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Gruff gerade dabei war, dem Troll unter der Brücke eine ordentliche Tracht Prügel zu verabreichen.

Er vertiefte sich in >Hot Rod<, und das Buch gefiel ihm sehr gut. Es handelte von einem Burschen, der ein wirklich toller Fahrer war, aber ein Bulle versuchte ihn ständig zu zwingen, langsamer zu fahren. Ben erfuhr aus dem Buch, daß es in lowa, wo die Geschichte spielte, keine Geschwindigkeitsbegrenzungen gab. Das war wirklich interessant.

Nach drei Kapiteln schaute er hoch, und sein Blick fiel auf ein neues Poster an der Wand, auf dem ein glücklicher Postbote einem glücklichen Kind einen Brief aushändigte. Büchereien sind auch zum schreiben da, stand auf dem Plakat. warum nicht gleich heute einem freund schreiben? er

FREUT SICH GARANTIERT!

Unter dem Poster hingen unter Klarsichtfolie vorgestempelte Postkarten, vorgestempelte Briefumschläge und Briefbogen, auf denen oben die Bücherei abgebildet war. Die Umschläge kosteten 5 Cent, die Postkarten 3 Cent, zwei Bogen Papier i Cent. Ben griff in die rechte Vordertasche seiner Jeans. Die letzten vier Cent des Flaschenpfandgeldes waren noch da. Er legte ein Lesezeichen in >Hot Rod<, ging zur Ausleihtheke, gab Mrs. Starrett drei Cent und sagte: »Könnte ich bitte eine Postkarte haben?«

»Aber ja, Ben.« Sie freute sich - wie immer - über seine ernste Höflichkeit und bedauerte gleichzeitig, daß der Junge so dick war. Ihre Mutter würde sagen, daß er langsamen Selbstmord mit Messer und Gabel beging.

Sie gab ihm eine Karte und beobachtete, wie er an seinen Platz zurückging. Er saß ganz allein an jenem Tisch. Sie hatte Ben Hanscom noch nie mit irgendeinem anderen Jungen gesehen. Das war jammerschade, denn sie war überzeugt davon, daß Ben große innere Reichtümer besaß. Er würde sie einem freundlichen, geduldigen Menschen offenbaren... wenn er jemals auf einen solchen Freund stoßen sollte.

7

Ben holte seinen Kugelschreiber heraus und adressierte die Karte an: Miß Beverly Marsh, Derry Street, Derry, Maine, 2. Bezirk. Er kannte ihre Hausnummer nicht, aber seine Mutter hatte ihm einmal gesagt, daß der Postbote die meisten Namen in seinem Bezirk kannte. Wenn der Postbote die Karte zustellen könnte, so wäre das toll. Andernfalls würde sie einfach im Büro für unzustellbare Briefe landen, denn seinen Absender würde er natürlich nicht angeben.

Die Karte so in der Hand haltend, daß die Adresse nicht zu sehen war (er wollte kein Risiko eingehen, obwohl er bisher kein bekanntes Gesicht in der Bücherei erspäht hatte), holte er sich einige Zettel aus der kleinen Schublade neben den Katalogkästen. Dann kehrte er zu seinem Platz zurück und begann etwas auf die Zettel zu kritzeln, auszustreichen, neu zu schreiben.

In der letzten Schulwoche hatten sie im Englischunterricht Haikus gelesen. Das war eine japanische Dichtkunst, kurz und straff. Ein Haiku, so hatte Mrs. Douglas erklärt, mußte aus genau 17 Silben bestehen - nicht mehr und nicht weniger. Es konzentrierte sich meistens auf ein klares Bild,

das irgendeine Emotion ausdrückte: Trauer, Freude, Nostalgie, Glück... oder Liebe.

Diese Form faszinierte Ben und regte seine Fantasie an, obwohl er dem Englischunterricht im allgemeinen ein eher sachliches Interesse entgegenbrachte. Das Haiku weckte in ihm ein Glücksgefühl wie Mrs. Starretts Erklärung des Gewächshauseffekts. Haiku war gute Poesie, denn es war strukturierte Poesie. Es gab keine geheimnisvollen Regeln. Siebzehn Silben, und das Problem war gelöst. Ein mit irgendeiner Emotion verknüpftes Bild. Klar, ordentlich, auf das wichtigste reduziert, in sich geschlossen. Ihm gefiel sogar der Name: Haiku.

Ihre Haare fiel ihm plötzlich ein, und er sah sie deutlich vor sich: die Sonne verfing sich darin wie in einem Feuernetz, und es wippte um ihre Schultern, als sie die Treppe hinunterlief.

Zwanzig Minuten lang arbeitete er konzentriert (mit einer kurzen Unterbrechung, um neue Zettel zu holen), strich Wörter aus, die zu lang waren, änderte und brachte schließlich folgendes Haiku zustande:

Dein Haar gleicht Winterfeuer,

Funken im Januar.

Dort glüht mein Herz.

Er war von seinem Werk nicht sehr angetan, aber etwas Besseres brachte er nicht zustande. Er befürchtete, daß er nervös werden und die ganze Sache aufgeben würde, wenn er zu lange daran herumarbeitete. Und das wollte er nicht. Daß sie ihn angesprochen hatte, war für Ben etwas Überwältigendes gewesen, ein Augenblick, den er nie vergessen würde. Es war für ihn ein denkwürdiger Tag. Und vielleicht schwärmte Beverly für irgendeinen älteren Jungen - einen Sechst- oder sogar Siebtkläßler; sie würde vielleicht glauben, daß dieser Junge ihr das Haiku geschickt hatte, sie würde glücklich sein, -und dadurch würde auch ihr dieser Tag unvergeßlich bleiben. Und obwohl sie nie erfahren würde, daß sie das Ben Hanscom zu verdanken hatte, so spielte das keine Rolle. Er wußte es, und das genügte ihm.

Er schrieb sein Gedicht auf die Postkarte (um kein Risiko einzugehen, in Druckbuchstaben, als handle es sich dabei um eine Lösegeldforderung und nicht um ein Liebesgedicht), schob seinen Kugelschreiber wieder in die Tasche und legte die Karte in >Hot Rod<.

Dann stand er auf und verabschiedete sich im Hinausgehen von Mrs. Starre«.

»Auf Wiedersehen, Ben«, sagte die Bibliothekarin. »Genieß deine Sommerferien und vergiß die Sperrstunde nicht.«

»Ich denk' daran«, sagte er und ging. Er genoß die Hitze in der verglasten Passage zwischen den beiden Gebäuden (Gewächshauseffekt, dachte er zufrieden) und die Kühle der Bücherei für Erwachsene. Ein alter Mann las Zeitung in einem der alten bequemen Polsterstühle des großen Lesesaals. Fahndung nach psychopath geht weiter lautete eine Schlagzeile auf der unteren Hälfte der ersten Seite. Die Schlagzeile direkt unter dem Zeitungsnamen war: die USA werden quemoy nie aufgeben, erklärt der Präsident. Darunter befand sich ein Foto Eisenhowers. Bens Mutter sagte, daß 1960 Hubert Humphrey Präsident werden würde, und daß es dann mit Amerika wieder aufwärts gehen würde. Ben wußte verschwommen, daß sich gegenwärtig eine Rezession abzeichnete und daß seine Mutter Angst vor einer Entlassung hatte.

Er stieß die große Eingangstür auf und trat hinaus.

Am Ende der Auffahrt zur Bücherei gab es einen Briefkasten. Ben warf seine Postkarte möglichst unauffällig ein. Er hatte dabei lautes Herzklopfen. Was ist, wenn sie irgendwie weiß, daß ich ihr geschrieben habe?

Sei doch nicht albern, sagte er sich, aber der erregende Gedanke ließ ihn nicht los.

Er schlenderte die Kansas Street hinauf, ohne sich dessen bewußt zu sein. In seiner Fantasie malte er sich eine wundervolle Szene aus: Beverly Marsh kam auf ihn zu; ihre graugrünen Augen strahlten, ihre roten Haare waren zum Pferdeschwanz gebunden. Ich möchte dich etwas fragen, Ben, sagte sie, und du mußt nur schwören, die Wahrheit zu sagen. Sie hielt die Postkarte hoch. Hast du das geschrieben?

Bens Gesicht glühte wieder; er wünschte, dieser herrliche Wachtraum würde niemals enden. Er hatte wieder das Gefühl, daß seine Schuhsohlen das Pflaster überhaupt nicht berührten, daß er schwebte. Er pfiff vor sich hin. Du wirst mich vermutlich für ein schreckliches Mädchen halten, sagte Beverly, aber ich möchte dich küssen. Ihre Lippen öffneten sich leicht.

Bens Lippen waren plötzlich zum Pfeifen viel zu trocken.

»Das möchte ich auch«, flüsterte er und lächelte ganz benommen. Es war ein wunderschönes Lächeln.

Wenn er in diesem Moment einen Blick auf den Gehweg geworfen hätte, hätte er außer seinem eigenen Schatten drei weitere gesehen; wenn er aufgepaßt hätte, so hätte er Victors Nagelschuhe auf dem Pflaster hören müssen. Aber er sah und hörte nichts. Er war weit entfernt - er fühlte Beverly s weiche Lippen auf den seinen, er hob schüchtern die Hände, um das Winterfeuer ihrer Haare zu berühren.