Выбрать главу

Dann arbeitete er sich zum Waldrand vor, wo er seine Hammer-Steine gelagert hatte. Dabei handelte es sich um Kieselsteine, die formschlüssig in der Hand lagen. Er suchte sich einen aus und ging zum Nuss-Depot zurück.

Auf dem Rückweg kam er an der halbwüchsigen Heulen vorbei. Er spielte kurz mit dem Gedanken, sich wieder mit ihr zu paaren, doch wenn Capo sich einmal am Tag einem Weibchen widmete, war das Gunstbeweis genug.

Zumal ein Kind bei ihr war, ein merkwürdig aussehendes Männchen mit einer auffallend verlängerten Unterlippe: Elefant. Er war einer von Capos Söhnen. Er saß auf dem Boden und hielt sich laut stöhnend den Bauch. Vielleicht hatte er einen Wurm oder einen anderen Parasiten. Heulen stöhnte mit ihm, als ob der Schmerz sich auch auf ihren Körper übertragen hätte. Sie riss schnell Blätter ab und veranlasste das Junge, sie zu schlucken; das Laub enthielt Substanzen, die Parasiten austrieben.

Und dann erblickte er Finger und Wedel, die über den Waldboden schlichen. Capo hatte den Eindruck, dass die jungen Männchen etwas im Schilde führten. Und dann wurde er sich zornig bewusst, dass sie es auf seinen Laubhaufen abgesehen hatten.

Capo zügelte seine Ungeduld. Er setzte sich unter einen Baum, ließ den Hammer-Stein fallen und säuberte methodisch die Zwischenräume zwischen den Zehen. Er wusste, wenn er die Palmnüsse zu erreichen versuchte, würden die anderen eher da sein und sie klauen. Indem er sich nun mit seinen Füßen beschäftigte, machte er Wedel und Finger glauben, dass dort gar keine Nüsse versteckt seien.

Anders als Streuner vermochte Capo die Absichten von anderen zu erkennen. Und Capo wusste auch, dass seine Artgenossen wahrscheinlich andere Prämissen hatten als er und dass er mit seinen Handlungen die Prämissen anderer zu ändern vermochte. Es war eine Fähigkeit, die sogar ein begrenztes Maß an Empathie ermöglichte: Heulen hatte das Leid von Elefant wirklich geteilt. Aber sie ermöglichte auch raffinierte Methoden der Täuschung und des Verrats. Er war in gewisser Weise imstande, Gedanken zu lesen.

Diese neue Fähigkeit hatte ihn auf einer höheren Ebene selbstbewusst gemacht. Die beste Methode, die Gedanken eines anderen zu ergründen bestand darin, die eigenen Gedanken zu studieren: Wenn ich sähe, was sie sieht, und wenn ich glaubte, was sie tut, was würde ich tun…? Es war eine Innenansicht, eine Reflexion: die Geburt des Bewusstseins. Wenn Capo sein Gesicht im Spiegel gesehen hätte, dann hätte er gewusst, dass er selbst das war und nicht etwa ein Artgenosse in einem Fenster. Seine Art waren die ersten Tiere seit den Jägern von Pangäa, die dieses Intelligenzniveau erreicht hatte.

Schließlich entfernten Wedel und Finger sich von dem Blätterhaufen. Capo schnappte sich den Hammer-Stein, um die Palmnüsse zu knacken. Er würde den beiden später noch eine Tracht Prügel verabreichen – aus Prinzip. Sie würden nie verstehen, weshalb sie die Haue eigentlich bezogen.

Er schob das Laub beiseite, unter dem sein Lieblings-›Amboss‹ versteckt war: ein flacher, im Boden versenkter Stein. Um das Hinterteil zu schützen, breitete er etwas Laub auf dem feuchten Boden aus. Dann setzte er sich hin und zog die Beine an die Brust. Er legte eine Palmnuss auf den Amboss, hielt sie mit dem Mittel- und Zeigefinger fest und schlug mit dem Hammer zu, wobei er die Finger im letzten Moment wegzog. Die Nuss rollte unter dem Hammer und flutschte unbeschädigt weg; Capo hielt sie auf und versuchte es erneut. Es war eine knifflige Prozedur, die viel Geschick erforderte. Doch schon nach dem dritten Versuch hatte Capo die erste Nuss geknackt und aß die Kerne auf.

Siebenundzwanzig Millionen Jahre nach Streuner und ihrer Verfahrensweise, Nüsse gegen Äste zu schleudern, war dies der Stand der Technik auf der Erde.

Capo knackte der Reihe nach die Nüsse. Er verlor sich förmlich in dieser diffizilen Tätigkeit und verdrängte die diffusen Ängste, die ihm zu schaffen machten, aus dem Bewusstsein. Es war inzwischen Vormittag, und für eine Weile verspürte er Zufriedenheit. Das Wissen, dass er genug Nahrung beschafft hatte, um den Hunger zumindest für ein paar Stunden zu unterdrücken, befriedigte ihn.

Elefant kam vom intensiven Aroma der Nüsse angelockt herbei, um zu sehen, was hier los war. Das Magenproblem des Jungen war durch Heulens Kräutermedizin offensichtlich behoben worden – oder vielleicht hatte er auch nur simuliert, um Zuwendung zu erhalten –, und er hatte Hunger bekommen. Er sah Reste von Nussschalen um den Amboss und sogar ein paar Splitter der Kerne. Das Junge schnappte sich diese Reste und stopfte sie sich in den Mund.

Capo ließ ihn großmütig gewähren.

Nun kam Blatt mit dem Kind auf dem Rücken vorbei.

Capo ließ den Hammer-Stein fallen und griff nach Blatt. Er kämmte ihr den Bauch, eine Zuwendung, die sie sich gern gefallen ließ. Blatt, ein großes, sanftes Wesen, war eins seiner Lieblings-Weibchen. Überhaupt wurde sie von allen Männchen der Sippe begehrt, die sich darum stritten, sie kämmen zu dürfen.

Doch Capo begnügte sich nicht damit, sie zu kämmen. Bald schon stach sein Penis aus dem Fell, und mehr Kämmen würde Blatt nicht bekommen. Blatt hob vorsichtig das Junge vom Rücken und setzte es auf den Boden. Dann hob sie das Hinterteil und ließ Capo in sich eindringen. Während er sie stieß, hob sie das Hinterteil noch höher, sodass der Kopf nach unten gerichtet war und das Gewicht auf dem Schädel ruhte. Die Menschenaffen nahmen bei der Paarung oft diese Stellung ein. Auch hier kam Empathie zum Tragen: Sie verschafften sich gegenseitig Lustgewinn beim Kämmen und beim Kopulieren.

Capo und Blatt standen sich nah. Obwohl sie sich auch mit anderen paarten, verschwanden Capo und Blatt manchmal tagelang im Wald – die beiden ganz allein –, und auf solchen ›Lustreisen‹, die die sexuelle Intimität späterer Arten vorwegnahmen, hatte Blatt die meisten Kinder von Capo empfangen, einschließlich Elefant.

Was Capo und Blatt in solchen Momenten füreinander empfanden, war mit menschlicher Liebe natürlich nicht zu vergleichen. Jeder der Menschenaffen blieb im Gefängnis der Sprachlosigkeit eingesperrt; ihre ›Sprache‹ war noch nicht viel differenzierter als ein Schmerzensschrei. Aber sie waren dennoch weniger einsam als die meisten Geschöpfe auf dem Planeten – weniger einsam als alle, die jemals gelebt hatten.

Inzwischen beschäftigte Elefant sich mit Capos Werkzeugsatz. Er schlug Nuss gegen Kieselstein, Kieselstein gegen Amboss.

Capos Menschenaffen mussten von klein auf viel über ihre Umwelt lernen. Sie mussten lernen, Wasser und Nahrung zu suchen, die Werkzeuge zu benutzen, um an die Nahrung zu gelangen, und die simple Kräutermedizin anzuwenden. Diese Lebensweise war ihnen durch die Konkurrenz zu den Affen aufgezwungen worden: Sie mussten sich Nahrungsquellen erschließen, die die Affen nicht abzustauben vermochten, und das erforderte Intelligenz.

Aber es gab hier keine Schulung. Nicht dass Elefant nachzuvollziehen versucht hätte, was Capo getan hatte. Indem er aber experimentierte, nach dem Prinzip ›Versuch und Irrtum‹ verfuhr und die Werkzeuge benutzte, die die Erwachsenen liegengelassen hatten, würde Elefant – vom verlockenden Duft der Palmnüsse angetrieben – schließlich lernen, wie man Nüsse knackte.

Unablässig schlug er auf die Schalen ein, als sei er der erste Menschenaffe, der diesen Trick anwandte.

Capo schaukelte sich zu einem langsamen, heftigen Orgasmus auf – dem ersten heute. Er löste sich von Blatt und rollte sich mit einem eigentlich unbegründeten Stolz auf sich selbst auf den Rücken. Dann ließ er sich von ihr kämmen und das Fell säubern.

Plötzlich wurde sein Seelenfrieden jedoch durch eine Kakophonie im Wald gestört: laute Schreie, Trommeln und das Schaben großer Leiber, die Bäume hinaufkletterten und sich von Ast zu Ast schwangen.

Capo setzte sich auf. In dieser Welt empfahl es sich nicht, zu viel Aufregung zuzulassen, die er nicht selbst verursachte. Er sprang über einen Baumstumpf, trommelte auf einen Ast, gab Elefant routinemäßig eine Kopfnuss und lief dem Ursprung des Lärms entgegen.