Dann machte Braue den Frauen seine Aufwartung und überreichte ihnen Fleischstücke wie ein huldvoller König. Vor Ruhig blieb er mit seiner stolzen Erektion stehen und schnitt ein großes zartes Stück aus der Keule. Mit einem Seufzer nahm sie es an. Sie aß etwas davon und legte den Rest dann neben ihrem Kind ab, das in einem Nest aus trockenem Gras schlief. Dann legte sie sich auf den Rücken, öffnete die Schenkel und streckte die Arme aus, um Braue zu empfangen.
Braue war nicht primär aus dem Grund jagen gegangen, um seine Leute mit Nahrung zu versorgen. Großwild bildete nur die Spitze der Nahrungspyramide der Gruppe; der größte Teil war pflanzliche Nahrung, Nüsse, Insekten und kleine Tiere, die von den Frauen, älteren Kindern und Männern gleichermaßen erbeutet wurden. Großwild eignete sich als Nahrungsreserve für schlechte Zeiten – zum Beispiel Dürre, Überschwemmungen oder harte Winter. Jedoch zog der Jäger einen mehrfachen Nutzen aus der Jagd. Mit dem Fleisch der Antilope vermochte Braue seine Machtposition unter den Männern zu stärken und sich zugleich Zugang zu den Frauen zu verschaffen, was der eigentliche Zweck seines endlosen Kampfs um die Macht war.
Mit der größeren Intelligenz, dem großen unbehaarten Körper und der rudimentären Sprache waren sie die menschlichsten Geschöpfe, die bis dato existiert hatten. Dennoch wäre ihre Lebensweise Capo in vielerlei Hinsicht vertraut gewesen. Braues Vorfahren waren schon in dieses gesellschaftliche Muster gefallen – Männchen, die um die Vorherrschaft kämpften, Weibchen, die durch Blutsbande miteinander verbunden waren, und Jagen, um sich Vorteile zu verschaffen –, lange bevor Capo den schicksalhaften Entschluss getroffen hatte, sein Wäldchen zu verlassen. Es gab auch andere Lebensweisen für Primaten, und es wären auch andere Gesellschaften denkbar gewesen. Doch nachdem das Muster sich erst einmal etabliert hatte, war es kaum noch möglich, es aufzubrechen.
Zumal das System gut funktionierte. Die Nahrung wurde verteilt, und der Frieden wurde gewahrt. Auf die eine oder andere Art wurden die Leute mit Nahrung versorgt.
Als Braue ejakuliert hatte, wischte Ruhig die Schenkel mit Blättern ab und widmete sich wieder dem Fleisch. Sie benutzte eine weggeworfene Steinklinge, um es zu schneiden und gab einen Teil davon ihrer Mutter, die schon zu alt war, als dass Braue sich noch für sie interessiert hätte. Den Rest gab sie Weit, die gierig darüber herfiel.
Und später, als die Dämmerung einsetzte, machte Braue sich an Weit heran. Sie sah ihn als eine große, fleischige Silhouette gegen den roten Sonnenuntergang. Er hatte seine Portion des Eland-Fleischs schon fast verspeist, aber sie roch noch das Tierblut an ihm. Er hatte einen Beinknochen dabei. Er ging vor ihr in die Hocke und beschnüffelte sie neugierig. Dann schlug er den Knochen auf den Stein, sodass er zerbrach. Sie roch das leckere Mark, und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Ohne zu überlegen griff sie nach dem Knochen.
Er zog ihn zurück und lockte sie zu sich.
Je näher sie kam, desto deutlicher roch sie ihn: das Blut, den Schmutz, den Schweiß und einen schwachen Geruch von Sperma. Dann erbarmte er sich und gab ihr den Knochen, den sie gierig ausschleckte. Währenddessen legte er ihr die Hand auf die Schulter und streichelte ihr über den Körper. Sie versuchte nicht zurückzuzucken, als er ihre kleinen Brüste berührte und an den Brustwarzen zog. Doch als er ihr mit den tastenden Fingern zwischen die Beine griff, stieß sie einen leisen Schrei aus. Er zog die Hand zurück und roch ihren Geruch. Dann gelangte er offensichtlich zu dem Schluss, dass sie ihm nichts zu bieten hatte und zog grunzend weiter.
Aber das Mark hatte er ihr dagelassen. Gierig schlang sie es hinunter und verspeiste den größten Teil, ehe der Knochen ihr von einer alten Frau entrissen wurde.
Das Licht verschwand schnell vom Himmel. In der Savanne erwachten die Räuber zum Leben und markierten ihr blutiges Reich mit Gebrüll.
Die Leute versammelten sich auf der Felseninsel. Hier an diesem unwirtlichen Ort sollten sie eigentlich sicher sein: Ein lüsterner Räuber würde sich aus der Deckung wagen und hier heraufklettern müssen, wo er intelligenten, großen und bewaffneten Hominiden gegenüberstand. Doch eine Garantie gab es nicht. Hier in der Gegend gab es einen Säbelzahntiger namens dinofelis, der wie ein übergroßer Jaguar aus dem Hinterhalt jagte und sich aufs Töten von Hominiden spezialisiert hatte. Dinofelis vermochte sogar auf Bäume zu klettern.
Mit Anbruch der Dunkelheit gingen die Leute ihren Verrichtungen nach. Ein paar nahmen Nahrung auf. Andere betrieben Körperpflege, reinigten schmutzige Fußnägel und drückten Blasen aus. Manche fertigten Werkzeuge. Viele dieser Aktivitäten waren monoton und ritualistisch. Im Grunde war niemand sich bewusst, was er tat.
Ein paar Leute kämmten sich: Mütter mit Kleinkindern, Geschwister, Paarungsgefährten, Frauen und Männer festigten ihre subtilen Bande. Weit war mit dem dichten Haupthaar ihrer Mutter zugange und frisierte es zu einer Art Zopf. Auch jetzt bedurfte das Haar noch intensiver Pflege. Sonst verfilzte es und zog Läuse an, die dann auch noch entfernt werden mussten.
Diese Leute waren die einzige Säugetier-Spezies, deren Haarkleid nicht wartungsfrei war – im Gegensatz zur prächtigen Mähne, die manche Affen zierte. Weit musste sich sogar regelmäßig die Haare schneiden lassen. Jedoch war den Leuten nur deshalb Haar gewachsen, weil sie etwas zum Kämmen brauchten. Hier draußen in der Savanne zahlte es sich aus, Mitglied einer großen Gruppe zu sein, und die Gruppe brauchte soziale Mechanismen, um den Zusammenhalt zu gewährleisten. Allerdings hatte man heute keine Zeit mehr für die ausgiebige Ganzkörper-Fellpflege der alten Affen, der Capo und seine Vorfahren gefrönt hatten. Wie sollte man auch eine Haut kämmen, die so kahl geworden war, dass sie schwitzen konnte. Dennoch hielten sie mit dieser primitiven Frisiertechnik eine alte Tradition aufrecht.
Die Art und Weise, wie die Leute bei den Verrichtungen sich verständigten, war nicht mit einer menschlichen Gruppe zu vergleichen. In der zunehmenden Dunkelheit drängten sie sich schutzsuchend zusammen, aber es fehlte ein richtiges Gemeinschaftsgefühl. Es gab kein Feuer, keine Kochstelle, keinen organisatorischen Mittelpunkt. Sie wirkten menschlich, aber ihr Bewusstsein glich nicht dem der Menschen.
Wie schon in Capos Zeit praktizierten sie ein striktes ›Schubladendenken‹. Der eigentliche Zweck von Bewusstsein bestand nach wie vor darin, den Leuten bei der Ermittlung dessen zu helfen, was im Bewusstsein der anderen vorging: Sie hatten nur ein Selbst-Bewusstsein im menschlichen Sinn, wenn sie miteinander umgingen. Die Grenzen des Bewusstseins waren viel enger als bei den Menschen; es gab vieles, was im Dunklen lag und das sie taten, ohne darüber nachzudenken. Selbst bei der Werkzeugfertigung und der Nahrungszubereitung arbeiteten die Hände selbständig; das Bewusstsein führte nicht mehr Regie als bei Löwen oder Wölfen. Ihr Bewusstsein war gleitend und fließend. Sie fertigten Werkzeug so unbewusst, wie Menschen gingen und atmeten.
Dennoch pflegte die Gruppe – ob Mensch oder nicht – eine Kommunikation. Diese Verständigung erfolgte zwischen Müttern und Kindern, den sich gegenseitig Kämmenden und den Paaren. Es wurden jedoch nicht viele Informationen ausgetauscht; die ›Gespräche‹ waren kaum mehr als lustvolle Seufzer, wie das Schnurren von Katzen.
Aber ihre Worte klangen wie Worte.
Die Leute hatten lernen müssen, mit einer Ausstattung zu kommunizieren, die für andere Aufgaben gedacht war – ein Mund, der essen sollte, Ohren, die nach Gefahren lauschen sollten – und die nun behelfsmäßig eine andere Funktion übernehmen musste. Der aufrechte Gang hatte ihnen dabei geholfen: Die Verlagerung des Kehlkopfs und eine Veränderung der Atemtechnik hatten die Qualität der Laute verbessert, die sie zu erzeugen vermochten. Um von Nutzen zu sein, mussten Laute aber schnell zu identifizieren und eindeutig sein. Und die Hominiden vermochten das nur in dem Maß zu leisten, wie die Anlagen es ihnen ermöglichten. Während die Leute sich gegenseitig zuhörten, nützliche Laute imitierten und in anderen Situationen verwendeten, hatten Phoneme – die kleinste unterscheidbare lautliche Einheit, in die Sprache zerlegt werden kann – sich in Abhängigkeit von kommunikativen Erfordernissen und anatomischen Beschränkungen herausgebildet.