Schließlich schien er zufrieden. Ohne den Basaltbrocken aus den Augen zu lassen, legte er ihn auf den Boden und fixierte ihn zwischen Daumen und Mittelfinger. Dann ließ er den Hammer-Stein hinabsausen. Splitter stoben vom Amboss-Stein weg; viele waren so klein, dass man sie kaum sah. Der Pithecine wühlte im Dreck und verlieh seiner Enttäuschung mit einem Grummeln Ausdruck. Dann widmete er sich wieder dem Stein und drehte ihn wieder in den Händen. Als er das nächste Mal zuschlug, splitterte eine schöne dünne, schwarze Scheibe von der Größe seiner Hand ab. Der Pithecine wog die Scheibe in der Hand, drehte sie zwischen Daumen und Zeigefinger und begutachtete die Kante.
Dieses Steinmesser war nur ein abgeschlagener Stein-Splitter. Aber seine Herstellung, die ein Verständnis des zu bearbeitenden Materials und des Gebrauchs von Werkzeug zur Herstellung eines anderen Werkzeugs voraussetzte, war eine kognitive Leistung, die Capos Möglichkeiten weit überstiegen hatte.
Der Pithecine beäugte Weit. Er wusste, dass Weit ein intelligentes Wesen war, aber deshalb würde er sie dennoch schlachten.
Er holte aus. Die Steinklinge schnitt tief in Weits Schulter.
Der plötzliche Schmerz und der warme Strom des eigenen Bluts rissen Weit aus dem Schockzustand. Sie kreischte. Der Pithecine antwortete mit einem Brüllen und hob wieder die Klinge. Doch wie sie den Skorpion zerquetscht hatte, hieb Weit ihm nun mit der Handkante ins Gesicht. Zu ihrer Befriedigung hörte sie das Knirschen von Knochen, und die Hand war mit Blut und Rotz verschmiert. Er taumelte stark blutend zurück.
Die Pithecinen wichen erschrocken zurück. Sie stießen Alarmrufe aus und schlugen mit den großen Händen auf den Boden, als ob sie die Kraft und Gefahr dieses großen wilden Tiers neu abschätzen wollten, das sie in ihren Wald gebracht hatten.
Und dann fletschte einer von ihnen die Zähne und kam auf sie zu.
Sie stand mühsam auf und rannte tiefer in den finsteren Wald hinein.
Sie stieß gegen Bäume, verfing sich mit den Beinen in Lianen und Wurzeln und brach durch regelrechte Astverhaue. Ihre langen Beine und die kraftvolle Lunge, ausgelegt für einen stundenlangen Lauf über flaches, offenes Gelände, waren in diesem dichten Wald so gut wie nutzlos, in dem sie bei jedem Schritt über irgendetwas stolperte.
Und die Pithecinen verfolgten sie wie Schemen; sie schnatterten, schrien, erklommen Bäume und liefen auf den Ästen entlang und sprangen von Baum zu Baum. Im Gegensatz zu Weit waren sie hier in ihrem Element. Als Weits Art auf die Savanne hinausgetreten war, hatte sie dem Wald den Rücken gekehrt. Und der hatte sich, als ob er sich für diese Schmach rächen wollte, aus einem Hort der Zuflucht in einen Ort der Gefahren und Beklemmung verwandelt – bevölkert von diesen Pithecinen, die, wie die Waldgeister, denen sie ähnelten, zukünftigen Generationen Albträume bescheren würden.
Bald hatten die Pithecinen sie auf beiden Seiten überholt und umzingelten sie.
Plötzlich stolperte sie auf eine von Dämmerlicht erhellte Lichtung – und ein neues Ungeheuer ragte bellend vor ihr auf. Sie quiekte und warf sich flach auf den Boden.
Für einen Moment stand das Ungeheuer über Weit. Hinter ihm saßen kompakte Gestalten mit breiten Gesichtern, die sie ihr zugewandt hatten und mit denen sie sie teilnahmslos anschauten. Mächtige Kiefer mahlten.
Das Ungeheuer war auch ein Hominide: ein Pithecine mit einem robusten Körperbau. Dieses große Männchen mit einem ballonartig aufgeblähten Bauch war größer und viel stärker als die grazilen Gestalten, die sie verfolgten. Auch wenn er auf zwei Beinen stand, glich seine Statur mit dem schräg abfallenden Rücken, den langen Armen und krummen Beinen eher der eines Menschenaffen. Der Kopf hatte eine geradezu extravagante Form mit hohen Wangenknochen, einem großen Mund mit verschlissenen Zahnstummeln und einem Knochenkamm, der sich über die ganze Länge des Schädels zog.
Weit war erschöpft und die blutende Schulter schmerzte. Sie rollte sich in Erwartung der auf sie hernieder sausenden riesigen Fäuste auf dem Boden zusammen. Aber der Schlag kam nicht.
Die stämmigen Kreaturen, die hinter dem großen Männchen auf dem Boden saßen, rückten etwas enger zusammen. Es waren Weibchen mit schweren Brüsten über dicken Bäuchen, und während sie Weit anstarrten, zogen sie ihre pummeligen Kinder an sich. Aber Weit sah, dass sie sitzen blieben und Nahrung zu sich nahmen. Ein Weibchen nahm eine harte Nuss – so hart, dass Weit sie nur mit einem Stein zu knacken vermocht hätte –, klemmte sie zwischen die Zähne, drückte mit der Hand von unten gegen den Kiefer und knackte sie. Dann verspeiste sie die Nuss mitsamt der Schale.
Und nun kamen die dürren Pithecinen auf die Lichtung gestürmt. Beim Anblick von Dickbauch blieben sie abrupt stehen und fielen übereinander wie Clowns. Dann warfen sie sich in Pose, stolzierten mit gesträubtem Fell auf und ab, schlugen auf den Boden und schleuderten Zweige und Brocken getrockneten Kots gegen den neuen Gegner.
Dickbauch reagierte mit einem Grollen. Dieser Gorilla-Mensch war eigentlich ein Pflanzenfresser, der wegen der schlechten Qualität seiner Nahrung die meiste Zeit des Tages stillsitzen musste, während der große Magen sich mit der Verdauung der Nahrung abmühte. Trotzdem hatte dieser große Primitivling mit den Zahnstümpfen, dem muskulösen Körper und dem kauernden Harem eine mehr einschüchternde Wirkung als die mickrigen Pithecinen. Er ließ sich mit einem lauten Schlag auf alle viere fallen, bei dem der Boden zu erbeben schien und der mächtige Bauch wackelte. Dann ging er seinerseits mit gesträubtem Fell vor seinem kleinen Revier auf und ab und brüllte die unverschämten Zwerge an.
Die Pithecinen wichen frustriert schreiend zurück.
Weit raffte sich auf und lief noch tiefer in den nicht enden wollenden Wald hinein. Diesmal wurde sie aber nicht verfolgt.
Sie sah die Sonne nicht, jedenfalls nicht direkt; sie sah nur ein grünes gesprenkeltes Licht, das ihr den Weg wies. Sie wusste nicht, wie lang sie schon durch den Wald lief und wie weit sie gekommen war. Der tiefe Schnitt in der Schulter war mittlerweile verkrustet, aber sie verlor noch immer Blut. Der Kopf schmerzte noch vom Schlag, den der Pithecine ihr mit dem Stein versetzt hatte, und Brust und Rücken waren eine einzige Quetschung. Und nun drohten auch der Schock und die Verwirrung wegen des Verlusts ihrer Mutter und der kleinen Gruppe von Menschen, die für sie die Welt bedeutet hatten, sie zu überwältigen.
Sie vermochte sich kaum noch auf den Beinen zu halten.
Schließlich stolperte sie über eine Wurzel und fiel am Fuß eines Baumfarns in weichen, mit Blättern übersäten Lehm.
Sie versuchte sich aufzustützen, aber sie hatte keine Kraft mehr in den Armen. Sie richtete sich auf Händen und Knien auf, aber die Farben der Welt verblassten, und das dunkle, alles verschluckende Grün wurde grau. Dann schien der Boden sich aufzurichten und schlug ihr hart ins Gesicht.
Die Erde war kühl unter der Wange. Sie schloss die Augen. Die Schmerzen der Prellungen und der Schnittwunde schienen nachzulassen und rumorten in der Ferne wie der Donner des Gewitters. Ihr Kopf wurde von Lärm erfüllt – monoton und laut und doch irgendwie tröstlich. Sie versank im Lärm.
Nach Capo war die große Abspaltung von den Schimpansen erfolgt. Die neuen Menschenaffen, die nun folgten, waren Hominiden – das heißt, den Menschen näher als Schimpansen und Gorillas.
Im großen Drama der Evolution der Hominiden war das Erlernen des aufrechten Gangs die leichtere Übung gewesen. Jahrmillionen des affenartigen Baumkletterns hatten hierzu die Grundlagen gelegt. Während Capos Nachkommen sich ans neue Leben an der Nahtstelle zwischen Wald und Savanne anpassten, musste der Körper für die Verfeinerung des aufrechten Gangs weniger umorganisiert werden als für eine Rückkehr zum vierbeinigen Gang.
Die Füße, die sich nun nicht mehr in bizarren Winkeln an Ästen festhalten mussten, wurden zu kompakten Stampfern vereinfacht, die viel von ihrer Beweglichkeit einbüßten, und der große Zeh verlor die Funktion als Daumen. Dafür dienten die neuen gewölbten Füße als Stoßdämpfer, mit denen man große Distanzen ohne Verletzungen zurückzulegen vermochte. Die Kniegelenke und Schenkelknochen wurden umkonstruiert, um die neue senkrechte Last aufzunehmen. Das Rückgrat der Zweibeiner wurde länger und S-förmig, um die Schwerpunkte über den Füßen und auf der Mittellinie des vertikalen Körpers zu positionieren. Neue Hüftgelenke bildeten sich heraus, deren spezielle Konstruktion es den Hominiden ermöglichte, ein Bein vom Boden zu nehmen, ohne wie ein Schimpanse das Gleichgewicht zu verlieren. Somit wurde ein schwankender Gang vermieden. Die Hände mussten keine kombinierte Greif- und Stützfunktion mehr erfüllen und wurden flexibler: Die Knöchel wurden kleiner, und der Daumen wurde ein selbständiges Greifwerkzeug für komplexe und feinmotorische Aufgaben. Und die Hominiden wurden auch schwächer, weil sie sich nicht mehr ständig von Baum zu Baum schwingen mussten.