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Bald hatte sie einen glatten, angewinkelten Stock mit einer Länge von ungefähr dreißig Zentimetern angefertigt, der an einer Seite flach und an der anderen abgerundet war. Sie wog den Bumerang in der Hand, prüfte mit einem in langer Praxis gewonnenen Urteilsvermögen die Balance und das Gewicht und schabte noch etwas überschüssiges Material ab.

Dann trat sie aus dem Schatten des Affenbrotbaums hinaus und ging am schlammigen Seeufer entlang. Sie fand die Stelle wieder, wo sie vor ein paar Tagen ein Netz aus geflochtenen Rindenfasern versteckt hatte. Das Netz war noch unbeschädigt. Sie schüttelte den Staub aus und die Käfer, die die trockenen Fasern annagten.

Nun spannte sie das Netz zwischen zwei dürre, günstig stehende Affenbrotbäume, dass es dem See zugewandt war. Sie hatte diesen Ort gerade wegen der Affenbrotbäume ausgewählt.

Dann ging sie um den See zurück, bis sie sich im rechten Winkel zum Netz befand. Sie ergriff den Wurfstock und übte mit heraushängender Zunge die Bewegung des Wurfs, den sie ausführen würde. Sie hätte nur diese eine Chance und musste es gleich beim ersten Mal richtig machen…

Ein dumpfer Schmerz pulsierte in ihren Schläfen wie Donner in fernen Bergen.

Sie verlor das Gleichgewicht und verzog vor Ärger über diese Beeinträchtigung das Gesicht. Der Schmerz selbst war auszuhalten, aber er war nur ein Vorbote dessen, was noch kommen sollte. Die Migräne war eine unbarmherzige Plage, die sie häufig heimsuchte, und es gab auch nichts, was sie dagegen zu tun vermochte. Es gab kein Heilmittel und nicht einmal einen Namen dafür. Aber sie wusste, dass sie ihre Aufgabe erledigen musste, ehe die Schmerzen es unmöglich machten. Andernfalls würden sie und ihr Sohn heute Hunger leiden müssen.

Sie ignorierte das Hämmern im Kopf, nahm wieder die Wurfstellung ein, hob den Stock und warf ihn kraftvoll und präzise. Der wirbelnde Stock beschrieb einen schönen hohen Bogen über dem See, wobei die hölzernen Flügel mit einem leisen Rauschen wirbelten.

Die dasitzenden Wasservögel wurden unruhig und stießen gereizte Rufe aus, und als der Stock in der Luft wendete und auf sie niederging, gerieten sie in Panik. Mit rauschendem, schwerem Flügelschlag erhoben die Vögel sich in die Lüfte und flohen vom See – und die tief fliegenden Tiere an den Rändern des Schwarms flogen direkt in Mutters Netz. Grinsend rannte sie um den See zurück, um die Beute einzusammeln.

Zusammenhänge. Mutter warf den Bumerang, der die Vögel erschreckte, die ins Netz flogen, weil Mutter es dort aufgespannt hatte. Dies war ein anschauliches Beispiel für Mutters Denken in kausalen Verknüpfungen.

Doch mit jedem Schritt, den sie machte, wurden die Kopfschmerzen schlimmer. Das Gehirn schien im großen Kopf zu rasseln, und die kurze Freude über den Erfolg wurde wie immer zunichte gemacht.

Mutters Leute lebten in einem Lager in der Nähe eines ausgetrockneten, erodierten Kanals, der in eine Schlucht mündete. Sie hatten Unterkünfte an den Klippen errichtet, bloße Sonnensegel aus Tierhaut- oder Rattanplanen, die auf Holzgestelle gespannt waren. Im Gegensatz zu Kieselsteins längst untergegangener Siedlung war dies keine feste Ansiedlung. Dafür gab das Land nicht genug her. Dies war die vorläufige Heimat nomadischer Jäger und Sammler, die es bei der Verfolgung ihrer Nahrungsquelle hierher verschlagen hatte. Die Leute waren seit einem Monat hier.

Der Standort hatte allerdings auch seine Vorteile. Es floss ein Fluss vorbei, das hiesige Gestein eignete sich gut für die Werkzeugfertigung, und es war auch ein Wald in der Nähe, der als eine Quelle für Feuerholz, Rinde, Laub, Lianen und Ranken für Kleidung, Netze und andere Werkzeuge und Gegenstände diente. Und der Ort war auch ein guter Hinterhalt für die Tiere, die nichts ahnend zur Schlucht kamen, um dort zu trinken. Trotzdem war die Ausbeute der Gegend schlecht gewesen. Das Lager war desolat, und die unterernährten Leute vermochten sich kaum noch zu etwas aufzuraffen. Sie würden wahrscheinlich bald weiterziehen müssen.

Mutter stolperte heimwärts. Drei Wasservögel hatte sie sich an einer Lederschnur um die Schultern gehängt. Die Kopfschmerzen waren nun akut, und jede Oberfläche schien gleißend hell zu sein und in seltsamen Farben zu leuchten. Das menschliche Gehirn hatte sich im letzten Jahrtausend vor der Geburt von Mutters Urahnin Harpune spektakulär aufgebläht. Diese hastige Neuverkabelung hatte unerwartete Vorzüge, wie Mutters Fähigkeit zu strukturiertem Denken und Handeln, aber auch Nachteile wie die lästige Migräne.

»… Hey, hey! Speer Gefahr Speer!«

Sie schaute sich trübe um.

Zwei jüngere Männer starrten sie an. Sie trugen um den Körper gewickelte Häute, die sie mit Sehnen festgebunden hatten. Beide hielten sie grob geschnitzte Holzspeere mit feuergehärteten Spitzen in der Hand. Sie hatten die Speere gegen eine Ochsenhaut geschleudert, die sie über die Äste eines Baums gespannt hatten. Mutter wäre ihnen, abgelenkt durch die Schmerzen und die seltsamen Lichter, beinahe in die Wurfbahn gelaufen.

Sie musste warten, bis die Speerwerfer ihren Wettkampf beendet hatten. Keiner der beiden Männer war sonderlich geschickt, und ihre Lederkluft war auch ziemlich schäbig. Nur ein Speer hatte sich bisher durch die Haut in den Baum gebohrt, und die anderen lagen auf dem Boden verstreut.

Aber sie sah, dass einer der Jäger den Speer immerhin mit mehr Kraft warf. Der Junge hielt den Speer sehr weit hinten am Schaft und versuchte mit dem knochigen Arm eine maximale Hebelwirkung zu erzielen. Den für sein Alter großen, gertenschlanken Jungen stellte sie sich als Schössling vor, der dem Sonnenlicht entgegenstrebte. Wenn Schössling den Speer warf, flog er zischend und leicht zitternd durch die Luft. Die Bewegung des Speers war sehr interessant. Beim Versuch, ihn mit den Augen zu verfolgen, schmerzte der Kopf aber nur noch heftiger.

Als die Speerwerfer fertig waren, stolperte sie weiter und verkroch sich im Schatten der Behausung, die sie mit ihrem Sohn teilte.

In Mutters Hütte war eine korpulente Frau im Alter von fünfundvierzig Jahren. Sie hatte zotteliges, graumeliertes Haar und ein gewohnheitsmäßig verkniffenes und missmutiges Gesicht. Diese Frau, Sauer, zerstampfte mit einem Stößel eine Wurzel. Sie schaute Mutter mit dem obligatorischen feindseligen Ausdruck an. »Essen, Essen?«

Mutter machte eine vage Handbewegung, ohne weiter auf Sauer einzugehen. »Vögel«, sagte sie.

Sauer legte den Stampfer und die Wurzel hin und ging nach draußen, um die Vögel zu begutachten, die Mutter mitgebracht hatte.

Sauer war Mutters Tante. Ihre Verbitterung rührte daher, dass sie ihr zweites Kind ein paar Tage nach der Geburt durch eine unbekannte Krankheit verloren hatte. Sie würde die Vögel wahrscheinlich stehlen und Mutter und Still nur einen kleinen Teil dessen geben, was sie mit nach Hause gebracht hatte. Jedoch hatte Mutter derartige Kopfschmerzen, dass es ihr im Moment egal war.

Sie versuchte, sich auf ihren Sohn zu konzentrieren. Er war ein kränklicher Junge von acht Jahren; er saß mit dem Rücken zum schräg abfallenden Dach und hatte die Beine an die Brust gezogen. Mit einem Zweig schob er einen anderen Zweig über den Erdboden. Mutter setzte sich neben ihn und zauste ihm das Haar. Er schaute mit einem schläfrigen Blick zu ihr auf. Er verbrachte viel Zeit auf diese Art – still und zurückgezogen von den anderen wartete er auf sie. Er schlug nach seinem Vater, einem kleinwüchsigen, erfolglosen Jäger, der sich einmal lieblos mit Mutter gepaart hatte, und durch dieses eine Mal war sie schon schwanger geworden.

Ihre sexuellen Erlebnisse waren sporadisch und auch nicht sehr angenehm gewesen. Sie hatte bisher noch keinen Mann getroffen, der stark oder auch geduldig genug gewesen wäre, ihren intensiven Blick, ihre Besessenheit, ihr aufbrausendes Naturell und den häufigen schmerzerfüllten Rückzug in sich selbst zu tolerieren. Es war ihr großes Unglück, dass der Mann, der sie geschwängert hatte, sich schnell eine andere gesucht hatte und bald vom Axthieb eines Rivalen niedergestreckt worden war.