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Warum, wollten die Herren vom Vorstand wissen.

»… weil hier die Herstellungskosten für technische Geräte wesentlich niedriger liegen. Meine Herren, die Schweizer denken daran, Ihnen einen langfristigen Vertrag anzubieten. Man ist bereit, zu günstigen Bedingungen an einer Sanierung Ihres Werkes mitzuwirken. Damit Sie sehen, daß es den Leuten ernst ist, bin ich ermächtigt, Ihnen mitzuteilen: Die Schweizer Gruppe wird fällige Wechsel Ihres Unternehmens bis zu einem Betrag von einer Million D-Mark übernehmen!«

Eine Million D-Mark! Der Silberstreifen am Horizont für ein Werk, das vor dem Konkurs stand. Verständlich, daß die Herren sich keine lange Bedenkzeit ausbaten …

Prompt trafen am 25. Mai 1949 bei den »Excelsior-Werken« denn auch 900 000 DM ein. Dieser Betrag war das Vermögen, das Thomas Lieven in seine Rache investierte. Er arbeitete schwer in diesen Tagen. Nachdem er mit verschiedenen Wirtschaftsredakteuren und Journalisten gesprochen hatte, erschienen in Schweizer Zeitungen Artikel, wonach schweizerische Industriekreise die Möglichkeit prüften, Zweigbetriebe in der deutschen Bundesrepublik einzurichten. Diese Meldungen und die Tatsache, daß alle fälligen Excelsior-Wechsel anstandslos eingelöst wurden, erregten Sensation an westdeutschen Börsen. Eine lebhafte Nachfrage nach Excelsior-Aktien setzte ein. Die Kurse zogen erheblich an: auf 40 und 50.

Im Auftrag von Thomas Lieven erkundigten sich nun Strohmänner beim Bankhaus Pretorius in Hamburg, ob hierorts etwas über die Vorgänge rund um die »Excelsior-Werke« bekannt sei. Solcherart wurde das Interesse des außerordentlich geldgierigen Bankhausinhabers Walter Pretorius geweckt …

Tage später erschien ein gewisser Herr Reuben Achazian im Bankhaus Pretorius und sprach bei dem Bankbesitzer vor, den wir der Klarheit halber von nun an mit seinem richtigen Namen Marlock nennen wollen.

»Ich frage im Auftrag meiner Schweizer Freunde an, ob Sie daran interessiert sind, an einem großzügigen Sanierungsunternehmen der ›Excelsior-Werke‹ mitzuwirken«, sprach Herr Reuben Achazian, der den feinen Cadillac auch in die Freie Hansestadt mitgebracht hatte. Angesichts der emporschnellenden Aktienkurse war Marlock sogleich bereit. Er versprach grundsätzlich eine Beteiligung. Danach ließ er sofort durch Mittelsmänner große Mengen von Excelsior-Aktien aufkaufen, wodurch diese immer weiter im Kurs stiegen. Bereits zu weit überhöhten Preisen mußte Marlock sie nun kaufen. Er tat es in der felsenfesten Überzeugung, vor dem Geschäft seines Lebens zu stehen.

Am 19. September sagte Thomas Lieven in Zürich zu Reuben Achazian: »Jetzt habe ich den Hund so weit, daß er sein ganzes Geld in dieses Pleiteunternehmen, genannt ›Excelsior-Werke‹, gesteckt hat. Jetzt muß ich sehen, daß ich die 900 000 Mark, und wenn möglich mehr, zurückbekomme, die ich in die Excelsior-Wechsel gesteckt habe.«

»Und wie soll das geschehen?« fragte der Armenier mit den feuchten Mandelaugen.

»Das soll mit Hilfe von Sperrmark geschehen, mein Lieber«, antwortete Thomas Lieven sanft.

Mit dem Wort »Sperrmark« wurde damals das Vermögen von Ausländern im Deutschen Reich gekennzeichnet, das zur Sicherung der Währung gesperrt worden war und über das die Besitzer nur mit besonderen Genehmigungen verfügen konnten.

Vor 1951 gab es nur Schwarzverkäufe im Ausland. Dabei wurden in der Regel für 100 Sperrmark 8 bis 10 Dollar gezahlt, also ein sehr schlechter Kurs.

Thomas Lieven fand in der Schweiz Industriewerke, die zum Teil noch Sperrmarkkonten aus den Jahren 1931–1936 besaßen! Diese Leute verkauften unserm Freund ihre Konten bereitwillig und sogleich zu dem erwähnten elenden Kurs. Egal, egal! Auf diese Weise sahen sie endlich wenigstens etwas von ihrem Geld wieder!

Nun besaß Thomas also Sperrmarkkonten in Deutschland. Nun schickte er Herrn Achazian wieder nach Hamburg. Daselbst erklärte dieser dem Bankier Marlock: »Die Sanierung der ›Excelsior-Werke‹ soll weitgehend aus Sperrmarkguthaben meiner schweizerischen Auftraggeber finanziert werden. Das ist nach den geltenden Bestimmungen mit Einwilligung der ›Bank Deutscher Länder‹ möglich. Ich habe Vollmacht, die besagten Sperrmarkguthaben in Höhe von zweikommadrei Millionen Mark auf Ihre Bank zu überweisen.«

Marlock rieb sich die Hände. Er hatte ja gewußt, daß er hier vor dem Geschäft seines Lebens stand! Er fuhr nach Frankfurt. Mehrere Tage lang verhandelte er hartnäckig mit der »Bank Deutscher Länder«. Er übernahm die eidesstattliche Verpflichtung, die 2,3 Millionen ausschließlich zur Sanierung der »Excelsior-Werke« vor Stuttgart zu verwenden. Daraufhin bekam er die Sperrmark frei.

Am selben Tag sagte Thomas Lieven in seiner Zürcher Wohnung zu Herrn Achazian: »Nun fahren Sie wieder zu ihm. Ich gebe Ihnen Vollmachten mit, erstklassig gefälschte Dokumente von angeblich an dem Sanierungsprojekt beteiligten Schweizer Firmen. Der Schweinekerl in Hamburg wird Ihnen die Millionen anstandslos freigeben. Sie gehören ja nicht ihm. Sie heben alles bar ab und bringen es hierher.«

Voller Bewunderung sah der kleine Armenier Thomas Lieven an. »Ihren Kopf möchte ich haben! Wieviel haben Sie eigentlich für die zweikommadrei Millionen Sperrmark bezahlt?«

»Rund hundertsechzigtausend Dollar.« Thomas lächelte bescheiden; er konnte es aber nicht verhindern, daß sich seine Hände sozusagen von selber ineinander rieben. »Und wenn Sie das Geld in Ihrem feinen Cadillac nach Zürich gebracht haben, mein Lieber, dann sind aus den Sperrmark echte D-Mark geworden! Sie werden ein paarmal fahren müssen. Das Geld kommt in den Reservereifen und das Chassis. Und dann lassen wir die ›Excelsior-Werke‹ sausen. Und sanieren sie nicht. Und der Schweinehund in Hamburg ist pleite.«

Am 7. Dezember 1949 fuhr Herr Reuben Achazian los. Am 16. sollte er zurück sein. Das war der Tag, an dem die Bundesrepublik 1 Milliarde D-Mark Kredit von den Vereinigten Staaten erhielt.

Herr Reuben Achazian kam nicht zurück an diesem historischen Tag des deutschen Wiederaufbaus. Herr Reuben Achazian kam überhaupt nicht mehr zurück …

Am 28. Dezember wurde der Bankier Walter Pretorius in Hamburg von Beamten der deutschen Kriminalpolizei verhaftet. Zur selben Stunde verhafteten Beamte der Schweizer Bundespolizei Thomas Lieven in seiner Zürcher Mietwohnung. Sie handelten auf Grund eines dringenden Fahndungsschreibens der »Interpol« und des »Deutschen Bundeskriminalamtes« in Wiesbaden. Den Herren Lieven und Pretorius wurde vorgeworfen, eine gewaltige Sperrmarkschiebung getätigt zu haben.

»Wer wirft mir das vor?« fragte Thomas Lieven die Schweizer Kriminalbeamten.

»Ein gewisser Reuben Achazian hat Anzeige gegen Sie erstattet und den deutschen Behörden zahlreiche Belastungsdokumente zur Verfügung gestellt. Er ist übrigens inzwischen verschwunden.«

Und meine 2,3 Millionen D-Mark sind im Eimer, dachte Thomas Lieven. Hm, hm. Nun habe ich also zuletzt doch noch einen Fehler gemacht. Dabei war dieser Reuben Achazian so ein netter Armenier …

20

Beinahe ein ganzes Jahr saß Thomas Lieven in Untersuchungshaft – ein wüstes Jahr, das den heißesten Sommer seit hundert Jahren, die Aufhebung der Lebensmittelrationierung und, am 28. Juni, den Ausbruch des Koreakrieges brachte, der eine monatelange Hamsterpsychose in ganz Europa zur Folge hatte.

Am 19. November 1950 verurteilte die Zweite Große Strafkammer des Landgerichts Frankfurt Thomas Lieven zu einer Strafe von dreieinhalb Jahren Gefängnis. In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Richter aus: Im Fall des Angeklagten Lieven anerkenne man dessen Offenheit und aufrechte Haltung. Das Gericht hätte den Eindruck gewonnen, daß ungeklärte, wahrscheinlich nur psychologisch verständliche Motive den Angeklagten zu seinem verwerflichen Tun getrieben hätten. Wörtlich erklärte der Richter: »Dieser hochintelligente, äußerst gebildete Mann ist nicht der übliche Typ eines Verbrechers …«