Er wurde an den Rand der Horde gedrängt und versuchte sich dort einzurichten. Er fand einen Platz in der Nähe von Finger, einem Cousin. Im Gegensatz zu den weichen Nestern, an die er gewöhnt war, war der Boden hier hart und trocken; dennoch gelang es ihm, eine flache Mulde auszuheben. Er schmiegte sich mit dem Bauch an Fingers Rücken.
Er war noch so jung, dass er sich nicht einmal der Gefahr bewusst war, in der er schwebte. Er fiel in einen unruhigen Schlaf.
Später, es war schon dunkel, wurde er durch ein leises Zwicken an der Schulter geweckt. Es war fast sanft, als ob er gekämmt würde. Er regte sich etwas und kuschelte sich noch enger an Fingers Rücken. Doch dann spürte er einen heißen Atem auf der Wange, hörte ein schnurrendes Grollen wie ein Felsbrocken, der einen Abhang hinunterkullerte, und roch einen Atem, der nach Fleisch stank. Er war sofort hellwach. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er schrie auf und krümmte sich.
Die Schulter war aufgerissen und schmerzte. Er wurde rückwärts geschleift wie ein Ast, der von einem Baum abgerissen wurde. Er erhaschte einen letzten Blick auf die Horde. Alle waren aufgewacht, schrien panisch und fielen bei ihren Fluchtversuchen übereinander. Dann wirbelte der Sternenhimmel über ihm, und er wurde so hart auf den Boden geschleudert, dass ihm die Luft aus der Lunge gepresst wurde.
Eine schlanke Gestalt, deren Silhouette sich gegen den blau-schwarzen Himmel abzeichnete, beugte sich über ihn. Er spürte, wie eine muskulöse Brust sich fast liebevoll an ihn schmiegte. Da waren ein Fell mit einem Brandgeruch, ein nach Blut riechender Atem und zwei gelbe Augen, die über ihm leuchteten.
Dann wurde er gebissen – in die Beine und die Niere. Es waren scharfe, fast skalpellartige Stiche, und er wand sich unter dem feurigen Schmerz. Er wälzte sich kreischend herum und versuchte zu fliehen. Aber die Beine versagten den Dienst, denn die Sehnen waren durchtrennt. Nun spürte er wieder dieses Zwicken am Hals. Er wurde von dem Fellding aufgehoben und spürte, wie spitze Zähne sich ihm ins Fleisch gruben. Zuerst wehrte er sich und scharrte mit den Händen im Geröll, doch dadurch rissen die Wunden am Hals nur weiter auf, und der Schmerz wurde stärker.
Er gab auf. Er hing schlaff im Maul der Chasma und schlug mit dem Kopf und den verletzten Beinen auf den unebenen Boden. Die Gedanken verflüchtigten sich. Er hörte nicht mehr die lauten Schreie der Horde. Er war nun allein, allein mit dem Schmerz, dem metallischen Geruch seines eigenen Bluts und den stetigen Schritten der auf Samtpfoten einher schreitenden Chasma.
Vielleicht war er auch für eine Weile bewusstlos.
Er fiel auf den Boden. Er fiel nicht hart, aber alle Wunden schmerzten. Winselnd versuchte er sich hochzustemmen. Der Boden war mit Geröll übersät wie der Ort, von dem er gekommen war, war aber mit Fellbüscheln bedeckt und stank nach Chasmas.
Und nun sprangen in der Dunkelheit kleine schwarze Gestalten um ihn herum. Sie bewegten sich schnell, aber auch etwas tapsig. Er spürte Schnurrhaare über sein Fell streichen und spitze Zähnchen in den Fußknöcheln und Handgelenken. Das waren Chasma-Junge. Er stieß einen trotzigen Schrei aus und schlug blindlings um sich. Dabei erwischte er ein warmes kleines Bündel, das jaulend von den Füßen gerissen wurde.
Ein kurzes bellendes Brüllen ertönte: Das war die Chasma-Mutter. In plötzlicher Panik versuchte er davon zu kriechen.
Die Jungen kläfften aufgeregt, als sie die kurze Verfolgungsjagd beendet hatten. Und nun fraßen sie ihn ernstlich an und schlugen ihm die Zähne in den Rücken, das Gesäß und den Bauch. Er rollte sich auf den Rücken, zog die Beine an die Brust und schlug in die Luft. Aber die Jungen waren ebenso schnell wie zornig und hartnäckig; bald hatte einer ihm die Zähne in die Backe geschlagen und hängte sich mit seinem ganzen Gewicht an ihn, um ihm das Gesicht aufzureißen.
Mit einem neuerlichen Brüllen verscheuchte die Mutter die Jungen. Wieder versuchte Elefant zu fliehen. Wieder holten die Jungen ihn ein und brachten ihm ein Dutzend weitere kleine, aber schwächende Wunden bei.
Ohne die Jungen hätte das Chasma kurzen Prozess mit Elefant gemacht. Doch sie wollte ihnen die Gelegenheit geben, zu üben, eine Beute zu jagen und zu erlegen. Wenn sie älter wären, würden sie ihre Beute selbst zur Strecke bringen und zerfleischen; später würde die Mutter ihre Beute fast unverletzt wieder laufen lassen und die Jungen auf sie ansetzen. Das war eine Art praxisbezogenes Lernen, hatte aber genauso wenig mit menschlicher Ausbildung zu tun wie bei den Menschenaffen: Es war ein angeborenes Verhalten, das diese kluge Fleischfresser-Spezies entwickelt hatte, um die Jungen mit den Fertigkeiten auszustatten, die sie für die Jagd brauchten.
Während der ›Unterricht‹ weiterging, war Elefant noch bei Bewusstsein. Ein Funken Entsetzen und Sehnsucht, der in einer zerfetzten Hülle aus Blut, Fleisch und Gewebe eingebettet war. Das älteste Junge knabberte seine Zunge an, die ihm aus dem zerstörten Mund hing.
Aber die Jungen waren noch zu klein, um Elefant allein den Garaus zu machen.
Schließlich griff die Mutter ein. Das Letzte, was Elefant hörte, als ihr Maul sich um seinen Kopf schloss – er spürte spitze Zähne am Kopfumfang wie eine Dornenkrone –, war dieses entfernte schnurrende Grollen.
Am nächsten Morgen wussten alle, dass es Elefant erwischt hatte.
Capo schaute fasziniert auf den mit Haaren übersäten Geröllabschnitt, wo Elefant kurz Widerstand geleistet hatte, auf die Linie aus blutigen Pfotenabdrücken, die schon eingetrocknet und braun verfärbt waren und in der Ferne verschwanden. Er verspürte ein vages Bedauern beim Verlust von Elefant. Es verwirrte ihn, dass er diesen unbeholfenen Jungen nie mehr wieder sehen würde, der sich beim Kämmen und Knacken von Palmnüssen so ungeschickt angestellt hatte.
Doch der Tag war noch nicht vorbei, als nur Elefants Mutter sich noch an ihn erinnerte. Und wenn sie irgendwann starb, würde niemand mehr wissen, dass er jemals gelebt hatte. Er würde im großen Dunkel verschwinden, das all seine Vorfahren verschlungen hatte.
Elefant hatte den Preis für das Überleben der Horde gezahlt. Capo verspürte eine kalte Erleichterung. Ohne zu zögern bewegte Capo sich den Anhang hinunter und betrat die Salzebene. Er verzichtete sogar auf die Aufforderung an die Horde, ihm zu folgen.
III
Am nächsten Tag mussten sie das Salz durchqueren. Unter einem ausgewaschenen, blauweißen Himmel erstreckte die Pfanne sich fast bis zum Horizont, wo Capo Hügel, Wald und Feuchtgebiete ausmachte. Es war, als ob diese graue Schicht ein Makel wäre, mit dem die Welt behaftet war.
Die Salzschicht, die harten grauen Lehm bedeckte, war dünn. Aber sie hatte eine Textur und war hier und da mit weiten konzentrischen Kreisen markiert, die um zentrale Knoten zentriert waren. An einer Stelle war das Salz von einer unterirdischen Quelle zu großen Blöcken aufgeworfen worden, über die die Menschenaffen hinwegklettern mussten.
Aber es wuchs nichts im Salz. Es gab nicht einmal irgendwelche Spuren. Und es regte sich nichts außer den Menschenaffen: weder Kaninchen noch Nagetiere, nicht einmal Insekten. Der Wind strich stöhnend über diese tote Landschaft, ohne dass sich ihm Bäume, Büsche oder Gräser entgegengestellt hätten, die er zum Rauschen anzuregen vermocht hätte.
Dennoch musste Capo weitergehen, denn er hatte keine andere Wahl.
Es dauerte Stunden, die Salzpfanne zu durchqueren. Doch schließlich merkte Capo, dem schon die Füße und Hände wehtaten, dass er eine Steigung erklomm. Auf dem Kamm des Höhenzugs war ein Waldgürtel – auch wenn der Wald dicht war und nicht sehr einladend wirkte.