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Solche Kreaturen hatte sie noch nie gesehen. Mit dem kalten Kalkül eines Räubers stellte sie Berechnungen bezüglich Schnelligkeit, Stärke und Fleischausbeute der potentiellen Beute an und kategorisierte sie. Hier war einer, der verwundet schien und leicht hinkte; hier war ein Junges, das sich an die Brust der Mutter klammerte; hier war ein Halbwüchsiger, der sich leichtsinnigerweise von der Horde entfernte.

Dieses Chasmaporthetes war eigentlich eine Art Hyäne. Dennoch sah die langbeinige, schlanke Gestalt eher wie ein Leopard aus, auch wenn sie nicht ganz so geschmeidig und schnell war wie die richtigen Katzen; ihre Art musste sich an die Bedingungen des im Entstehen begriffenen Graslands anpassen. Doch in diesem öden Tal hatte sie ein großes Revier. Sie war der ›Räuberhauptmann‹ und gut ausgestattet für ihr schreckliches Werk.

Für sie waren die Menschenaffen eine neue Beute in der Savanne. Sie wartete. Die Augen glühten wie eingefangene Sterne.

Schließlich gab Capo erschöpft auf und ließ sich auf den Boden fallen. Einer nach dem andern schlossen die Mitglieder seiner Horde zu ihm auf. Als sie schließlich alle vereinigt waren, ging die Sonne bereits unter. Sie setzte den Himmel in Brand und warf lange, dunkle Schatten auf den Boden dieser geröllübersäten Schüssel.

Eine Art dumpfer Unentschiedenheit tobte in Capo. Sie durften nicht hier im freien Gelände bleiben; sein Körper sehnte sich danach, auf einen Baum zu klettern und aus den Ästen ein behagliches, warmes und sicheres Nest zu bauen. Jedoch gab es hier weder Bäume noch Sicherheit. Auf der anderen Seite konnten sie das Tal auch nicht im Dunklen durchqueren. Und sie hatten alle Hunger und Durst und waren erschöpft.

Er wusste nicht, was er tun sollte. Also tat er gar nichts.

Die Horde zerstreute sich. Jeder folgte seinen eigenen Instinkten. Finger hob einen runden faustgroßen Stein auf, vielleicht in der Hoffnung, ihn irgendwann als Nussknacker zu verwenden. Doch dann kroch ein Skorpion unter dem Stein hervor, und Finger floh mit einem Schrei.

Wedel saß allein mit dem Rücken zum Rest der Horde und war in irgendeine Beschäftigung versunken. Capo schlich sich so leise wie möglich auf dem Geröll an.

Wedel hatte einen Termitenhügel gefunden. Er saß davor und stocherte unbeholfen mit Stöcken darin herum. Bei Capos Anblick kauerte er sich kreischend zusammen. Capo versetzte ihm die obligatorischen festen Schläge auf Kopf und Schultern, mit denen Wedel ohnehin schon gerechnet hatte. Er hätte seinen Fund den anderen nämlich durch einen Ruf anzeigen sollen.

Capo riss einen Strauch auseinander. Die Zweige waren dürr und krumm, und als er einen Zweig entlaubte, indem er ihn durch den Mund zog, rissen die harten stachligen Blätter ihm fast die Lippen auf. Aber das musste genügen. Er setzte sich neben Wedel. Dann steckte er den Zweig in einen Riss im Termitenhügel und schraubte ihn tief hinein. Ideal war das nicht; der Stock war zu kurz und krumm, um ein optimales Ergebnis zu erzielen, aber etwas anderes hatte er nicht. Er drehte den Stock und wartete geduldig. Dann zog er ihn Zentimeter um Zentimeter heraus. Am Stock klebten Termiten-Soldaten, die ausgeschwärmt waren, um die Kolonie vor diesem Eindringling zu schützen. Capo achtete darauf, dass er diese Fracht nicht abstreifte. Dann zog er sich den Stecken durch den Mund und genoss einen Mundvoll süßes feuchtes Fleisch.

Als die anderen sahen, was dort vorging, scharten sie sich um Capo, und die Älteren fertigten auch Stöcke zum Stochern an. Alsbald etablierte sich eine Hackordnung, die durch Tritte, Schläge, Schreie und ›taktisches‹ Kämmen gefestigt wurde. Die ranghöheren Männchen und Weibchen versammelten sich gleichberechtigt um den Hügel, während die Jungen, die ohnehin nicht begriffen, was hier los war, ausgeschlossen wurden. Capo kümmerte das aber nicht. Er konzentrierte sich nur darauf, die Stellung am Hügel zu halten und labte sich an den Termiten.

Die Termiten waren uralte Geschöpfe, deren komplexe Gesellschaft das Ergebnis einer eigenen langen Entwicklungsgeschichte war. Dieser Hügel war schon alt und aus Lehm errichtet worden, der sich hier abgelagert hatte, als vereinzelte Wolkenbrüche das Tal zeitweise überflutet hatten. Der steinharte Panzer schützte die Termiten vor den Zudringlichkeiten der meisten Tiere – nicht aber vor diesen Menschenaffen.

Capos Werkzeugeinsatz – die Termiten-Angelruten, die Hammer-Steine, die Blätter, die er zu Schwämmen zerkaute, um Wasser aus Hohlräumen zu ziehen, und sogar die kleinen zahnstocherartigen Stöckchen, mit denen er manchmal Zahnpflege betrieb – schien auf einem hohen Niveau zu erfolgen. Er wusste, was er erreichen wollte, und er wusste auch, welche Art Werkzeug er brauchte, um es zu erreichen. Er merkte sich den Lagerort der Lieblingswerkzeuge wie die Hammer-Steine und entschied, welches Werkzeug für welchen Zweck am besten geeignet war – zum Beispiel musste er in Abhängigkeit von der Schlaghöhe das Gewicht des Hammers kalkulieren. Und er begnügte sich nicht damit, einen handlichen Stein zu benutzen, den er irgendwo gefunden hatte; er änderte die Werkzeuge auch, wie diese Termiten-Angelrute.

Dennoch war er nicht mit einem menschlichen Handwerker zu vergleichen. Die Änderungen, die er vornahm, waren gering: Die nach Gebrauch weggeworfenen Werkzeuge wären nur schwer von den Erzeugnissen der unbeseelten Welt zu unterscheiden gewesen. Die Handlungen, mit denen er die Werkzeuge fertigte, entstammten dem normalen Repertoire wie Beißen, Entlauben und Steine werfen. Niemand hatte wirklich neue Abläufe erfunden, wie das mit Lehm werfen eines Töpfers oder die Feinmotorik eines Holzschnitzers. Er benutzte ein Werkzeug – und nur eins – für einen ganz bestimmten Zweck. Es kam ihm nie in den Sinn, dass man eine Termiten-Angelrute auch als Zahnstocher verwenden könne. Wenn er einmal ein funktionierendes Design gefunden hatte, verbesserte er die Werkzeuge nicht mehr. Und selbst wenn er – durch einen unwahrscheinlichen Zufall – im Lauf seines Lebens ein neues Werkzeug entwickelt hätte, dann hätte dieses Werkzeug, und wäre es noch so gut gewesen, sich nur sehr langsam in seiner Gemeinschaft durchgesetzt. Es hätte vielleicht sogar Generationen gedauert. Die Lehre, also das Konzept, dass man den Bewusstseins-Inhalt von jemand anders durch Ausprobieren und Vorführung zu formen vermochte, musste erst noch entdeckt werden.

Deshalb war Capos Werkzeugsatz extrem beschränkt und sehr konservativ. Schon vor fünf Millionen Jahren hatten Capos Vorfahren, Geschöpfe einer anderen Art, Werkzeuge benutzt, die seinen kaum nachstanden. Er war sich nicht einmal der Tatsache bewusst, dass er überhaupt Werkzeug benutzte.

Und doch war Capo, der fleißig arbeitete, der wusste, was er wollte, der das geeignete Material auswählte, um sein Ziel zu erreichen und der die Welt um sich herum neu erschuf und formte, der bislang Klügste in der langen Ahnenreihe seit Purga. Es war, als ob ein Feuer in seinen Augen, im Bewusstsein und in den Händen schwelte – ein Feuer, das bald hell auflodern würde.

Als die Sonne hinterm Horizont verschwand und es dunkel wurde im Tal, drängten die Menschenaffen sich zusammen. Missmutig stießen, schubsten und schlugen sie sich und schrien sich gegenseitig an. Sie gehörten nicht hierher. Sie hatten keine Waffen, mit denen sie sich zu verteidigen und kein Feuer, mit dem sie die Tiere abzuschrecken vermochten. Sie hatten nicht einmal den Instinkt, sich ab Sonnenuntergang, wo die Stunde der Räuber schlug, ruhig zu verhalten. Alles, was sie hatten, war der gegenseitige Schutz und die große Anzahl – die Hoffnung, dass es einen anderen erwischte und nicht mich.

Capo vergewisserte sich, dass er im Mittelpunkt der Horde war, umgeben von den kräftigen Leibern der anderen Erwachsenen.

Das junge Männchen namens Elefant hatte keinen allzu großen Selbsterhaltungstrieb. Und seine Mutter, die irgendwo in der Menge steckte, war zu sehr mit ihrem jüngsten Kind, einem Weibchen beschäftigt. Elefant spielte im Moment eine Nebenrolle. Er hatte das Pech, im falschen Alter zu sein: Er war schon zu alt, um von den Erwachsenen beschützt zu werden und noch zu jung, um sich einen Platz in der sicheren Mitte zu erkämpfen.