme ich eine über den Schädel. Ich bin schon ganz rammdösig. Und Sie? Was machen Sie?«
»Ach, eigentlich gar nichts. Ich sitze auf meinem kleinen Weingut in Franken. Es gehört meiner Frau. Sie müssen uns besuchen. Ich bestehe darauf! Wann Sie wollen. Solange Sie wollen! Sie haben mich ja schließlich aus dem verdammten Lager herausgeholt …«
Tja, und nun waren sie also unterwegs zu ihm, die Herren Thomas Lieven und Bastian Fabre. In einem unauffälligen Vorkriegsauto schaukelten sie südwärts, hinab ins schöne Frankenland, einem Weingut entgegen – und einem neuen Abenteuer …
Das Weingut Erich Werthes lag auf sanften, sonnendurchglühten Hügeln über einer kleinen Stadt, die als Wallfahrtsort Berühmtheit erlangt hatte. Ein idyllischer Fluß durchquerte das gesegnete Rebental. Vor der Stadt erhob sich ein hoher Granitfelsen. Auf ihm stand das mächtige Stift, das eine wundertätige Madonna beherbergte.
Einer der ersten Männer, die Thomas in der kleinen Stadt kennenlernte, war denn auch der Abt des Stiftes, Waldemar Langauer: ein wahrhaft imponierender geistlicher Würdenträger mit schlohweißem Haar, sonnengebräunter Haut und blitzenden Augen.
Erich Werthe machte Thomas mit ihm bekannt. Die beiden Männer fanden sofort Kontakt miteinander. Waldemar Langauer zeigte Thomas die herrliche Stiftsbibliothek. Dann erzählte er von seinen Sorgen. Die Stadt war überfüllt mit Flüchtlingen, die Essen, Kleidung, Unterkunft brauchten – aber woher nehmen? Es fehlte an allem. Ein Lächeln verschönte des Abts Gesicht: »In solchen Zeiten lernt man die Menschen kennen, Herr Lieven. Da wächst manchmal einer über sich selber hinaus … Wir haben so einen Menschen in unserer kleinen Stadt.«
»In der Tat?«
»Herbert Rebhahn heißt er. Weinhändler von Beruf. Früher hörte man oft sehr, nun, sehr weltliche Dinge von ihm, Sie verstehen … aber seit Kriegsende ist dieser Mensch wie verwandelt! Kein Sonntagsgottesdienst, den er versäumt! Kein gutes Werk, das er nicht tut! Tausende und aber Tausende von Mark hat er uns für die armen Flüchtlinge zur Verfügung gestellt …«
Solcherart hörte Thomas zum erstenmal von dem Weinhändler und Menschenfreund Herbert Rebhahn. Am selben Tag hörte er übrigens noch einmal von ihm: in Erich Werthes Haus, beim Abendessen, das die hübsche, aber sehr schmale und blasse Frau des Exabwehroffiziers zubereitet hatte.
Werthe sagte: »Hören Sie mal, Lieven, Sie haben doch damals in Paris für mich so einen phantastischen Zwiebelkuchen gebacken. Würden Sie das morgen wohl noch einmal tun? Wir bekommen Gäste.«
»Aber mit Vergnügen«, sagte Thomas.
»Es sind ein paar Freunde, die da kommen. Ich bin ihnen eine Einladung schuldig – nach allem, was sie für mich getan haben. Besonders Herbert Rebhahn.«
Herbert Rebhahn – da war der Name wieder! »Dieser Herr scheint unentwegt Gutes zu tun«, sagte Thomas.
»Keine Witze bitte!« Werthe sprach sehr ernst: »Ohne Herrn Rebhahn, ohne den Polizeipräsidenten Katting und ohne den Fürsten von Welkow hätte ich mich schon lange aufhängen müssen.«
Leise und erschrocken fragte Thomas: »Es geht Ihnen nicht gut, Herr Werthe?«
»Nicht gut? Verzeih das Wort, Luise – beschissen geht es uns! Sehen Sie mal, ich habe hier ein Weingut und eine Weinhandlung. Der Wein aus dem Gut bleibt bei mir liegen. Und die Amerikaner geben mir keine Einfuhrlizenzen. Also ist auch das gute Geschäft, das wir früher mit ausländischen Weinen hatten, ruiniert …«