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»Jawohl, Herr General!«

»Sehr zu Unrecht«, dozierte Thomas Lieven und gab sorgsam auf amerikanischen Akzent acht, »sein die Eintopf geraten in Verruf. Gerne will ich erklären, wie man herstellt eine original mecklenburgische Eintopf. Aber auch Kartoffelgulasch läßt sich machen als Delikatesse!« Thomas senkte die Stimme: »Zuvor eine Frage, die mich bewegt schon seit langer Zeit. Herr General, stimmt es, daß man beimengt der deutschen Soldatenkost – hm – Soda

»Das ist ein Gerücht, das sich hartnäckig behauptet. Ich kann dazu nichts sagen, ich weiß es nicht. Immerhin sind die Leute oft monatelang unterwegs, fern ihren Frauen, fern … Ich brauche nicht weiterzusprechen.«

»Keinesfalls, Herr General! Wie dem auch immer sei: Auf jeden Fall werden helfen Zwiebeln.«

»Zwiebeln?«

»Das A und O beim Kartoffelgulasch, Herr Generaclass="underline" Zwiebeln! In Frankreich, weiß Gott, es gibt genug davon! Der Trick ist ganz einfach: Man nehme ebensoviel Pfund Zwiebeln wie Rindfleisch, Majoran, kleingehackte, süß-saure Gurken und …«

»Einen Moment bitte, Mr. Murphy! Kogge, schreiben Sie mit, ich will das dem Generalquartiermeister zukommen lassen!«

»Jawohl, Herr General!«

»Also«, sagte Thomas Lieven, »Man lasse glasig dünsten in Fett Zwiebeln, salze gut und würze mit Paprika …« Er diktierte, bis es klopfte und eine Ordonnanz erschien. Geflüster zwischen der Ordonnanz und dem General – dann verschwanden beide.

Thomas diktierte sein Eintopfrezept weiter.

Nach zwei Minuten kehrte der General zurück.

Er sprach leise und eisig: »Ich habe den Oberleutnant Zumbusch vorhin angerüffelt. Das ließ ihm keine Ruhe. Er hat mit der amerikanischen Botschaft telefoniert. Ein gewisser Mr. Murphy ist dort völlig unbekannt. Haben Sie dafür eine Erklärung, Mr. Murphy?«

2

Vor dem Hotel rollten noch immer schwere Panzer und Militärfahrzeuge vorbei. Das Rasseln ihrer Ketten und das Brummen ihrer Motoren klangen überlaut in Thomas Lievens Ohren.

Es geschah in einer Reflexbewegung, daß er seine Repetieruhr zog und das Schlagwerk tönen ließ: zwölf Schläge und zwei. Reglos verharrte der General. Thomas überlegte in wahnsinniger Schnelligkeit, während die silbernen Schläge tönten. Es hilft nichts, dachte er, ich muß das Äußerste riskieren …

»Nun gut. Es bleibt mir nichts anders übrig. Obwohl ich damit gegen strengsten Befehl handle … Ich bitte Herrn General um eine Unterredung unter vier Augen.« Er sprach jetzt akzentfreies Deutsch.

»Hören Sie mal, Mr. Murphy, oder wie Sie heißen, ich warne Sie! So ein Standgericht tritt schnell zusammen.«

»Fünf Minuten unter vier Augen, Herr General!« Thomas Lieven bemühte sich, bedeutungsvoll auszusehen.

Der General überlegte lange. Dann entließ er seinen Adjutanten mit einer Kopfbewegung.

Kaum hatte dieser den Salon verlassen, legte Thomas los wie ein Maschinengewehr: »Herr General, ich mache Sie hiermit zum Geheimnisträger. Wenn ich gegangen bin, werden Sie augenblicklich vergessen, daß Sie mir je begegnet sind …«

»Haben Sie den Verstand verloren?«

»… ich eröffne Ihnen eine ›Geheime Führungssache‹. Sie geben mir Ihr Wort als Offizier, daß kein Wort darüber Ihren Mund verläßt …«

»Eine solche Unverschämtheit ist mir ja noch nie …«

»… Ich hatte strikten Befehl von Admiral Canaris …«

»Ca-Canaris?«

»… Canaris persönlich, unbedingt auf meiner Identität als amerikanischer Diplomat zu beharren. Die Umstände zwingen mich nun dazu, Ihnen die Wahrheit zu sagen. Bitte sehr.« Mit einer weiten Bewegung knöpfte Thomas Lieven seine Weste auf und entnahm einer Innentasche einen Ausweis. »Lesen Sie, Herr General!«

Felseneck las.

Das Dokument, das er in der Hand hielt, war ein echter Ausweis der Deutschen Abwehr, ausgestellt von einem gewissen Major Fritz Loos, Abwehroffizier beim Wehrbezirkskommando Köln. Thomas hatte den Ausweis aufbewahrt in der Überzeugung, daß er ihn noch einmal brauchen würde …

Der General sagte entgeistert: »Sie … Sie sind bei der Abwehr?«

»Wie Sie sehen!« Thomas war jetzt in Fahrt. »Wenn Herr General Zweifel an meinen Worten hegen, ersuche ich, augenblicklich ein Führungsblitzgespräch nach Köln anzumelden!« – Wenn er telefoniert, bin ich erledigt. Wenn er nicht telefoniert, bin ich gerettet – ging ihm durch den Kopf.

»Aber Sie müssen doch verstehen …«

Es scheint, ich bin gerettet, dachte Thomas und schrie: »Wissen Sie, wer die beiden Leute sind, die da nebenan warten? Wichtigste französische Geheimnisträger! Bereit, für uns zu arbeiten!« Er schlug auf die schwarze Tasche. »Hierin befinden sich Dossiers und Listen mit den Namen aller Angehörigen des ›Deuxième Bureau‹. Verstehen Sie jetzt vielleicht, was auf dem Spiel steht?« General von Felseneck war erschüttert. Nervös trommelte er auf die Tischplatte. Thomas Lieven dachte: Dossiers, Listen, Namen von Agenten. Wenn meine Landsleute, die Deutschen, diese Listen bekommen, dann werden sie die französischen Agenten töten. Blut, viel Blut wird fließen. Aber wenn sie diese nicht bekommen? Dann werden diese französischen Agenten alles tun, um Deutsche umzubringen. Mir gefällt weder das eine noch das andere. Ich hasse Gewalt und Krieg. Also muß ich mir sehr genau überlegen, was mit dieser schwarzen Tasche geschehen soll. Später werde ich mir das überlegen. Jetzt muß ich erst einmal raus hier …

Der General stotterte: »Trotzdem – trotzdem verstehe ich das nicht. Wenn die Leute für uns arbeiten wollen, warum dann diese Geheimnistuerei?«

»Herr General, begreifen Sie doch! Die französische Abwehr jagt hinter uns her! Jede Minute kann ein Anschlag erfolgen! Darum hatte der Admiral die Idee, die beiden Herrschaften unter dem diplomatischen Schutz einer neutralen Macht zu transportieren und in einem Schloß vor Bordeaux zu verstecken, bis ein Waffenstillstand geschlossen ist!« Thomas lachte bitter auf. »Wir haben die Möglichkeit nicht einkalkuliert, daß ein pflichtbewußter deutscher Oberleutnant uns einen Strich durch die Rechnung machen könnte!« Er nickte ernst. »Zeit ist verlorengegangen, kostbarste Zeit! Herr General, wenn die beiden Leute den Franzosen in die Hände fallen, dann sind die Folgen – die internationalen Folgen – unabsehbar … Und nun melden Sie schon endlich Köln an!«

»Aber ich glaube Ihnen doch!«

»Sie glauben mir! Wie gütig! Dann gestatten Sie wenigstens, daß ich Köln anrufe und diese Panne melde!«

»Hören Sie, ich hatte gerade solchen Ärger. Muß das denn sein?«

»Was heißt: muß das sein? Wie soll das weitergehen? Wenn ich mich jetzt endlich entfernen darf, dann riskiere ich doch, daß wir an der nächsten Straßenecke von einem Ihrer übereifrigen Herren wieder verhaftet werden!«

Der General stöhnte: »Ich gebe Ihnen einen Passierschein … Sie werden nicht mehr angehalten werden – nie mehr …«

»Na schön«, sagte Thomas. »Noch eines, Herr Generaclass="underline" Machen Sie dem Oberleutnant Zumbusch keine Vorwürfe mehr. Er hat nur seine Pflicht getan. Stellen Sie sich vor, ich wäre ein französischer Agent und er hätte mich passieren lassen …«

3

Als der schwarze Chrysler mit dem Sternenbanner über dem Dach aus dem Hof des Hotels »Georges V« glitt, salutierten zwei deutsche Posten. Thomas Lieven, alias William S. Murphy, legte eine Hand an den Homburg und erwiderte ihre Aufmerksamkeit höflich.

Danach war Thomas weniger höflich. Er hielt Jules Siméon eine gewaltige Standpauke. Dieser nahm sie widerspruchslos hin.

Nach einer Unterbrechung von fast 46 Stunden erreichten sie wieder ihre geplante Fluchtstrecke. Thomas fragte: »Wer soll eigentlich die schwarze Tasche bekommen?«

»Major Débras.«

»Wer ist das?«

»Der zweitwichtigste Mann im ›Deuxième Bureau‹. Er wird die Papiere nach England oder Afrika bringen.«