Menu • Franken, 14. August 1948
An Thomas Lievens Rezept verschlucken sich
drei Galgenvögel.
Süddeutscher Zwiebelkuchen
Kalbsvögel mit Kartoffelpüree
Gefüllte Äpfel
Zwiebelkuchen: Man nehme ungesüßten Mürbeteig oder feinen Hefeteig, rolle ihn dünn aus und lege eine große Tortenspringform damit aus. – Man dämpfe eineinhalb bis zwei Pfund Zwiebelringe in 150 Gramm Butter weich, so daß sie ganz hell bleiben. Man lasse sie abkühlen, gebe drei bis vier ganze Eier, mit einigen Eßlöffeln dicker saurer Sahne verquirlt, eine Prise Kümmel und Salz dazu. – Man fülle die Masse in die Form, lege einen Teigrand auf und lasse den Kuchen im Ofen zu goldgelber Farbe backen, gebe ihn heiß zu Tisch.
Kalbsvögeclass="underline" Man nehme Kalbsschnitzel, klopfe sie gut, salze und pfeffere sie auf einer Seite. Man belege diese Seite mit etwas feingehacktem, fettem Speck, Zwiebeln und Petersilie, rolle die Schnitzel zusammen und umbinde die Röllchen mit Faden. – Man brate die Röllchen in Butter hellgelb an, gieße saure Sahne, mit einem halben Teelöffel Maizena verrührt, dazu, lasse langsam weich schmoren, schmecke mit Salz und Pfeffer ab. – Man reiche Kartoffelpüree und grünen Salat dazu.
Gefüllte Äpfeclass="underline" Man nehme Äpfel von einer mürben, nicht zu süßen Sorte, schäle sie, höhle sie vorsichtig aus, ohne die Stielseite zu verletzen. – Man stelle sie auf diese Seite in eine gut gebutterte Auflaufform, fülle in die Höhlung je einen Kaffeelöffel Zucker, Korinthen und Johannisbeergelee. Man gebe auf jeden Apfel eine Butterflocke und lasse im Ofen backen, bis die Äpfel weich sind.
Bastian kratzte sich den Schädel und sagte in seinem französisch akzentuierten Deutsch: »Isch verstehen das nicht. Isch denken, in Deutschland es gibt nichts zu kaufen. Sie ’aben gute Wein. Wieso Sie können ihn nicht loswerden?«
»Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht …«
15
»Bevor wir beginnen«, sprach Herbert Rebhahn, »lasset uns beten!« Er faltete die rosigen, fetten Händchen und senkte den rosigen, dicken Kopf mit den blonden Haaren, den blonden Augenbrauen und dem blonden Bärtchen am Kinn. Der Polizeipräsident Katting, der Fürst von Welkow, Erich Werthe und seine Frau senkten desgleichen die Köpfe und falteten die Hände. Thomas sah Bastian an. Danach taten sie, was die anderen taten.
Der Fürst von Welkow war ein alter Mann, hager, hochmütig, pergamenthäutig und schweigsam. Der Polizeipräsident Wilhelm Katting sah aus wie ein vorsichtiger, korrekter Bankangestellter in mittlerer Gehaltslage. Nach dem stummen Gebet glitten die Äuglein des Menschenfreundes Rebhahn flink um den Tisch. »Ah, Zwiebelkuchen! Welche Delikatesse!« Er langte zu. Der vergilbte Fürst kaute vorsichtig, dann sagte er: »Wundervoll, der Kuchen. Wie meine Mutter ihn machte. Gratuliere, gnädige Frau.«
»Sie müssen Herrn Lieven gratulieren«, sagte Luise Werthe. »Er hat ihn gebacken.« Drei Augenpaare fühlte Thomas plötzlich auf sich ruhen, kühl, prüfend, ohne Sympathie. Der Polizeipräsident, der Fürst, der Philanthrop Rebhahn sahen ihn an – wie drei Kriminalkommissare einen verhafteten Verbrecher.
Thomas schmeckte sein eigener Zwiebelkuchen auf einmal nicht mehr. Er drehte den Bissen im Mund herum. Dieser Herr Rebhahn wurde ihm mit jeder Sekunde unsympathischer.
In seinem schwerfälligen, akzentuierten Deutsch sprach Bastian: »Wollen wir auch dafür danken, daß charmante Madame Werthe sein auf diese Welt und diese wundervolle Wein, mit dem isch stoße an nun auf sie! Messieurs!«
Alle hoben die Gläser und prosteten Luise Werthe zu, die errötete. Mit leichter Bitterkeit sagte sie: »Es war Gottes Wille, daß dieser Wein hier wachse. Ist es auch Gottes Wille, daß wir ihn nicht verkaufen können?«
Salbungsvoll sprach Rebhahn: »Eine Zeit der Prüfung ist es, die wir zu bestehen haben, liebe gnädige Frau. Wir alle. Geht es mir anders? Bleibt nicht auch mein Wein liegen?«
»Ich will ja gar nicht davon reden, daß wir auf unserm Wein sitzenbleiben«, sagte Luise Werthe. »Aber was ist das mit dem italienischen Wein? Ich meine: Das ist doch eine niederträchtige Schiebung! Das ist doch …«
»Luise, bitte!« sagte Werthe scharf. Gleichzeitig bemerkte Thomas Lieven, wie Rebhahn, der Fürst und der Polizeipräsident einen Blick wechselten. Schnell sah Thomas zu Bastian. Der hatte es auch gesehen. Zwiebelkuchen auf seine Gabel häufend, fragte Thomas harmlos: »Italienischer Wein, was ist denn damit?«
Wieder wechselten der Polizeipräsident, der Fürst und der Menschenfreund Rebhahn Blicke. Thomas dachte: Ist mein alter Freund Werthe denn blind? Solche Leute hält er für seine Freunde? Nicht begraben sein möchte ich mit diesen drei Brüdern!
Rebhahn sah Thomas aus strahlend blauen Augen an und antwortete mit fester Stimme: »Seit einem Jahr wird Deutschland überschwemmt mit abertausend Litern von billigen italienischen Weinen. Diese Weine ruinieren uns allen das Geschäft. Denn jedermann kauft natürlich sie und nicht unsere Produkte. Wo kommen diese Weine her? Das weiß niemand. Wer importiert sie? Niemand weiß es.«
»Moment mal«, sagte Thomas, »ich dachte, es gibt keine Einfuhrlizenzen für ausländische Weine – sagten Sie mir doch gestern, Herr Werthe.«
Der lachte freudlos: »Sagte ich, ja. Offiziell gibt es auch keine. In Frankfurt sitzt eine amerikanische Kommission, die JEIA. Sie allein erteilt Einfuhrlizenzen. Und für Wein erteilt sie keine. Angeblich jedenfalls.«
»Sie erteilt in der Tat keine, Herr Oberst«, sprach salbungsvoll der Flüchtlingsfreund und Paradechrist Rebhahn. »Wir wollen doch keine Verdächtigungen gegen aufrechte und unbestechliche amerikanische Offiziere aussprechen, nicht wahr?«
»Um Gottes willen!« sagte Werthe erschrocken. Thomas dachte: Armer Kerl, bist du schon so parterre?
In dieser Nacht fand auf einem Hügel über der kleinen Stadt folgendes Gespräch statt: »Hör mal, Bastian, alter Kumpel, ist dir dieser Rebhahn auch so zum Kotzen?«
»So zum Kotzen wie mir kann er dir überhaupt nicht sein! Na, und die beiden anderen Typen!«
»Armer alter Werthe – und diese Brüder haben ihm Geld geliehen – und diesen Gangstern ist er verpflichtet.«
»Ich muß mal eine kleine Frage an dich richten – darf ich?«
»Na los, Goldkind, richte!«
»Wenn er auch seinen Wein nicht losbringt und wenn er auch keine Einfuhrlizenzen für ausländische Weine bekommt – wieso geht es diesem Monsieur Rebhahn dann so gut, daß er Riesenbeträge für arme Flüchtlinge stiften kann?«
»Ja«, sagte Thomas Lieven, »das habe ich mir auch schon überlegt. Um dir diese Frage zu beantworten und – hoffentlich – meinem Freund Werthe helfen zu können, werde ich wohl für einige Zeit nach Italien fahren müssen …«
16
Am 10. September 1948 saß Thomas Lieven in der Kneipe des zwielichtigen Luigi in Neapel bei einem Topf voll Pasta asciutta und einer Flasche Rotwein. Er hatte Luigi, der aussah wie der Schauspieler Orson Welles, knapp nach Kriegsende kennen- und schätzengelernt, als er sich im Auftrag des französischen »Kriegsverbrecher-Suchdienstes« ein paar Tage hier aufhielt mit der Order, einen italienischen General zu verhaften.
Vor etwa drei Wochen war Thomas nun wieder in Neapel erschienen und hatte Luigi gebeten, einmal herumzuhören, wer in Norditalien Wein kaufte und bei wem und in welchen Mengen – und zwar für Deutschland bestimmten Wein.
Luigi berichtete: »Meine Kumpels waren in Bozen und in Meran und in Piave de Cadere und in Sarentino und in Bresanzone. Überall da oben wird seit einem Jahr Wein wie verrückt gekauft – Hunderttausende von Litern! Aber heimlich, ganz heimlich.«