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»Das Leben ist nicht nur Konkurrenz«, sagte sie. »Es ist auch Kooperation. Gegenseitige Abhängigkeit. Das ist es immer schon gewesen. Die ersten Zellen waren auf die Kooperation mit den einfacheren Bakterien angewiesen. Das galt auch für die ersten Ökologien, den Stromatolithen. Und heute ist unser Leben so von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt, dass wir in Zukunft alle an einem Strang ziehen müssen.«

»… Sie sprachen gerade von Globalisierung. Von welcher Firma werden Sie gesponsert?«

»… Wir kehren zu Gäa und anderen Erdgöttinnen zurück, nicht wahr?«

»Unsre globale Gesellschaft ist mittlerweile so sehr vernetzt, dass sie zu etwas in der Art eines Holon wird«, sagte Joan. »Eine einzige, zusammengesetzte Wesenheit. Wir müssen lernen, uns als solche zu betrachten. Wir müssen uns auf die andere Hälfte unsrer Primatennatur stützen, die eben nicht von Konkurrenzdenken und Fremdenfeindlichkeit geprägt ist. Primaten neigen viel eher zur Kooperation als zur Konkurrenz. Schimpansen tun es, Lemuren tun es, Pithecinen und Neandertaler müssen es getan haben, und wir tun es. Die menschliche Interdependenz ist sozusagen ein konstituierendes Merkmal unsrer Geschichte. Und ohne dass wir es geplant hätten, haben wir die Biosphäre ursurpiert – und wir müssen lernen, sie gemeinsam zu verwalten.«

Alison Scott erhob sich wieder. »Was genau wollen Sie eigentlich, Joan?«

»Ein Manifest. Einen Aufruf. Ein Schreiben an die UN, von uns allen unterzeichnet. Wir müssen den Anfang machen und etwas Neues beginnen. Wir müssen den Weg in eine nachhaltige Zukunft bereiten. Wer, wenn nicht wir?«

»… Hurra, wir retten die Welt…«

»… Sie hat Recht. Gäa wird nicht unsere Mutter, sondern unsre Tochter sein…«

»… Was veranlasst Sie überhaupt zu der Annahme, einer der Mächtigen würde auf einen Haufen Wissenschaftler hören? Das haben sie noch nie getan. Sie leben in einem Wolkenkuckucksheim…«

»Sie werden schon auf uns hören, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht«, sagte Evelyn Smith.

Alyce Sigurdardottir erhob sich. »Konfuzius sagte: ›Wer behauptet, es könne nicht getan werden, möge denjenigen Platz machen, die es doch tun.‹« Sie reckte die kleine Faust zum Black Power-Gruß. »Wir sind nach wie vor nur Primaten. Stimmt’s?«

Trotz der paar Zwischenrufe sah Joan, dass der Ausdruck in den Gesichtern der Leute wohlwollender geworden war. Es wird funktionieren, sagte sie sich. Wir stehen zwar erst am Anfang, aber es wird funktionieren. Wir können es schaffen. Sie strich sich über den Bauch.

Im Prinzip hatte sie Recht; es hätte funktionieren können.

Der politische und wirtschaftliche Druck hätte durchaus ein Umdenken bei den globalen Machtspielern zu bewirken vermocht, von dem bisher nichts zu merken war. Joan Usebs Ideen wären durchaus als Vorlage geeignet gewesen, durch die Integration des alten Primaten-Instinkts ›Kooperation‹ Synergieeffekte zu erzielen. Und die hätten auch über das bloße ökologische Management hinauszugehen vermocht. Schließlich hatte keine der bisherigen Arten – nicht in den vier Milliarden Jahren des Lebens auf der Erde – das Potential gehabt, sich global zu vernetzen. Im Lauf der Zeit hätte Joans Ansatz vielleicht einen kognitiven Durchbruch geschafft, der so signifikant gewesen wäre wie die Integration von Mutters Generation.

Die Menschen waren intelligent genug geworden, um ihren Planeten zu beschädigen. Es wäre vielleicht nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis sie intelligent genug wurden, um ihn zu retten.

Nur eine Frage der Zeit.

Doch plötzlich gingen die Lichter aus. Es ertönten Explosionen wie hallende Schritte. Die Leute liefen schreiend durcheinander.

Inzwischen waren die Erdbeben um Rabaul immer stärker geworden. Schließlich rissen sie den Meeresboden über Rabauls Magmakammer auf. Das Magma stieg durch bis zu dreihundert Meter breite Tunnel an die Oberfläche. Und dann strömte Meerwasser in die Tunnel und verdampfte schlagartig. Gleichzeitig waren durch den hohen Druck in der Tiefe Gase wie Kohlendioxid und Schwefelverbindungen im Magma gebunden gewesen, wie die Kohlensäure in einer Mineralwasserflasche. Und nun zersprang die Flasche, und die Gase sprudelten heraus.

In den Gesteinskammern stieg der Druck exponentiell an.

II

Die Notbeleuchtung wurde eingeschaltet und erfüllte den Raum mit einem kalten Glühen.

Die abgehängte Decke war in Kunststoffsplitter zerbrochen, die auf die fliehenden Kongressteilnehmer herabregneten. Joan sah, dass Alison Scott ihre beiden Mädchen packte und sich mit ihnen in eine Ecke verkroch. Der freigelegte Dachstuhl mit den isolierten Rohren und Kabeln glich einer dunklen, schmutzigen Höhle.

Dünne Nylonseile schlängelten sich durch die mit Kunststoffpartikeln geschwängerte Luft. Ihr Blick fiel auf schwarz gekleidete Gestalten, die sich wie Spinnen durch den Dachraum bewegten und sich auf den mit Splittern übersäten Boden der Bar abseilten. Sie trugen hautenge schwarze Overalls und Kapuzen mit silbrigen Augenbinden. Sie zählte fünf, sechs, sieben von ihnen. Sie vermochte aber nicht zu sagen, ob es sich bei ihnen um Männer oder Frauen handelte. Sie alle trugen kompakte automatische Waffen.

Alyce Sigurdardottir wollte sie am Arm vom Tisch herunterziehen. Aber sie sträubte sich, denn sie wusste, dass sie noch immer im Mittelpunkt stand; sie hatte das – vielleicht irrationale – Gefühl, dass die Lage sich noch verschlechtern würde, wenn sie sich ins Chaos hineinziehen ließe.

Einer der Eindringlinge führte das Kommando. Unten angekommen, versammelten die anderen sich um ihn, während er die Lage sondierte. Ein Er oder eine Sie? Nein, ein Er, sagte Joan sich; bei einer solchen Gruppe wird es sich um einen Mann handeln. Zwei der Eindringlinge blieben beim Anführer. Die anderen vier liefen zu den Türen. Sie hielten sich mit dem Rücken zur Wand und richteten ihre Waffen auf die Delegierten, die sich wie Schafe in der Mitte des Raums zusammendrängten.

Es gab hier nur einen Angehörigen des Hotelpersonals: den Barkeeper, den jungen Australier, an dem Alyce Gefallen gefunden hatte. Er war schlank und hatte lockiges schwarzes Haar – er stammte sicher von einem Eingeborenen ab, sagte Joan sich – und trug eine Fliege und eine Satinweste. Nun bewies er großen Mut und trat mit ausgebreiteten Händen vor. »Hören Sie«, sagte er. »Ich weiß nicht, was Sie hier wollen. Aber wenn ich Ihnen ein…«

Das Geräusch der Waffe war gedämpft und klang irgendwie so, als ob ein Leopard hustete. Der Junge krümmte sich und ging zu Boden. Plötzlich stank es nach im Todeskampf abgesondertem Kot, ein Geruch, den sie seit Afrika nicht mehr wahrgenommen hatte. Die Delegierten schrien, wichen zurück oder erstarrten; jeder versuchte auf seine Weise, die Aufmerksamkeit der Mörder von sich abzulenken.

Derweil durchliefen die intelligenten Wände ungerührt ihre Zyklen und zeigten bedeutungslose Bilder des Vulkans auf Neu Guinea, die Robot-Fabriken auf dem Mars, Werbespots für Bier und Medikamente und technische Gimmicks.

Wie Joan erwartet hatte, kam der Anführer, nachdem er den exemplarischen Mord begangen hatte, auf sie zu. Die Waffe hatte er wieder eingesteckt; wahrscheinlich war sie immer noch heiß. Sein Visier war in die Kapuze eingenäht. Die Montur war farblich aufeinander abgestimmt, beinahe schick.

»Haben Sie etwa Angst, Ihr Gesicht zu zeigen?«, fragte sie schroff, bevor er etwas zu sagen vermochte.

Er lachte und streifte die Kapuze ab. Ja, sie hatte Recht gehabt – es war ein Er. Sein Kopf war kahl geschoren. Er hatte weiße Haut und braune Augen. Er war vielleicht fünfundzwanzig, sicher nicht viel älter als der Barkeeper, den er eben getötet hatte. Er musterte sie und nahm nach ihrer unausgesprochenen Hausforderung bei ihr Maß.