Выбрать главу

Aber es gab noch nichts wie eine Grammatik – also keine Sätze – und gewiss keine Narrativen, keine Geschichten. Und der eigentliche Zweck der Kommunikation bestand auch noch nicht darin, Informationen weiterzugeben. Niemand sprach über Werkzeuge, Jagd oder Nahrungszubereitung. Sprache war soziaclass="underline" Sie wurde für Befehle und Forderungen verwendet, für den Ausdruck von Freude und Schmerz. Und sie trat an die Stelle des Kämmens: Mit Sprache, selbst wenn sie weitgehend inhaltsleer war, vermochte man viel schneller Beziehungen herzustellen und zu verstärken, als wenn man Läuse aus dem Schamhaar zupfte. Und man vermochte sogar mehrere Leute gleichzeitig zu ›kämmen‹.

Dabei war die Entwicklung der Sprache hauptsächlich durch den Mutter-Kind-Kontakt vorangetrieben worden. Zu dieser Zeit sprachen die Vorfahren der menschlichen Geistesgrößen nur ›Mütterisch‹.

Und die Kinder sprachen gar nicht.

Das Bewusstsein der Erwachsenen entsprach hinsichtlich der Komplexität etwa dem eines heutigen fünf Jahre alten Kindes. Die Kinder jener Zeit erlangten erst als Erwachsene die Sprachfähigkeit – vorher reichte es nur zu einem schimpansenartigen Schnattern. Es war auch erst ein, zwei Jahre her, seit die Worte der Erwachsenen einen Sinn für Weit ergaben, und Bengel vermochte mit sieben noch gar nicht zu sprechen. Die Kinder waren wie Menschenaffen, geboren von menschlichen Eltern.

Als das Licht erlosch, legte die Gruppe sich schlafen.

Weit schmiegte sich an die Beine ihrer Mutter. Der zu Ende gehende Tag wurde zu einem Glied in einer langen Kette von Tagen, die bis zum Anfang ihres Lebens zurückreichte – Tage, an die sie sich nur verschwommen erinnerte und zu denen sie kaum einen Bezug herzustellen vermochte. In der Dunkelheit stellte sie sich vor, wie sie in die gleißende Helligkeit des Tags hineinrannte, rannte und rannte.

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, dass sie zum letzten Mal neben ihrer Mutter einschlief.

II

Vor einer Million Jahren hatte die tektonische Drift langsam, aber unaufhaltsam zu einer Kollision zwischen Nordund Südamerika geführt, bei der der Isthmus von Panama entstanden war.

An und für sich schien das ein nichtiges Ereignis zu sein, und Panama ein vernachlässigbares Landstück. Doch wie damals schon Chicxulub war diese Region wieder einmal zum Epizentrum einer weltweiten Katastrophe geworden.

Durch Panama nämlich wurde der alte äquatoriale Fluss, der zwischen den beiden amerikanischen Teilkontinenten hindurchströmte – die letzte Spur der paradiesischen Tethys-Strömung –, blockiert. Nun waren die mächtigen interpolaren Flüsse die einzigen atlantischen Strömungen, die wie große Fließbänder kaltes Wasser transportierten. Die weltweite Abkühlung verstärkte sich dramatisch. Die verstreuten Eisberge, die im Nordmeer schwammen, vereinigten sich, und Gletscher breiteten sich wie Klauen über die nördlichen Landmassen aus.

Die Eiszeit hatte begonnen. In ihrer größten Ausdehnung würden die Gletscher über ein Viertel der Erdoberfläche bedecken; das Eis würde sich bis hinunter nach Missouri und Südengland erstrecken. Die Zerstörung war gewaltig. Beim Durchgang der Gletscher wurde das Land bis aufs Urgestein abgehobelt. Zurück blieben Berge mit kahlen Flanken, polierten Oberflächen und gefräste, mit Geröll übersäte Täler. Seit zweihundert Millionen Jahren hatte es auf der Erde keine nennenswerte Vergletscherung gegeben; und nun wurde ein Vermächtnis aus Gestein und Knochen, das tief ins Zeitalter der Dinosaurier zurückreichte, völlig zerstört.

Auf dem Eis selbst vermochte nichts zu leben – rein gar nichts. Am Rand des Eises breiteten sich öde Tundra-Gürtel aus. Selbst an weit vom Eis entfernten Orten wie in den Äquatorialregionen Afrikas verschärften Änderungen der Windmuster die Trockenheit, und die Vegetation zog sich an die Küsten und Flussufer zurück.

Die Abkühlung verlief jedoch nicht einheitlich. Der Planet neigte sich und schwankte in seinem endlosen Tanz um die Sonne, änderte unmerklich den Neigungswinkel, die Inklination und die ›Feinabstimmung‹ der Umlaufbahn. Und mit jedem Zyklus kam und ging auch das Eis, sodass der Meeresspiegel schwankte wie der Kammerinhalt des pumpenden Herzens. Selbst das Land, das von kilometerdickem Eis zusammengepresst oder durch sein Abschmelzen freigegeben wurde, hob und senkte sich wie eine steinige Flut.

Manchmal war der Klimawechsel geradezu brutal. Binnen eines einzigen Jahrs konnte der Schneefall in einem Gebiet sich verdoppeln und die Durchschnittstemperatur um zehn Grad fallen. Lebewesen, die mit so krassen Schwankungen konfrontiert wurden, zogen weg oder starben.

Sogar die Wälder marschierten. Die Fichte erwies sich als ein schneller Wanderer und vermochte alle zwei Jahre einen Kilometer zurückzulegen. Die Kiefer war ihr dicht auf den Fersen. Die großen Walnussbäume, massive Stämme mit schweren Samen, schafften immerhin hundert Meter pro Jahr. Vor den Eiszeiten waren die Tiere der mittleren Breiten der nördlichen Hemisphäre eine bunte Mischung aus äsenden Herdentieren wie Damwild und Pferden gewesen, mit großen Pflanzenfressern wie Nashörnern und schnellen Fleischfressern wie Löwen und Wölfen. Nun wanderten die Tiere auf der Suche nach Wärme gen Süden. Populationen von Tieren aus verschiedenen Klimazonen wurden vermischt und waren gezwungen, sich in schnell verändernden ökologischen Arenen zu behaupten.

Manche Lebewesen passten sich jedoch an die Kälte an und nutzten das Nahrungsangebot, das am Rand der Eisschilde noch existierte. Viele Tiere wie Nashörner und kleinere Tiere wie Füchse, Hunde und Katzen bildeten ein dichtes Fell und eine Fettschicht aus. Andere machten sich die starken Temperaturschwankungen zwischen den Jahreszeiten zunutze. Sie wanderten – im Frühling nach Norden und im Herbst nach Süden. Die Ebenen wurden zu einem Tummelplatz des Lebens, wo große mobile Gemeinschaften von geduldigen Jägern belauert wurden.

Die Vereinigung der beiden amerikanischen Kontinente war eine Katastrophe. Nord- und Südamerika waren getrennt gewesen, seit Pangäa vor etwa hundertfünfzig Millionen Jahren auseinander gebrochen war. Die Fauna Südamerikas hatte sich in der Isolation entwickelt und wurde von Beutel-Säugetieren und Huftieren dominiert. Es gab Beutel-›Wölfe‹ und Säbelzahn-›Katzen‹, behufte ›Kamele‹, Rüssel-›Elefanten‹ und riesige Boden-Faultiere, die bis zu drei Tonnen wogen und sechs Meter groß waren, wenn sie sich auf die Hinterbeine stellten und an Palmblättern knabberten. Es gab noch immer Glyptodonten, der riesigen gepanzerten Bestie gar nicht so unähnlich, die Streuner erschreckt hatte, und die Räuber waren große flügellose Vögel wie in den ›alten Zeiten‹. Dieses exotische Ensemble hatte sich isoliert entwickelt, obwohl es hin und wieder mit Fremden angereichert worden war, die auf Flößen oder Landbrücken herkamen – wie Streuner und ihre glücklosen Gefährten, deren Kinder die südamerikanischen Dschungel mit Affen bevölkert hatten.

Als jedoch die Landbrücke von Panama entstand, waren in großer Zahl Insektenfresser, Kaninchen, Eichhörnchen, Mäuse und später Hunde, Bären, Wiesel und Katzen von Norden nach Süden gewandert. Die Ureinwohner Südamerikas waren der Konkurrenz mit diesen Neuankömmlingen nicht gewachsen. Das Sterben zog sich über Jahrmillionen hin, aber das Schicksal der Beuteltiere war besiegelt.

Trotz aller Härten und des Sterbens eröffnete diese Zeit schneller und brutaler Veränderungen paradoxerweise aber auch eine Zeit neuer Möglichkeiten. In den insgesamt vier Milliarden Jahren der Erdgeschichte hatte es nur ein paar Abschnitte gegeben, die für Diversifizierung und evolutionäre Innovation günstigere Voraussetzungen geboten hätten. Parallel zum Artensterben schossen neue Arten wie Pilze aus dem Boden.