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Das war jedoch keine Eroberung. Weits Art hatte sich zwar weiter ausgebreitet als alle anderen Primaten-Spezies – andere Tiere, wie die Elefanten, schwärmten jedoch viel weiter aus. Und sie waren auch nur wenige. Ihre Dichte auf einer gegebenen Fläche war geringer als zum Beispiel die der Löwen. Trotz der Werkzeuge waren die Leute noch immer nur Tiere in einer Landschaft, die sie nicht nennenswert prägten.

Zumal die Wanderung ziellos war. Einer von Weits Ahnen war sogar bis nach Vietnam gekommen; und nun, in Weits Zeit, war ihre Abstammungslinie – durch Zufall und endlose Wanderungen – wieder in Ostafrika, in der alten Heimat angelangt.

Jedoch stießen die Rückkehrer in der alten Heimat auf neue Probleme.

Manche Hominidenpopulationen hatten es trotz der Klima-Kapriolen vorgezogen, nicht auf Wanderschaft zu gehen. Um zu überleben, hatten sie ihre Intelligenz steigern müssen. Bessere Werkzeuge – hauptsächlich die Steinäxte – waren der Schlüssel zum Überleben gewesen. Das Geheimnis der Axt bestand in der Tropfenform. Diese Form ergab eine lange Schneidkante bei gleichzeitig minimalem Gewicht. Obwohl sie im Bedarfsfall noch die einfachen pithecinenartigen Splitter-Werkzeuge verwendeten – die leicht zu fertigenden Splitter waren ›billig‹ und für manche Aufgaben, zum Beispiel für die Jagd auf Kleintiere sogar besser geeignet –, benutzte man die Steinäxte nicht nur zum Zerteilen von Fleisch, sondern auch dafür, um Zweige und Äste von den Bäumen abzuhacken, Holzspeere anzuspitzen, Bienenstöcke zu öffnen, in Baumstämmen nach Larven zu stochern, Rinde abzuschälen, Mark zu zerkleinern, Schildkrötenpanzer zu knacken… Es war eine Gruppe der zu Hause Gebliebenen, von der Axt abstammte.

Weshalb Weit, ein Nachkomme von Wanderern, die das südliche Eurasien bis zum Fernen Osten durchquert hatten, nun mit dieser geradezu futuristisch anmutenden Technik von Axt und seinen Leuten konfrontiert wurde.

Axt arbeitete geduldig. Weit ließ den Blick schweifen und sah, dass das ausgetrocknete Flussbett mit Steinäxten übersät war: Viele Steine, die sie für bloße Kieselsteine gehalten hatte, waren bearbeitet worden. Sie alle hatten die typische Tropfenform und wiesen in unterschiedlicher Ausprägung die scharfe Kante am Umfang des Werkzeugs auf.

Aber diese Äxte muteten seltsam an. Ein paar waren winzig – nur schmetterlingsgroß –, und andere waren groß. Manche waren gesplittert, andere blutverschmiert. Als sie eine der größeren Äxte aufhob, schnitt sie sich in den Finger; sie war kaum benutzt worden, falls überhaupt.

Jemand kam auf sie zu. Sie kauerte sich zusammen.

Es war Narben-Gesicht, der Mann, der die Kinder gelehrt hatte, wie man einen Stein bearbeitet. Er sah Weit gierig an. Er hatte eine große Axt in der Hand. Sie war viel zu groß, als dass sie zum Zerteilen von Fleisch geeignet gewesen wäre. Ohne sie aus den Augen zu lassen, drehte er die Axt in den Händen und schärfte eine Kante mit einem Hammer-Stein nach. Dann schabte er damit übers Bein und rasierte den schwarzen Haarflaum ab, der dort wuchs. Und die ganze Zeit betrachtete er Weits Gesicht und Körper. Das halb verschlossene Auge glänzte.

Sie hatte absolut keine Ahnung, was er wollte – bis sie die Erektion aus seinem Schamhaar hervorstechen sah.

Axt war mit der Schneide, an der er arbeitete, fast fertig: Das handtellergroße, grob behauene Objekt war ersichtlich ein funktionales Werkzeug, in ein paar Minuten angefertigt. Als er jedoch sah, was Narben-Gesicht vorhatte, ließ er die Steinaxt zornig fallen. Er stand auf, verstreute die abgeschlagenen Splitter und schlug den Mann gegen die Schulter. »Weg! Weg!«

Narben-Gesicht knurrte ihn an, und der erigierte Penis erschlaffte. Dann entriss Axt ihm die große Show-Axt und warf sie auf den Boden. Ein Teil der schön gearbeiteten Klinge zersplitterte. Narben-Gesicht schaute auf die Axt, auf Weit und ging nach einem letzten bösen Blick auf Axt davon.

Weit saß mit an die Brust gezogenen Beinen da. Sie war verängstigt und verwirrt.

Axt schaute sie an. Dann ging er wieder im trockenen Flussbett auf und ab und prüfte die Steine. Schließlich stieß er auf einen unregelmäßigen vulkanischen Stein, der so schwer war, dass er ihn nur mit beiden Händen anzuheben vermochte. Er setzte sich wieder hin, suchte sich ein paar Hammer-Steine aus und deckte den Schoß mit Buschwerk ab.

Dann schlug er mit aller Kraft auf den Stein. Splitter und ganze Scheiben scherten ab. Dank seines Geschicks und der Kraft kristallisierte sich bald eine tropfenförmige Steinaxt heraus. Nun formte er mit ein paar kleineren Steinen die beiden linsenförmigen Oberflächen und schärfte die Kante zu einer scharfen Klinge.

Der erste Arbeitsgang war einfach gewesen, weil er da einen Stein bearbeitet hatte, der schon die annähernde Form einer Steinaxt besaß. Dieser Stein war jedoch viel schwerer zu bearbeiten. Er hätte sich kaum einer größeren Herausforderung zu stellen vermocht – und er hatte sich ihr bewusst gestellt. Und er sorgte auch dafür, dass er sich vor Weit in Szene setzte.

Die Nomaden-Leute hatten derartige Werkzeuge schon seit zweihunderttausend Jahren gefertigt. In einer so großen Zeitspanne hatten die Äxte den Status bloßer Werkzeuge und der reinen Funktionalität quasi transzendiert.

Für Axt war diese Leistung der Werkzeugfertigung eine Art Werbung. Er versuchte Weit damit von seinen Qualitäten als Paarungsgefährte zu überzeugen. Durch die Herstellung des Werkzeugs demonstrierte er ihr gleichzeitig seine Körperkraft, die Präzision seiner Arbeit, die Klarheit seines Geistes, die Fähigkeit, etwas zu planen und in die Praxis umzusetzen, die Fertigkeit, Rohmaterialien zu finden, die Koordination von Hand und Auge, die räumlichen Fähigkeiten und das Verständnis der Welt um sich herum. Allesamt Eigenschaften, von denen er erwartete, dass sie sie an ihre Nachkommen weitergeben wollte – aus diesem Grund hatten solche Darbietungen eine eigene Logik entwickelt und sich vom reinen Nützlichkeits-Aspekt der Steinäxte losgelöst.

Getrieben von Lust und Sehnsucht fertigten Männer und Jungen Dutzende Steinäxte. Sie arbeiteten stundenlang an einer einzigen Axt und strebten perfekte Symmetrie an. Sie machten winzige Äxte von der Größe eines Daumennagels und klobige Apparate, die man nur mit beiden Händen halten konnte. Sie folgten Axts Beispiel und wählten besonders schwierige Werkstoffe aus, aus denen sie dann Äxte zauberten. Manchmal warfen sie die fertigen Äxte sogar absichtlich weg, nur um ihre Stärke und Fertigkeit zu demonstrieren.

Es war sogar ein Täuschungsmanöver wert, wie Narben-Gesicht es versucht hatte. Das funktionierte zwar nicht immer – die Frauen kamen bald darauf, dass sie die Entstehung der eindrucksvollsten Axt sehen mussten –, doch gelegentlich lohnte es sich, und der Blender bekam eine Chance, seine Gene weiterzugeben.

Diese Verquickung der Werkzeugfertigung mit sexuellem Werben wirkte sich nachhaltig auf die Zukunft aus. Weil ein Mann es sich nicht leisten konnte, Äxte nicht in der Tradition seiner Vorväter zu fertigen, trat ein Stillstand ein. Diese Leute fertigten das immergleiche Werkzeug nach demselben Plan -Millionen Jahre auf mehreren Kontinenten, und das trotz mehrerer Eiszeiten. Sogar die verschiedenen Spezies, die ihnen nachfolgten, bedienten sich der gleichen Technik. Das war eine Kontinuität und Beständigkeit, an die keine Institution und Religion je heranreichen sollte. Nur der Sex vermochte es, die Menschen so stark in den Bann zu ziehen, um eine so lange Stagnation zu bewirken.

Wenn er seine Werkzeuge fertigte, musste Axt in einem gewissen Maß wie ein Mensch denken. Im Gegensatz zum pithecinenartigen ›Haudrauf‹, der den Splitter, den er vom Stein abscherte, in jeder Form und Größe akzeptierte, musste Axt bereits ein Bild des fertigen Gegenstands vor seinem geistigen Auge haben. Er musste die Werkstoffe und Hammer-Steine mit Blick auf dieses Bild auswählen, und er musste systematisch auf sein Ziel hinarbeiten. Doch anders als bei einem Menschen war sein Bewusstsein segmentiert. Axt fertigte seine Werkzeuge wie ein Mensch, aber er warb um Gefährtinnen wie ein Tier.