Выбрать главу

Mit Appetit essend, erklärte Débras, wie sie dorthin gekommen war: »Ich telefonierte gestern mit Siméon, Monsieur Lieven. Ich sagte ihm: ›Wie erhalte ich die schwarze Tasche?‹ Er sagte: ›Sie können nicht nach Toulouse kommen, man wird Sie erkennen. Aber dieser phantastische Lieven, dieser ganz außerordentliche Mensch, fährt seit Wochen kreuz und quer durch die Gegend und kauft Lebensmittel ein. Niemand wird sich wundern, ihn zu sehen. Er kann die Tasche überbringen.‹« Débras schnupperte: »Großartig, diese Füllung, was ist das?«

»Gedünstete Zwiebeln, Tomaten und Kräuter. Wozu die Heimlichtuerei, Major? Siméon hätte mich informieren müssen.«

»Ich habe es so angeordnet. Ich kannte Sie doch nicht …«

»Bitte noch ein paar Nester, Monsieur Lieven!« Josephine schenkte Thomas ein strahlendes Lächeln. »Es war schon besser so. Sie sehen, die Tasche hat ihr Ziel wohlbehalten erreicht.«

»Ja, das sehe ich«, sagte Thomas. Er sah sie an, die blödsinnige Tasche mit den blödsinnigen Listen, die Hunderten noch das Leben kosten konnte. Da stand sie. Den Deutschen mühsam entrissen. Bei den Franzosen gelandet.

Schade, dachte Thomas. Ohne Politik, ohne Geheimdienste, Gewalt und Tod hätte das ein so hübscher Abend werden können!

Eine Strophe aus der »Dreigroschenoper« fiel ihm ein:

Denn leider sind auf diesem Sterne eben

die Mittel kärglich und die Menschen roh.

Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben?

Doch die Verhältnisse, die sind nicht so …

Nein, dachte Thomas, die Verhältnisse, sie waren nicht so. Und darum dachte er von nun an zu jedem Satz, den er sprach, Gedanken, die mit den Sätzen nicht das geringste zu tun hatten …

Thomas Lieven sagte: »Nun serviere ich eine Spezialität, die ich Madame zu Ehren Eier ›Josephine‹ genannt habe.« Und er dachte: Die Tasche darf nicht bei Débras bleiben. Er ist mir sympathisch. Josephine ist mir sympathisch. Ich will ihnen nicht schaden. Aber ich kann, ich darf, ich mag ihnen auch nicht nützen!

Der Major zeigte sich von Thomas Lievens Eiern entzückt: »Delikat, Monsieur; Sie sind wirklich ein großer Mann!«

Josephine fragte: »Ist da Muskat dabei?«

Thomas Lieven sagte: »Eine Spur, Madame. Das wichtigste ist, daß man zuerst die Butter zerläßt und dann das Mehl verrührt, aber so, daß beide hell bleiben.«

Thomas Lieven dachte: Ich verstehe Josephine, ich verstehe Débras. Ihr Land ist in Gefahr, wir haben sie überfallen, sie wollen sich verteidigen, sie wollen sich wehren gegen Hitler. Aber ich, ich will nicht blutige Hände bekommen!

Thomas sagte: »Erst nach dem Mehl füge man unter Rühren Milch zu, bis die Sauce dick wird.«

Thomas dachte: Da haben sie mir in dieser idiotischen Spionenschule bei Nancy doch mal ein Buch in die Hand gedrückt. Zum Chiffrieren. Dem Helden jenes Romans ging es eigentlich genauso wie mir. Wie hieß der gleich? Ach ja, der Graf von Monte Christo …

Mit Engelszungen sprach Thomas Lieven: »Sie wollen nach England, Major Débras. Welchen Weg werden Sie nehmen?«

»Über Madrid und Lissabon.«

»Ist das nicht sehr gefährlich?«

»Ich habe noch einen falschen Paß.«

»Trotzdem. Wie Madame sagte, es wimmelt hier von Spitzeln. Wenn man die Tasche bei Ihnen findet …«

»Ich muß es riskieren. Siméon wird in Paris gebraucht, er soll zurück. Ich habe niemanden.«

»Doch!«

»Wen?«

»Mich!«

»Sie?«

Der Teufel soll alle Geheimdienste der Welt holen, dachte Thomas und antwortete mit Feuer: »Jawohl, mich. Es ist mir ein unerträglicher Gedanke, daß die Deutschen die Tasche bekommen!« – Es ist mir genauso unerträglich, zu denken, daß ihr sie habt! – »Sie kennen mich jetzt, Sie wissen, daß ich zuverlässig bin.« – Wenn ihr wüßtet, wie unzuverlässig ich bin! – »Außerdem macht es mir Spaß. Sportlicher Ehrgeiz hat mich gepackt!« – Ach, könnte ich doch nur wieder ein friedlicher Bürger sein!

Von ihren Eiern aufblickend, sagte Josephine: »Monsieur Lieven hat recht, Maurice. Du bist für die Deutschen und ihre Spitzel dasselbe wie das rote Tuch für den Stier.«

»Natürlich, chérie! Aber wie sollen wir die Tasche vor der Deutschen Abwehr in Sicherheit bringen?«

Vor der Deutschen Abwehr und vor allen anderen Diensten, dachte Thomas und sagte: »Ich habe in Toulouse einen Bankier namens Lindner getroffen. Der wartet nur noch auf seine Frau, dann geht er nach Südamerika. Er hat mir angeboten, sein Partner zu werden. Wir werden über Lissabon auswandern.«

Josephine sagte zu Débras: »In Lissabon könntet ihr euch treffen.«

Débras fragte: »Und warum wollen Sie das alles tun?«

Improvisiertes Menu • 19. August 1940

Thomas Lievens Eierspeise verzauberte

die »Schwarze Venus«.

Wurstnester

Eier »Josephine«

Schwedenfrüchte

Wurstnester: Man nehme eine Wurstsorte, die sich in breite, feste Scheiben teilen läßt, schneide sie in ein Zentimeter dicke Scheiben, ohne die Haut zu entfernen. In einer Pfanne mache man Fett heiß, gebe die Wurstscheiben hinein und lasse sie kurz so warm werden, daß sie sich zu einem »Nest« wölben. Dann nehme man die Scheiben rasch vom Feuer auf eine Schüssel zum Anrichten, fülle einige Nester mit Apfelcreme (geriebener Meerrettich und geriebene Äpfel, ein Schuß Weinessig und Salz), andere Nester mit einer Farce aus gedünsteten Zwiebeln, Tomaten und Kräutern sowie Petersilie, Schnittlauch und Olivenöl. Dazu esse man kräftiges Bauernbrot.

Eier »Josephine«: Man bereite zunächst eine weiße Sauce aus 110 Gramm Butter, 50 Gramm Mehl und einem viertel Liter Milch, in die man später zwei Eidotter quirlt. Wichtig dabei ist, daß man zuerst die Butter zerläßt, dann Mehl zugibt; es muß aber so zerrührt werden, daß beides hell bleibt, und die Milch kommt unter ständigem Rühren hinzu. Die Sauce muß dicklich sein, und die Eidotter gebe man erst hinein, wenn die Sauce vom Feuer genommen ist. Etwas Muskat erhöht den Wohlgeschmack.

Diese – auch für andere Gerichte geeignete – weiße Sauce vervollständige man in diesem Fall mit feinzerhacktem Schinken und Parmesankäse. Dann gebe man »verlorene Eier« hinein, daß sie gut von der Sauce bedeckt sind, streue noch einmal Parmesankäse und Butterflocken darüber und lasse alles in der Form fünf Minuten überbacken.

Kleiner Trick für »verlorene Eier«: Ein richtiges »verlorenes Ei« muß nur eben pflaumenweich sein und trotzdem ohne Schale halten. Um das zu erreichen, lasse man die Eier aus der Schale vorsichtig in kochendes Essigwasser gleiten. Nach gut drei Minuten hole man sie am besten mit Hilfe eines Siebes heraus, tue sie in kaltes Wasser und tupfe sie – nach völliger Abkühlung – vorsichtig mit einem Tuch ab.

Für den Einkauf der immer wieder erwähnten Muskatnuß sollte man wissen, daß die guten Nüsse rund, schwer und ölhaltig sein sollen, sie dürfen beim Reiben nicht bröckeln. Verhältnismäßig leichte sind meist ohne Aroma und oft wurmstichig. Der leichte mehlige Überzug auf der Nuß stammt vom Kalkwasser, in das die Nüsse vor dem Versand gelegt werden, um sie vor Insektenfraß zu schützen.

Schwedenfrüchte: eine Büchse gemischtes Kompott, gut im Eisschrank gekühlt, mit etwas Rum abgespritzt und mit viel flüssiger Sahne übergossen. Im Notfall kann man auch Büchsensahne verwenden.

Aus Überzeugung, dachte Thomas Lieven und antwortete: »Aus Überzeugung.«

Sinnend sprach Débras: »Ich wäre Ihnen zu unendlichem Dank verpflichtet …« Abwarten, abwarten, dachte Thomas. »Außerdem bietet uns diese zweifache Reise noch besondere Möglichkeiten.« – Mir bestimmt, dachte Thomas. – »Ich werde die Aufmerksamkeit der Verfolger auf mich ziehen. Damit sind Sie und die schwarze Tasche geschützt.« – Ganz recht, dachte Thomas. – »Also klar, ich fahre mit der Bahn über Madrid. Sie, Monsieur Lieven, werden mit Ihrem Transitvisum in Marseille noch ein Flugzeug bekommen …«