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Thomas sah die kriegerischen Karten an. »Hier fällt mir nichts Gescheites ein.« Sein Gesicht erhellte sich. »Wenn es den Herren angenehm ist, werde ich mich jetzt verabschieden und im Hotel ein kleines Abendessen vorbereiten, bei dem wir alles Weitere besprechen können.«

Louis Effel sagte entgeistert: »Sie wollen jetzt kochen gehen?«

»Wenn Sie gestatten, Herr General. In der Küche kommen mir immer die besten Gedanken.«

Das denkwürdige Mahl fand sodann am Abend des 31. August 1939 im Extrazimmer des ersten Hauses am Platz statt.

»Einmalig«, sagte der General nach dem Hauptgang und wischte sich mit der Serviette über den Mund.

»Phantastisch«, sagte der Oberst.

»Das Beste von allem war die Schneckensuppe. So gut habe ich sie noch nie gegessen!« sagte der General.

»Ein kleiner Tip«, sagte Thomas, »nehmen Sie nur große Schnecken in grauen Häusern, Herr General! Die Häuser müssen aber geschlossen sein.«

Kellner brachten den Nachtisch. Thomas erhob sich. »Danke, das mache ich selber.«

Er entzündete einen kleinen Spirituskocher und verkündete: »Es gibt Zitronenschaumcreme und dazu eine flambierte Delikatesse.«

Einer Schale entnahm er eingemachte Kirschen, legte sie in eine kleine Kupferpfanne und erhitzte sie auf der Spiritusflamme. Sodann überschüttete er die Kirschen mit französischem Kognak und einer wasserhellen Flüssigkeit. Alle schauten gebannt zu. Oberst Siméon erhob sich halb.

»Was ist das?« fragte der General, auf die wasserhelle Flüssigkeit deutend.

»Hochprozentiger Alkohol, chemisch rein aus der Apotheke. Das brauchen wir, damit das Ganze brennt!« Mit einer geschickten Bewegung brachte Thomas die Flamme an die Kirschen heran. Zischend und sprühend schoß eine bläuliche Flamme empor, zuckte, flackerte, erlosch. Elegant verteilte unser Freund die heißen Früchte auf die Creme. »Und nun«, sagte er, »zu unserem Problem. Ich denke, es gibt eine Lösung.«

Des Generals Löffelchen klirrte. »Mein Gott, sprechen Sie!«

»Herr General, Sie beklagten am Nachmittag – wirklich gut, die Kirschen, nicht? – das Verhalten gewisser Kreise, die sich selbst am Elend Frankreichs noch bereichern wollen. Ich kann Sie beruhigen: Solche Cliquen gibt es in jedem Land. Die Herren wollen verdienen. Wie, das ist ihnen egal. Wenn etwas schiefgeht, nehmen sie ihr Geld und flüchten. Die kleinen Leute bleiben zurück.« Thomas aß einen Löffel Creme. »Vielleicht eine Spur zu sauer. Nein? Tja, meine Herren, ich denke, wir werden den französischen Geheimdienst auf Kosten dieser selbstsüchtigen, vaterlandslosen Gesellen sanieren.«

»Aber wie denn nur? Was brauchen Sie dazu?«

»Einen amerikanischen Diplomatenpaß, einen belgischen Paß und eine schnelle Reaktion des Herrn Finanzministers«, sagte Thomas Lieven bescheiden. Er sagte dies am Abend des 31. August 1939.

Am 10. September 1939 wurde durch Presse und Rundfunk folgende Verordnung bekanntgegeben:

PRESIDENCE DU CONSEIL

Décret prohibant ou réglementant en temps de guerre l’exportation des capitaux, les opérations de change et le commerce de l’or …

In der Übersetzung:

Dekret, das in Kriegszeiten die Ausfuhr von Kapitalien, alle Wechseltransaktionen (Devisenaustausch) und den Goldhandel verbietet oder reglementiert.

Artikel 1

Die Ausfuhr von Kapitalien ist – gleich welcher Form – untersagt, mit Ausnahme der Genehmigung des Finanzministers.

Artikel 2

Alle genehmigten Devisenoperationen müssen ausnahmslos über die Banque de France getätigt werden oder über ein anderes, durch den Finanzminister dazu berechtigtes Bankinstitut …

Es folgten weitere Bestimmungen über Gold und Devisen, zum Schluß die Androhung drakonischer Strafen für den Fall einer Übertretung dieser Verordnung.

Unterzeichnet war das Dekret von:

Albert Lebrun, Präsident

Edouard Daladier, Ministerpräsident

Paul Marchendeau, Siegelverwahrer

Georges Bonnet, Außenminister

Albert Sarraut, Innenminister

Paul Reynaud, Finanzminister

Fernand Gentin, Minister für Handel

Raymond Patenotre, Minister für Ökonomie

Georges Mandel, Minister für die Kolonien

Jules Julien, Minister für Post und Telefon

9

Mit dem fahrplanmäßigen Schnellzug, der um 8 Uhr 35 Paris verließ, fuhr am 12. September 1939 ein junger amerikanischer Diplomat nach Brüssel. Er war wie ein englischer Privatbankier gekleidet und trug einen großen schwarzen Schweinslederkoffer bei sich.

Die Kontrollen an der französisch-belgischen Grenze waren sehr streng. Die Beamten auf beiden Seiten identifizierten den soignierten jungen Herrn an Hand seines Diplomatenpasses, der sich wie eine Ziehharmonika öffnen ließ, als William S. Murphy, offiziellen Kurier der amerikanischen Botschaft in Paris. Sein Gepäck wurde nicht kontrolliert.

In Brüssel angekommen, stieg der amerikanische Kurier, der in Wirklichkeit Deutscher war und Thomas Lieven hieß, im »Hôtel Royal« ab. Bei der Rezeption legte er einen belgischen Paß vor, der auf den Namen Armand Deeken lautete.

Im Laufe des nächsten Tages kaufte Deeken alias Murphy alias Lieven für drei Millionen französische Franc in Brüssel Dollars ein. Die drei Millionen holte er aus dem schwarzen Schweinslederkoffer heraus, die Dollars legte er in diesen hinein.

Die drei Millionen Franc Grundkapital stammten aus Thomas Lievens eigener kleiner Bank. Er hatte sich gezwungen gesehen, sie dem »Deuxième Bureau« vorzuschießen …

Durch die politischen Ereignisse war der internationale Wert des Franc um zwanzig Prozent gefallen. In Frankreich versuchten Privatleute vor allem Dollars zu kaufen, in panischer Furcht vor einer weiteren Abwertung des Franc. Die Kurse für Dollars waren deshalb in wenigen Stunden in astronomische Höhen geschnellt.

Nicht so in Brüssel. Hier konnte man Dollars zu einem wesentlich billigeren Kurs erwerben, denn die Belgier waren von der französischen Kriegsangst nicht ergriffen. Sie glaubten fest: »Wir bleiben neutral; unter gar keinen Umständen überfallen uns die Deutschen noch einmal.«

Infolge der schnellen Entschließung der französischen Regierung, die Ausfuhr von Kapitalien zu verbieten, gab es im Ausland auch keine Überschwemmung mit Francs. Und darum behielt der Franc – genau wie Thomas erwartet hatte – trotz allem einen einigermaßen festen Wert. Dieser feste Wert war sozusagen die Achse der ganzen Operation …

Mit einem Koffer voller Dollars fuhr Thomas Lieven als William S. Murphy nach Paris zurück. Innerhalb weniger Stunden wurden ihm die kostbaren Devisen aus den Händen gerissen, und zwar von jenen reichen Leuten, die so schnell wie möglich ihr Vaterland im Stich lassen und ihre Vermögen in Sicherheit bringen wollten. Doppelt und dreifach ließ Thomas Lieven sie für ihre schnöde Denkart zahlen.

An seiner ersten Reise hatte er für sich selber 600 000 Franc verdient. Nun fuhr William S. Murphy mit fünf Millionen Franc im Kuriergepäck nach Brüssel zurück. Der Vorgang wiederholte sich. Die Verdienstspanne stieg. Eine Woche später pendelten vier Herren mit Diplomatenpässen zwischen Paris und Brüssel sowie zwischen Paris und Zürich. Sie führten Francs aus und Dollars ein. Zwei Wochen später waren es acht Herren.

Die Oberleitung der Aktion behielt Thomas Lieven. Durch seine Verbindung sorgte er dafür, daß es in Brüssel und Zürich genügend »Nachschub« gab. Das Unternehmen brachte nun schon Gewinne von Millionen Franc.

In die tristen Augen der französischen Geheimdienstoffiziere trat ein feuchter Hoffnungsschimmer, ein Ausdruck noch ungläubiger Dankbarkeit, als Thomas Lieven immer größere Beträge überwies. Zwischen dem 12. September 1939 und dem 10. Mai 1940, dem Tag des deutschen Überfalls auf Belgien, betrug Thomas Lievens Umsatz 80 Millionen Franc. Da er Spesen und Verdienstspanne mit insgesamt 10 Prozent berechnete und diesen Gewinn in Dollars anlegte, blieben ihm 27 730 Dollar. Pannen gab es keine, nur einen kleinen Zwischenfall …