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»Und nun der Champagner«, sagte Thomas Lieven und goß Sekt in den erhitzten Tiegel. Sofort begann sich ein außerordentlich prickelnder und vielversprechender Wohlgeruch zu verbreiten.

Menu • Maryland, 17. August 1957

Lievens Champagnerniere betäubt selbst »hohe Tiere« …

Kalbsnieren in Champagner

Gespickter Zander

Ananasspeise

Kalbsnieren in Champagner: Man nehme zwei von Fett und Haut befreite Kalbsnieren, schneide sie in Würfel, brate sie drei Minuten in sehr heißer Butter an, pfeffere und salze. – Man bringe die Kasserolle auf einem Spiritusrechaud zu Tisch, gieße ein Gläschen Kognak über die Nieren, zünde an, lösche mit Champagner ab. – Man füge 100 Gramm geschnittene, in Butter gedünstete Champignons und einen Eßlöffel gehackte Petersilie hinzu, lasse alles heiß werden, aber nicht kochen. – Man fülle Nieren und Sauce in Tortelettes aus ungesüßtem Mürbe- oder Blätterteig.

Gespickter Zander: Man reibe den gereinigten Fisch mit Pfeffer und Salz ein, beträufle ihn mit Zitronensaft und lasse ihn eine Stunde stehen. – Dann trockne man ihn gut ab, spicke ihn auf beiden Seiten mit feinen Streifchen von fettem Speck, lege ihn mit dem Rücken nach oben in eine feuerfeste Form, begieße ihn mit brauner Butter, schiebe ihn in den vorgeheizten Bratofen. – Ohne umzuwenden, brate man etwa eine halbe Stunde unter fleißigem Begießen, gebe allmählich sauren Rahm, mit einem halben Kaffeelöffel Maizena verrührt, dazu. – Man serviere den Zander in der Bratform.

Ananasspeise: Man lege eine große, flache Glasschale dicht mit Löffelbiskuits aus, tränke diese mit Ananassaft, bedecke sie mit einer dicken Schicht schwach gesüßter Schlagsahne. – Man belege die Oberfläche mit einem dichten Muster von Ananasstückchen und eingemachten Sauerkirschen und serviere die Speise eisgekühlt.

»Aaaahhh«, machte Hoover und lehnte sich zurück. Sogar Donovans nervöses Gesicht entspannte sich, er lächelte kurz.

»Sehen Sie«, sagte Thomas, »es wirkt schon.« Er arbeitete weiter und redete wie nebenbei: »Der FBI hält die schwerwiegendsten Beweisstücke gegen Abel zurück. Abel wird nicht zum Tode verurteilt.«

»Sondern?«

»Bitte?« Thomas hob tadelnd die Augenbrauen. »Mr. Donovan, ich muß mich über Sie wundern! Was heißt: sondern? Sie könnten Ihrem Mandanten ruhig das bißchen Leben gönnen.«

»Drehen Sie mir nicht die Worte im Munde um! Mr. Hoover war es, der sagte, daß Abel auf den elektrischen Stuhl kommen müsse!«

»Von Rechts wegen, ja«, dozierte Thomas, indessen er die delikate Vorspeise verteilte. »Aber wenn der FBI nun seine eigenen Pläne mit ihm hätte …«

»Was dann?«

»Dann gäbe es natürlich noch andere Urteilsmöglichkeiten. Lebenslänglich zum Beispiel. Dreißig Jahre Zuchthaus. Zwanzig. Zehn …«

»Was ist mit dem Belastungsmaterial, von dem Mr. Hoover sprach?«

»Belastungsmaterial kann man zurückhalten. Wenigstens einen Teil davon. Den schlimmeren Teil. Essen Sie, Mr. Donovan, essen Sie um Himmels willen, Ihre Niere wird ja kalt.«

Der weißhaarige Verteidiger begann mechanisch zu essen. Er sah Thomas mit zusammengekniffenen Augen an. Kauend sprach Donovan: »Und was hätten Sie davon, wenn Sie …« Er verschluckte sich und mußte husten. Thomas klopfte ihm hilfreich auf den Rücken.

»Sehen Sie, sehen Sie. Ich wollte es Ihnen gleich sagen, aber es fehlte mir der Mut. Ich dachte, es sei ungehörig, einen so großen Mann wie Sie darauf hinzuweisen.«

»Wo-worauf?« ächzte Donovan echauffiert und rang nach Luft.

»Daß man mit vollem Mund nicht sprechen soll«, antwortete unser Freund schlicht. »Ich glaube, jetzt geht es wieder.«

James B. Donovan legte sein Besteck fort. Er hatte auf einmal keine Lippen mehr. Seine Stimme klang so, wie ein Eiszapfen klingen würde, wenn er sprechen könnte, was er nicht kann: »Lassen wir dieses Katz-und-Maus-Spiel. Ich frage: Was hätte das FBI davon, wenn es das schwerste Belastungsmaterial zurückhielte und damit das Leben Abels rettete?«

Thomas sah Hoover an. »Wollen Sie nicht die Frage beantworten, Sir?«

Hoover brummte etwas Unverständliches und neigte sich über seinen Teller.

»So ist es richtig«, sagte Thomas. »Immer läßt man mich die peinlichsten Fragen beantworten, das habe ich gerne. Also schön, Mr. Donovan. Das FBI hätte davon mit großer Wahrscheinlichkeit die Chance, früher oder später das Leben eines amerikanischen Agenten zu retten.«

»Eines amerikanischen Agenten?«

»Mr. Donovan, es ist mir wirklich wahnsinnig unangenehm, derart in den Interna des amerikanischen Geheimdienstes herumzustochern – aber Sie selber waren doch einmal bei diesem Verein, nicht wahr? Und damals, gegen Ende des Krieges, haben Sie doch mitgeholfen, die Abwehr gegen die Sowjetunion auszubauen. Oder etwa nicht?«

James B. Donovan schwieg.

»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus«, sagte Thomas mit einem Augenzwinkern. »Es war schließlich Ihre Aufgabe. Nun ja … Wer könnte es da paradox finden, daß ausgerechnet Sie heute einen Sowjetspion verteidigen?«

»Als Pflichtverteidiger. Das Gericht möchte seine Objektivität beweisen.«

»Bitte, bitte, es sollte kein Vorwurf sein!« meinte Thomas nachsichtig.

»Ich nehme an, jedes Land hat seinen Nachrichtendienst«, sagte Donovan leicht beleidigt.

»Man darf sich nur nie erwischen lassen«, knurrte Hoover undeutlich, über seinen Teller gebeugt.

»Eben«, sagte Thomas. »Allerdings sehe ich vor meinem geistigen Auge bereits – es ist dies eine reine Frage der Wahrscheinlichkeitsrechnung – den Tag voraus, an dem die Sowjets einen amerikanischen Agenten erwischen. Könnte doch schließlich vorkommen, oder? Nehmen Sie doch noch ein bißchen Niere, meine Herren.« Er servierte elegant. »Zum Beispiel ist mir zu Ohren gekommen, daß der Geheimdienst seit Jahren Spezialmaschinen zu Flügen losschickt, die über einem Land nicht nur die Wolken fotografieren.«

»Das ist natürlich ein völlig unsinniges Gerücht«, sagte Edgar Hoover, ohne den Kopf zu heben.

»Natürlich, natürlich«, sagte Thomas sanft. Donovan hörte plötzlich sehr aufmerksam zu. »Die sowjetischen Proteste über Verletzungen russischen Luftraums entbehren natürlich auch jeder Grundlage.«

Hoover sah auf und blinzelte mit einem Auge. »Es handelte sich stets um Wettererkundungsmaschinen, die zufällig von ihrem Kurs abgekommen waren.«

»Na klar. Aber was geschähe nun, wenn einer jener – hrm – Wetterpiloten zufällig abgeschossen würde?« erkundigte sich Thomas.

Donovan sagte langsam: »Diese Wettermaschinen kenne ich. Sie können von der Fliegerabwehr niemals abgeschossen werden, sie fliegen viel zu hoch.«

»Was nicht ist, kann noch werden. Außerdem gibt es, höre ich, seit einiger Zeit sehr präzise Raketen. Wenn eine solche Rakete nun einen solchen amerikanischen Wetterpiloten vom Sowjethimmel holt, und er überlebt dies und wird vor Gericht gestellt, und es handelt sich um einen Wetterpiloten, den Mr. Hoover gern wiedersehen würde … wäre es da nicht ein Jammer, wenn Mr. Abel dann schon das Zeitliche gesegnet hätte? Mit einer Leiche kann man keinen Handel treiben, meine Herren!«

»Wirklich, Mr. Scheuner«, sagte Edgar Hoover mit erstickter Stimme, »Ihr Zynismus geht zu weit.«

»Pardon, meine Herren. Ich sprach ja nur von einer Möglichkeit. Eine pure Hypothese …«

Sehr langsam sagte der Anwalt: »Und wenn nun keiner unserer Wetterpiloten abgeschossen wird?«

»Sehen Sie«, sagte Thomas freundlich, »jetzt verstehen wir uns endlich, Mr. Donovan. Ich könnte mir gut vorstellen, daß Mr. Abel sich dann aus purer Dankbarkeit entschließen würde, die Fronten zu wechseln und für den amerikanischen Geheimdienst zu arbeiten.«