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In den folgenden Tagen hatten drei Ärzte alle Hände voll mit Thomas Lieven zu tun. Sie fotografierten ihn, sie maßen seinen Schädel mit großen Zirkeln, sie untersuchten einfach alles an ihm. Dann durfte er nicht mehr rauchen. Dann durfte er nicht mehr trinken. Dann durfte Pamela – dann durfte Thomas überhaupt nichts mehr.

Am 7. November operierten sie ihn. Als er wieder zu sich kam, lag er in seinem Zimmer, und sein Kopf war eingebunden und schmerzte.

Am vierten Tag nach der Operation begann er, sich langsam besser zu fühlen. Die Ärzte wechselten die Verbände. Pamela saß den ganzen Tag an seinem Bett und unterhielt ihn, aber mit lauter ernsten Geschichten; denn wenn Thomas unter seinen Verbänden zu lachen versuchte, tat das immer noch weh.

Ein ungeduldig erwartetes Telegramm traf eines Tages für Mr. Grey – so nannte Thomas sich hier – in der Klinik ein. Der Text lautete:

tante vera glücklich gelandet stop alles liebe edgar

Pamela und Thomas lasen das Telegramm. Pamela stieß einen kleinen, glücklichen Schrei aus und drückte seine Hand: »Sie haben die Leiche gefunden, Liebling, sie haben die passende Leiche gefunden!«

»Jetzt kann nichts mehr schiefgehen«, sagte Thomas zufrieden. Aber da irrte er sich! Es ging etwas schief, leider. Am 13. November traf ein besorgter Herr mit schwermütigen Augen und einem Stockschnupfen in der Klinik ein. Er bat Mr. Grey um eine Unterredung unter vier Augen. Allein mit unserem Freund, stellte er sich als John Misaras, Agent des FBI, vor. Der erkältete Misaras brachte triste Nachrichten:

»Mit der Leiche ist etwas Ärgerliches passiert. Wir sind sehr unglücklich darüber, Mr. Grey, glauben Sie mir!« Er nieste donnernd.

»Was ist denn mit der Leiche geschehen?« forschte Thomas beklommen.

»Sie ist nicht mehr da.«

»Wo ist sie denn?«

»In Ankara.«

»Aha«, machte Thomas verdutzt.

»Man hat sie begraben.«

»Aha«, sagte Thomas zum zweitenmal.

»Sie müssen wissen, es gab an diesem Tag nämlich fünf Leichen. Und zwei davon wurden verwechselt. Die unsere und eine andere. Die andere Leiche haben wir noch. Ein türkischer Diplomat. Aber der sieht Ihnen leider nicht ähnlich. Es ist ein Jammer.«

»Aha«, sagte Thomas zum drittenmal.

»Sie verstehen nicht?«

»Zum Wohlsein! – Kein Wort.«

»Wir fanden in Detroit einen Toten ohne Angehörige. Der Mann hätte auch Ihr Zwillingsbruder sein können! Herzschlag. Wir präparierten ihn entsprechend –«

»Sie präparierten ihn?«

»Ja. Und dann verpackten wir ihn in einem Spezialsarg, um ihn nach Europa zu fliegen. Mein Chef wollte auf Nummer Sicher gehen. Um nicht die Aufmerksamkeit anderer Agenten zu erregen, ließ er unsere Leiche mit einer Maschine nach Europa fliegen, die noch vier andere Särge an Bord hatte. Eine Chartermaschine. Sie war von der türkischen Botschaft gemietet worden. Sehen Sie, dieser türkische Diplomat kam mit seiner Familie bei einem Autounfall ums Leben. Mit Frau und zwei großen Kindern. Stand in allen Zeitungen. Auch daß man eine Maschine für die Särge gemietet hatte. So fiel es überhaupt nicht auf, daß wir einen Sarg mehr an Bord brachten. Kein Mensch kümmerte sich darum.«

»Ich verstehe.«

»Leider ist dann in Paris eine Panne passiert. Da sollte unser Sarg ausgeladen werden. Die andern vier Särge sollten nach Ankara weiterfliegen. Den Sarg mit unserer Leiche hatten wir natürlich gekennzeichnet. Es schlich sich aber ein Übermittlungsfehler in das Code-Telegramm ein, und unsere Leute in Paris holten daher einen falschen Sarg aus der Maschine.«

»O Gott.«

»Ja, es ist sehr peinlich. Der türkische Diplomat lag darin, wir haben es inzwischen festgestellt.«

»Und … und … und die Leiche, die mir ähnlich sah?«

»Wurde gestern in Ankara beigesetzt. In einem Familiengrab. Es tut mir wirklich leid, Mr. Grey, aber es ist nichts mehr zu machen. Wir müssen warten, bis wir wieder etwas für Sie finden …«

Also warteten Thomas und Pamela. Am 19. November traf noch ein Telegramm für Mr. Grey ein:

onkel fred in sicherheit stop alles liebe edgar

»Sie haben wieder eine passende Leiche«, flüsterte Pamela.

»Wollen wir bloß die Daumen halten, daß nicht noch einmal etwas schiefgeht«, sagte Thomas. Diesmal ging nichts mehr schief.

Die zweite passende Leiche lag zur Zeit, da Thomas und Pamela die Daumen einwärts drehten und drückten, auf dem Operationstisch eines Vertrauensarztes des FBI in Chikago. Der Tote sah Thomas Lieven außerordentlich ähnlich. Nach Fotos von Thomas sorgte der Arzt mit Wasserstoffsuperoxyd, Paraffineinspritzungen und anderen schönen Dingen dafür, daß der Tote Thomas Lieven immer ähnlicher sah.

Mitarbeiter des FBI hielten unterdessen Kleidungsstücke und Utensilien bereit, die Thomas gehört hatten, so die goldene Repetieruhr und vier Pässe auf vier verschiedene Namen.

Ein FBI-Agent verfolgte mit Interesse die Arbeit des kosmetischen Chirurgen, der, während er ein wenig flüssiges Paraffin in die Nase des Toten schoß, fragte: »Wer ist denn das?«

»Lucky Campanello«, sagte der Agent. »Rauschgift, Erpressung und Mädchenhandel. Paar Kameraden von mir hatten vor zwei Stunden ein Feuergefecht mit ihm. Sie hatten Glück. Er hatte Pech.«

»Ja, das sehe ich«, sagte der Arzt und betrachtete die Stelle, an welcher eine Pistolenkugel direkt über dem Herzen in die Brust von Lucky Campanello eingedrungen war.

Dieser Campanello hatte in seinem 47jährigen Erdenleben stets nur Böses getan und vom Bösen gelebt. Niemandem war er zur Freude gewesen, niemand hatte ihn geliebt, viele hatten ihn gehaßt. Er war ohne Verwandte. Und das setzte ihn in die Lage, nach seinem Tode doch noch eine große positive Rolle zu spielen – seine erste.

Nachdem der Arzt in Chikago mit ihm fertig war, wurde Lucky in einem Spezialbehälter nach Malta geflogen. Hier ankerte ein amerikanisches Schiff. Der Spezialbehälter wurde schnellstens vom Flugplatz aufs Schiff gebracht. Minuten später lief das Schiff aus.

Um Mitternacht des 20. November schlingerte das Schiff sanft auf der Höhe von Lissabon außerhalb der portugiesischen Hoheitsgewässer. Ein Beiboot wurde zu Wasser gelassen. Drei lebende Herren und ein toter Herr nahmen in ihm Platz. Das Boot drehte auf die Küste zu.

Am frühen Morgen des 21. November 1957 fanden dann spielende Kinder auf dem weißen Strand des Fischerdorfes Cascais vor Lissabon bunte Muscheln, Seesterne, halbtote Fische und einen toten Herrn …

Epilog

1

Ja, und wie ging die Geschichte weiter? Wie endet sie? Was ist aus Thomas Lieven und seiner Pamela geworden? Wer hat uns alle seine wüsten Abenteuer erzählt? Wie sind wir überhaupt in die Lage gekommen, über geheime und geheimste Begebenheiten unserer Zeit zu berichten?

Das sind viele Fragen. Wir können sie alle beantworten. Wenn es dazu auch leider nötig ist, daß ein Mann aus dem Schatten tritt, der von Berufs wegen in den Schatten gehört und immer im Schatten zu bleiben hat.

Dieser Mann bin ich. Ich, der Autor, der die Abenteuer und Rezepte des Geheimagenten Thomas Lieven für Sie aufgeschrieben hat.

Im Auftrag meines Verlages flog ich im August 1958 nach den USA. Ich sollte einen Monat drüben bleiben. Ich blieb vier. Ich sollte Material für einen Roman sammeln. Der Roman wurde nie geschrieben.

Aber die Geschichte, die Sie eben lesen, wurde geschrieben! Ich kam ihr drüben auf die Spur. Die Spur nahm ihren Ausgang – wie könnte es anders sein – bei einer hinreißend schönen Frau.

Aus guten Gründen kann ich den Namen der Stadt nicht nennen, in der ich diese Frau zum erstenmal sah. Es war milder Mittag im September. Ich hatte Hunger. Ein Reporterfreund hatte mir ein Feinschmeckerlokal empfohlen. Dorthin wanderte ich nun. Dann sah ich sie …