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In diesem Augenblick wurde die Verbindung unterbrochen.

Thomas schlug auf die Gabel. »Hallo! Hallo!«

Eine strenge Frauenstimme meldete sich. »Monsieur Lieven, Sie wurden getrennt. Sie haben in einer fremden Sprache gesprochen.«

»Ist das verboten?«

»Jawohl. Seit heute um 18 Uhr. Ferngespräche dürfen nur noch in französischer Sprache geführt werden.«

Die Stimme verstummte. Die Leitung war tot.

Als Thomas Lieven aus der Zelle trat, gab ihm der Portier einen seltsamen Blick. Es fiel Thomas nicht besonders auf. Er erinnerte sich erst wieder an den Blick, als es um fünf Uhr morgens an seiner Hotelzimmertür klopfte …

Mimi schlief, zusammengerollt wie eine kleine Katze. Er hatte es nicht über das Herz gebracht, ihr noch am Abend zu sagen, was er wußte. Draußen war es schon hell, in den alten Bäumen sangen viele Vögel.

Es pochte wieder, recht heftig diesmal. Das können doch unmöglich schon die Deutschen sein, dachte Thomas und beschloß, nicht zu reagieren.

Eine Stimme erklang: »Monsieur Lieven, öffnen Sie. Wenn Sie nicht öffnen, werden wir die Türe eintreten.«

»Wer ist da?«

»Polizei.«

Seufzend erhob sich Thomas. Mimi erwachte mit einem kleinen Schrei. »Was ist, chéri?«

»Ich nehme an, ich werde wieder mal verhaftet«, sagte er.

Die Vermutung erwies sich als richtig. Vor der Tür stand ein Gendarmerieoffizier mit zwei Landgendarmen. »Ziehen Sie sich an, und kommen Sie mit«, sagte er.

»Warum?«

»Sie sind ein deutscher Spion.«

»Was bringt Sie zu dieser Annahme?«

»Sie haben gestern ein verdächtiges Telefongespräch geführt. Die Überwachung hat uns benachrichtigt. Der Portier hat Sie beobachtet. Versuchen Sie also nicht zu leugnen.«

Thomas sagte zu dem Gendarmerieoffizier: »Schicken Sie mal Ihre Leute raus, ich muß Ihnen etwas mitteilen.«

Die Polizisten verschwanden.

Thomas zeigte den Ausweis und den Paß, die er von Jupiter erhalten hatte. Er sagte dazu: »Ich arbeite nämlich für den französischen Geheimdienst.«

»Etwas Besseres fällt Ihnen nicht ein? Noch dazu mit so lächerlich schlecht gefälschten Papieren! Los, ziehen Sie sich an!«

8

Als Thomas Lieven am späten Nachmittag des 31. August 1939 in der ehemaligen Festung Belfort an der Savoureuse eintraf, fuhr er mit einem Taxi durch die kleine Altstadt, am Place de la République und am Denkmal der »Drei Belagerungen« vorbei, sofort ins »Hôtel du Tonneau d’Or«. Er war korrekt gekleidet wie immer. An der Weste glänzte die goldene Kette der alten Repetieruhr.

Oberst Siméon wartete in der Hotelhalle auf ihn. Er trug nun eine Uniform und sah trotzdem noch ebenso sympathisch aus wie in Zivil.

»Mein armer Lieven, es tut mir ja so leid, was die idiotische Gendarmerie Ihnen angetan hat! Als Mimi mich endlich am Telefon erreichte, habe ich die Verantwortlichen entsprechend zusammengebrüllt. Doch jetzt kommen Sie, General Effel wartet schon. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Mein Freund, Ihre Feuertaufe steht bevor.«

Eine Viertelstunde später saß Thomas Lieven im Arbeitszimmer des Generals im Gebäude des französischen Generalstabs.

Alle vier Wände des spartanisch eingerichteten Büros wurden verdeckt durch Generalstabskarten von Frankreich und Deutschland. Weißhaarig, groß und schlank schritt Louis Effel vor Thomas Lieven auf und ab, die Hände auf dem Rücken. Thomas hatte an einem Kartentisch Platz genommen. Siméon saß neben ihm.

Sonor ertönte des Generals Stimme: »Monsieur Lieven, Oberst Siméon hat mir über Sie berichtet. Ich weiß, daß ich einen unserer Besten vor mir habe.«

Menu • 31. August 1939

Dieses Menu warf die Geldpolitik Frankreichs um.

Schneckensuppe

Sauerkraut mit Fasan und Austern

Zitronenschaumcreme mit flambierten Kirschen

Schneckensuppe: Reinigung der Schnecken: Man koche sie eine Stunde in Salzwasser, ziehe sie mit einer Gabel aus dem Häuschen, nehme das schwarze Häutchen fort, bestreue sie mit einer Handvoll Salz, damit der Schleim sich löst, wasche sie drei- bis viermal durch und drücke sie gut aus, daß kein Wasser darin bleibt. – Nun nehme man etwa vierzig derart gereinigte Schnecken, koche sie in Fleischbrühe weich, nehme sie heraus, hacke zwei Teile davon ganz fein, dämpfe sie in Butter, gieße so viel Fleischbrühe darüber, wie zur Suppe nötig ist, lasse sie mit etwas Muskatnuß mehrmals aufkochen, rühre mit drei Eidottern ab und richte die Suppe mit gerösteten Weißbrotschnitten und dem Rest der ganzen Schnecken ab.

Sauerkraut, Fasan, Austern: Der Fasan wird wie zum Braten präpariert. Dann drücke man zwei Pfund Sauerkraut leicht aus und gebe es in eine Kasserolle. Nun kommt halb Weißwein und halb Wasser darüber, bis das Kraut bedeckt ist. Ein Stück Schweinespeck und eine geriebene Zwiebel kommen dazu. Nun muß das Kraut eine Stunde kochen; alsdann lege man den Fasan hinein und lasse ihn eine Stunde schmoren. Wenn er weich ist, nehme man ihn heraus und binde das Sauerkraut mit etwas Béchamel-Sauce. – Die Austern befreie man von den Bärten, trockne sie mit einem Tuche ab und bestreue sie einzeln mit Salz und Pfeffer, wälze sie in Mehl, paniere sie mit Ei und Semmelbrösel, backe sie in klarer Butter rasch hellbraun. – Der Fasan wird in Stücke geschnitten, in der Mitte der Platte angerichtet und mit einem Kranz Sauerkraut und einem Kranz Austern umgeben.

Zitronenschaumcreme mit flambierten Kirschen: Für vier Personen nehme man vier Zitronen, schneide sie in dicke Scheiben und koche sie mit Zucker auf. Dieser Extrakt wird mit etwas Mondamin gebunden, und wenn er erkaltet ist, durch ein Sieb passiert. Unter die Masse werden fünf steifgeschlagene Eiweiß gezogen, dann wird alles in Sektgläser gefüllt. – Dann nehme man eingemachte Kirschen, erhitze sie, übergieße sie mit Kirschwasser oder Kognak. Man zünde die Kirschen im Alkohol an und gebe sie nach dem Abbrennen auf die Zitronencreme.

Der General blieb am Fenster stehen und blickte hinab in das liebliche Tal zwischen den Vogesen und dem Juragebirge. »Dies ist nicht die Zeit, sich etwas vorzumachen. Herr Hitler hat also den Krieg begonnen. In wenigen Stunden geht unsere Kriegserklärung an ihn hinaus. Aber …« Der General drehte sich um. »Frankreich, Herr Lieven, ist nicht vorbereitet auf diesen Krieg. Wir vom Geheimdienst schon überhaupt nicht … Es handelt sich um ein Problem aus Ihrer Berufssphäre. Sprechen Sie es aus, Oberst.«

Siméon schluckte, dann sagte er: »Wir sind nämlich fast pleite, alter Freund!«

»Pleite?«

Der General nickte nachdrücklich. »Jawohl, mein Herr. Mittellos beinahe. Angewiesen auf lächerliche Zuwendungen des Kriegsministers. Unfähig, im großen zu operieren, wie das jetzt nötig wäre. Geknebelt. Aktionsunfähig.«

»Das ist aber bös«, sagte Thomas Lieven, während ihn eine fürchterliche Lust zu lachen anflog. »Entschuldigen Sie, aber wenn ein Staat kein Geld hat, dann sollte er sich vielleicht lieber keinen Geheimdienst leisten!«

»Unser Staat hätte genug Geld gehabt, um sich auf einen Angriff Deutschlands vorzubereiten. Leider, Monsieur, gibt es Kreise in Frankreich, die, selbstsüchtig und egoistisch, zusätzliche Steuern ablehnen und nur raffen und schieben und sich sogar in dieser Situation noch am Elend unseres Vaterlandes bereichern.« Der General richtete sich hoch auf: »Ich weiß, daß ich mich in dreizehnter Stunde an Sie wende. Ich weiß, daß ich schier Unmögliches verlange. Dennoch frage ich: Glauben Sie, daß es einen Weg gibt, uns schnellstens – schnellstens, sage ich – mit großen – großen, sage ich – Geldbeträgen zu versorgen, damit wir arbeiten können?«

»Das muß ich mir überlegen, Herr General. Aber nicht hier.«