Выбрать главу

Nicht lang nach Mutters Tod hatte ein neuer Exodus aus Afrika eingesetzt, wobei eine große Anzahl von Leuten in alle Richtungen ausgeschwärmt war. Ejans Leute waren nach Osten gegangen. In den Fußstapfen von Weits Läufer-Spezies waren sie am südlichen Rand Eurasiens entlang gewandert und hatten sich dabei an den Küstenlinien und Inselgruppen orientiert. Nun waren sie ein Volk, dessen Siedlungsraum sich in einem langen Streifen von Indonesien und Indochina über Indien und den Nahen Osten bis nach Afrika erstreckte. Und weil die Populationen langsam wuchsen, waren Kolonisten von diesen Brückenköpfen entlang der Flüsse ins Innere des Kontinents vorgestoßen.

Ejan und Torr waren Sprösslinge der reinsten Linie der Küstenwanderer, die die Wanderung an den Gestaden des Meeres über viele Generationen hinweg fortgesetzt hatten. Um den Reichtum der Flüsse, Flussmündungen, Küstenstreifen und dem Festland vorgelagerten Inseln auszubeuten, hatten diese Leute ihre Fertigkeiten des Bootsbaus und Fischens allmählich perfektioniert.

Doch nun steckten sie in einer Sackgasse. Auf diesem Archipel vorm südwestlichen Zipfel des asiatischen Festlands waren sie am Ende ihrer Reise angelangt: Sie hatten kein unbesiedeltes Land mehr vor sich. Und langsam wurde es hier voll.

Es bestand aber die Möglichkeit, weiterzugehen; jeder wusste das.

Obwohl die derzeitige Eiszeit den tiefsten Kältepunkt erst noch erreichen musste, war der Meeresspiegel schon um ein paar hundert Meter gefallen. Die Küstenlinien wurden neu gezogen, und infolgedessen hatten die Inseln Java und Sumatra sich mit dem südwestlichen Zipfel Asiens zu einem Schelf verbunden. Indonesien war eine lange Halbinsel geworden. Gleichermaßen waren Australien, Tasmanien und Neu-Guinea zu einer einzigen großen Landmasse verschmolzen.

In dieser einmaligen und temporären Geographie war die asiatische Landmasse an manchen Stellen nur etwa hundert Kilometer von Groß-Australien entfernt.

Alle wussten um die Existenz des südlichen Lands. Kühne oder auch verunglückte Seeleute, die von der Küste und den vorgelagerten Inseln abgetrieben worden waren, hatten es gesichtet. Niemand kannte seine wahre Ausdehnung, doch wusste jeder aus den über die Generationen gesammelten Reiseberichten, dass das nicht nur eine Insel war: Das war ein neues Land, weit, grün und üppig mit einer langen und fischreichen Küste.

Dorthin zu gelangen wäre eine beachtliche Leistung. Bis hierher waren die Leute durch ›Inselhüpfen‹ gelangt, indem sie über ein halbwegs ruhiges Meer von einem Stück Land zum andern gefahren waren, das auch noch deutlich sichtbar war. Die Überfahrt von dieser letzten Insel zum südlichen Land – wobei man das Land ganz aus dem Blick verlieren würde – wäre indes eine Herausforderung von einem ganz anderen Kaliber.

Dennoch würde sich für die Erschließung einer neuen Welt nur jemand finden müssen, der kühn genug war, um die Überfahrt zu wagen. Er müsste kühn genug sein, intelligent genug – und Glück haben.

Ejan nahm sich viele Tage Zeit, um einen geeigneten Baum auszusuchen.

Mit Torr an seiner Seite wanderte er durch die Randzonen der Wälder und musterte Sterkulia-Pflanzen und Palmen. Er stellte sich unter die Bäume, prüfte den Wuchs der Stämme und schlug mit der Faust gegen die Rinde, um verborgene Fehler aufzuspüren.

Schließlich wählte er eine schöne dicke Palme aus, die einen makellosen Stamm wie eine Säule hatte. Er war aber weit von der Siedlung entfernt. Und nicht nur das; die Palme war auch weit von jedem Fluss entfernt; sie würden nicht imstande sein, sie nach Hause zu flößen.

Torr wollte seine diesbezüglichen Bedenken schon äußern, verkniff es sich aber, als er den Ausdruck in Ejans Gesicht sah.

Zuerst fällten die Brüder die Palme mit den Steinäxten. Dann schälten sie die Rinde vom Stamm. Das nackte Holz war so vollkommen, wie Ejat gehofft hatte, und sehr hart.

Dann wanderten sie zur Siedlung zurück, um Hilfskräfte für den Transport des Stamms anzuheuern. Obwohl man ihnen viele Beileidsbekundungen wegen des Verlusts der drei Brüder entgegenbrachte, war niemand von der Aussicht auf eine so lange und schwierige Bergungsaktion im Wald angetan. Letztendlich waren es nur Familienmitglieder – Ejan, Torr und ihre drei Schwestern –, die zur gefällten Palme zurückkehrten.

Nachdem sie die Palme ins Lager geschafft hatten, ging Ejan sofort an die Arbeit. Schicht für Schicht höhlte er den Baumstamm aus, wobei er darauf achtete, das Herz an Bug und Heck nicht zu beschädigen. Er benutzte Steinäxte und Dechsel, die schnell stumpf wurden, aber genauso schnell nachgefertigt wurden.

Torr half ihm die ersten paar Tage. Doch dann zog er sich zurück. Als das älteste Kind lastete die Verantwortung nun auf ihm, und er widmete sich der Versorgung der Familie, damit sie überleben konnte.

Nach ein paar Tagen brachte Ejans jüngste Schwester, Rocha, ihm ein kleines Netz voller Datteln. Er legte die Datteln auf das flache Heck, das er aus dem Holz schnitzte und steckte sie sich während der Arbeit abwesend in den Mund.

Die fünfzehn Jahre alte Rocha war klein, dunkel und schlank – ein stilles Mädchen mit einer intensiven Ausstrahlung. Sie ging um den Baumstamm herum und schaute, was er schon geleistet hatte.

Der Stamm war fast auf ganzer Länge ausgehöhlt. Die breite Basis des Stamms war der Bug, und Ejan ließ dort eine Plattform stehen, auf der ein Harpunier Platz nehmen konnte. Ein kleiner flacher Sitz im Heck war für den Steuermann gedacht. Es war ein erstaunliches Bild, wie ein Boot im Holz Gestalt annahm. Aber die Kerbe, die Ejan in den Baumstamm grub, war noch arg flach, und die Oberfläche rau und unbehandelt.

Rocha seufzte. »Du arbeitest so hart, Bruder. Osa hat ein Floß an einem, höchstens zwei Tagen gebaut.«

Er richtete sich auf und wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn. Dann ließ er die nächste stumpfe Axtklinge fallen. »Aber Osas Floß hat ihn umgebracht. Das Meer zwischen uns und dem südlichen Land ist nicht wie das ruhige Wasser des Flusses. Kein Floß ist stark genug dafür.« Er strich über die Innenseite des Einbaums. »In diesem Kanu werde ich geborgen sein. Und meine Sachen. Selbst wenn ich kentere, wird mir nichts geschehen, weil das Boot sich von selbst wieder aufrichtet. Schau hier.« Er klopfte von außen gegen den Baumstamm. »Dieser Stamm ist außen sehr hart, aber das Herz drinnen ist leicht. Das Holz ist so leicht, dass es nicht einmal sinkt. So werde ich die Überfahrt bestimmt schaffen, glaub mir.«

Rocha strich mit ihrer kleinen Hand übers bearbeitete Holz. »Wenn du schon ein Kanu bauen musst, solltest du Rinde verwenden, sagt Torr. Ein Rindenkanu ist leicht zu bauen. Er hat es mir gezeigt. Es reicht, wenn du eine einzige Schicht Rinde nimmst und sie vorne und hinten mit Lehmklumpen spreizt, oder du nähst es aus Rindenstreifen zusammen und…«

»Und du musst auf der ganzen Reise Wasser schöpfen, und bevor du die halbe Strecke geschafft hast, gehst du unter. Schwester, ich muss mein Boot nicht zusammennähen, und es kann auch nicht reißen; mein Kanu hält dicht.«

»Aber Torr sagt…«

»Er redet zuviel und tut zuwenig«, sagte er schroff. »Ich habe die Datteln aufgegessen. Lass mich nun allein.« Und er widmete sich wieder seiner Arbeit und höhlte emsig den Stamm aus.

Aber sie blieb bei ihm. Stattdessen kletterte sie ins unfertige Innere des Bootes. »Wenn ich dir nicht mit Worten helfen kann, Bruder, dann vielleicht mit den Händen. Gib mir einen Schaber.«

Er lächelte sie erstaunt an und gab ihr einen Dechsel.

Danach machte die Arbeit gute Fortschritte. Als das Kanu seine annähernde Form angenommen hatte, hobelte Ejan die Wände von innen dünner, um Platz für zwei Leute samt Ausrüstung zu schaffen. Um das Holz zu trocknen und zu härten, wurden planmäßig kleine Feuer im und unterm Kanu angezündet.