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Nicht ein Muskel zuckte in Rudolf Iwanowitsch Abels Gesicht.

Am 15. November erging das Urteiclass="underline" 30 Jahre Zuchthaus und 2000 Dollar Buße.

30 Jahre und 2000 Dollar Buße für den größten russischen Spion aller Zeiten? Wie war so etwas möglich? Ein ganzes Land stand Kopf – aber nur ein paar Tage lang. Dann geriet die Affäre Abel, wie alles im Leben, in Vergessenheit …

Seltsames Spiel des Zufalls!

Zur Zeit, da diese Zeilen in Druck gehen – Sommer 1960 – hat die Weltgeschichte uns sozusagen eingeholt und die Prognosen unseres Freundes Thomas Lieven bereits Wirklichkeit werden lassen. Wir hoffen, daß der geneigte Leser einen kurzen Zeitsprung in die unmittelbare Gegenwart hinein verzeiht. Wir müssen ihn wagen, sonst wäre die Geschichte des Falles Abel unvollständig.

Am 1. Mai 1960 geriet nahe der sowjetischen Stadt Swerdlowsk ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug vom Typ U-2 in die Hände der Sowjets. »Amerikanisches Flugzeug von russischer Rakete abgeschossen« stand in allen Zeitungen zu lesen. Der Pilot der Maschine hörte auf den Namen Francis G. Powers, war 30 Jahre alt, verheiratet, Bürger des amerikanischen Bundesstaates Virginia. Der Zwischenfall ereignete sich in einer Zeit politischer Hochspannung, unmittelbar vor Beginn der sogenannten »Pariser Gipfelkonferenz«, an welcher Eisenhower, Chruschtschow, Macmillan und de Gaulle über den Frieden der Welt beraten wollten. Er diente den Sowjets als Vorwand, die Konferenz noch vor ihrem Beginn auffliegen zu lassen.

Der Pilot wurde in Moskau vor ein Militärgericht gestellt. Die Sowjets inszenierten einen großen Propagandacoup. Der Generalstaatsanwalt Rudenko – einstmals sowjetischer Ankläger im Nürnberger Prozeß – erklärte in seinem Plädoyer: »Hier steht nicht allein der Flieger Powers vor Gericht, sondern auch die amerikanische Regierung, der wahre Inspirator und Organisator dieses ungeheuerlichen Verbrechens.«

Obgleich er das Verbrechen ungeheuerlich nannte, wurde der Staatsanwalt am Schluß seines Plädoyers von Milde ergriffen: »Ich stelle die Reue des Angeklagten in Rechnung und bestehe nicht auf der Todesstrafe.« Fünfzehn Jahre Freiheitsentzug forderte Rudenko. Das Gericht bemaß die Strafe noch milder: Der Pilot erhielt zehn Jahre Freiheitsentzug …

Der zu dreißig Jahren Zuchthaus verurteilte Sowjetspion Abel ließ in der Sowjetunion eine Frau, eine verheiratete Tochter und einen kleinen Sohn zurück. Sie durften an dem Prozeß gegen ihn nicht teilnehmen. Die Frau des Piloten Powers hingegen, seine Eltern und seine Schwiegermutter erhielten von den Sowjets Einreisegenehmigungen und wohnten dem Prozeß gegen den abgeschossenen US-Flieger auf Logenplätzen des Moskauer Gerichtssaales bei.

Oliver Powers, der Vater des Angeklagten, ein biederer Schuhmacher, erklärte Journalisten: »Ich hoffe, daß Chruschtschow meinen armen Jungen begnadigen wird. Er hat schließlich selbst einen Sohn im Krieg gegen die Deutschen verloren, in dem unsere Soldaten Seite an Seite mit den Russen gekämpft haben. Und wenn er ihn schon nicht begnadigen kann, dann gibt es vielleicht die Möglichkeit, ihn gegen einen sowjetischen Spion auszutauschen, der in den Staaten gefangen wurde. Ich denke da an den Agenten Abel …«

Und was wird nun geschehen?

Tja, was wohl?

13

Wir hoffen, wie gesagt, daß der geneigte Leser uns den kurzen Zeitsprung in die unmittelbare Gegenwart verzeihen wird. Aber kehren wir schleunigst zurück zum Herbst des Jahres 1957.

Und da müssen wir uns gleich noch einmal entschuldigen. Wir hoffen, daß auch das »Federal Bureau of Investigation« uns verzeiht, wenn wir nunmehr von der »Harper Clinic« berichten, die – so weit wollen wir dem FBI entgegenkommen – natürlich nicht »Harper Clinic« heißt. Wir verraten auch nicht, wo sie sich befindet. Aber sie existiert, wir wissen, wo, und wir wissen auch, unter welchem richtigen Namen.

Am 23. Oktober 1957 wurde Sowjetspion Abel schuldig gesprochen. Am 25. Oktober betraten zwei Besucher Edgar Hoovers Arbeitszimmer in seinem Amtssitz zu Washington: Thomas Lieven und Pamela Faber.

Die schöne junge Frau mit dem blauschwarzen Haar und dem großen, leuchtend roten Mund sah Thomas Lieven immer wieder verliebt von der Seite an.

Hoover war guter Laune; er begrüßte die beiden herzlich.

»Und was kann ich für Sie tun?« fragte er.

»Sie können Ihr Versprechen einlösen«, sagte Thomas freundlich. »Sie erinnern sich, daß ich seinerzeit um die Vergünstigung bat, nach Beendigung meiner Mission sterben zu dürfen.«

»Ich erinnere mich«, sagte Hoover langsam.

»Na also«, rief Pamela fröhlich, »und jetzt ist es soweit! Wir wollen danach möglichst schnell heiraten.«

Hoover biß sich auf die Lippe. »Ich stehe ja zu meinem Wort«, sagte er. »Aber Sie dürfen sich nicht vorstellen, daß dies ein Honiglecken ist, Mr. Lieven. So etwas tut weh, verdammt weh.«

»Was tut man nicht alles für seinen Tod«, meinte Thomas. »Außerdem haben Sie in der ›Harper Clinic‹ doch erstklassige Spezialisten, wie ich höre.«

(Er sagte nicht Harper.)

»Also gut. Ich arrangiere die Sache mit der Klinik. Sterben Sie schön, und werden Sie glücklich, sehr glücklich mit Pamela. Allerdings: Es kann sein, daß es Wochen dauert, bis Sie tot sind! Wir müssen auf die Leiche warten! Eine Leiche, die Ihnen ähnlich sieht, findet man nicht alle Tage.«

»Mr. Hoover, ich bitte Sie, in einem so großen Land wie Amerika wird sich doch noch etwas Passendes auftreiben lassen«, sagte Thomas Lieven.

Schöne Leserin, geistreicher Leser!

Es hilft nichts, wir sind soweit. Wir können auch nicht darum herumreden. Wir müssen es aussprechen. Es ist nicht fein, was wir auszusprechen haben, es ist nicht schön.

Eingedenk unseres Rufes, unserer vielen zartfühlenden Freunde und des guten Geschmacks sagen wir zuvor wenigstens mit allem Ernst: Nichts liegt uns ferner, als mit dem bekannten Entsetzen den bekannten Spott zu treiben! Gerne würden wir verschweigen, was geschah, aber – es geschah! Es geschah wirklich und wahrhaftig, und wenn wir uns alle auf den Kopf stellen.

Am 27. Oktober traf Thomas Lieven in Begleitung von Pamela Faber in der »Harper Clinic« ein, die weltabgeschieden, von hohen Mauern umschlossen und Tag und Nacht von FBI-Agenten bewacht, irgendwo in den Vereinigten Staaten liegt.

Thomas erhielt ein komfortables Zimmer, dessen Fenster in einen großen Park hinausging. Pamela bekam das Zimmer daneben. Gleich nach der Ankunft besuchte sie ihn. Sie sagten sich zwei Stunden lang guten Tag …

Zuletzt seufzte Pamela glücklich und müde: »Ach, ist das schön, endlich mit dir allein zu sein!«

»Wenn man uns läßt«, meinte er und streichelte sie zärtlich. »Es ist ein komischer Zustand, also wirklich! Wenn ich bedenke: Ich bekomme ein neues Gesicht, neue Papiere, einen neuen Namen, eine neue Nationalität – alles neu. Wer hat schon so ein Glück mit 48 Jahren?« Er küßte sie. »Wie willst du mich denn haben, Süße?«

»Was meinst du?«

»Na ja, schau: Wenn sie jetzt anfangen, an meinem Gesicht herumzuschnipseln, dann kann ich vorher doch bestimmt gewisse Wünsche äußern. Bezüglich der Ohren. Oder der Nase.«

Pamela mußte lachen. »Weißt du, als Kind habe ich so für die Griechen geschwärmt. Ich habe gedacht: Der Mann, den ich einmal heirate, muß ein griechisches Profil haben! Glaubst du … glaubst du …« Pamela wurde rot. »Es ist ja zu dumm«, sagte sie.

»Du meinst eine griechische Nase?« forschte er freundlich. »Wenn’s weiter nichts ist! Und meine Ohren sind in Ordnung?«

»Ganz bestimmt, Liebling. Sonst ist überhaupt alles in Ordnung.«

»Bist du sicher? Noch ist Zeit! Es geht bei der Operation in einem Aufwasch. Die Herren Ärzte hier können sicherlich alles an mir schöner machen – größer – kleiner – wie du es wünschst …«

»Nein«, rief sie hastig, »nein, sonst soll alles genauso bleiben, wie es ist!«