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Im hinteren Bereich der Hütte arbeiteten Staub und die Frau Grün mit Robbe, Schrei und ein paar Kindern an einer zweiten Feuerstelle. Sie hatten ein paar Steine, aus denen sie Messer und Bohrer herstellten. Damit bereiteten sie die Nahrung zu, die sie im Lauf des Tags im Umkreis von ein paar hundert Metern um die Hütte beschafft hatten. Darunter waren Krustentiere und eine Ratte.

Bald hing dichter Rauch unterm geflochtenen Dach der Hütte. All diese Verrichtungen fanden vor einem Hintergrund aus Grunzen, Gemurmel, Rülpsen und Furzen statt. Es wurde kaum ein Wort gesprochen.

Schrei war eine weitere Überlebende: Sie war das kleine Mädchen, das die Vertreibung aus der alten Siedlung überlebt hatte. Sie war durch diese Erfahrung gezeichnet. Sie hatte immer gekränkelt und ›nah am Wasser gebaut‹. Nun war sie siebzehn und eine erwachsene Frau, und Kieselstein – wie auch Hände und Hyäne – hatten sich schon ein paar Mal mit ihr gepaart. Aber sie war nicht schwanger geworden, und ihr dünner und vergleichsweise zart gebauter Körper hatte Kieselstein kein Vergnügen bereitet.

Es gab ein besonderes ökonomisches Arrangement zwischen diesen Leuten. Männer und Frauen gingen üblicherweise getrennt auf Nahrungssuche und aßen auch getrennt.

Diejenigen, die in der Nähe der Hütte nach Pflanzen, Meeresfrüchten und Kleintieren suchten – meistens Frauen, aber nicht nur –, kochten sie überm Feuer und verspeisten sie mit Werkzeug, das sie aus örtlichen Ressourcen auf die Schnelle herstellten. Diejenigen, die weiter ausschwärmten und auf die Jagd gingen – meistens Männer, aber nicht immer –, verzehrten den Großteil des erbeuteten Fleisches an Ort und Stelle. Nur wenn noch etwas übrig blieb, nahmen sie es mit nach Hause und verteilten es. Die Delikatesse, das Knochenmark, blieb den Jägern vorbehalten, nachdem sie die Knochen in der Hitze des Feuers geknackt hatten.

Daher waren die Frauen in ihrer Eigenschaft als Sammler die Haupt-Ernährer der Gruppe und subventionierten in gewisser Weise die Jagd der Männer. Allerdings bedeutete die Jagd seit jeher mehr als nur Nahrungsbeschaffung. Die Jagdaktivitäten der Männer wiesen immer noch Züge eitler Selbstdarstellung auf. In dieser Hinsicht hatten die Leute seit Weits Zeit keine großen Fortschritte gemacht.

In anderer Hinsicht waren Veränderungen eingetreten. Die Steinwerkzeuge, die die Frauen für die Zubereitung der Nahrung benutzten, waren schwer, doch die Oberflächen und Schneiden wirkten unsauber im Vergleich zu den präzisen Steinäxten, die Axt schon vor über einer Million Jahre zu fertigen vermocht hatte. Doch bei aller Ästhetik war eine Steinaxt für die meisten Aufgaben kaum besser geeignet als ein einfacher scharfkantiger Steinsplitter. In härteren Zeiten hatten Männer und Frauen lernen müssen, bei der Werkzeugfertigung sich möglichst eng an der jeweiligen Aufgabe zu orientieren. Unter diesem Druck hatte man sich vom Diktat der alten Steinaxt-Schablone befreit. Ein mentales ›Tauwetter‹ hatte eingesetzt. Obwohl in manchen Gegenden des Planeten die Steinaxt-Hersteller noch immer mit ihren steinigen Erzeugnissen hausieren gingen, waren dem Erfindungsreichtum und der Vielfalt nun keine Grenzen mehr gesetzt, nachdem der sexuelle Erfolg nicht mehr von der Schönheit steinerner Schneiden abhing.

Allmählich hatte sich eine neue Art der Werkzeugfertigung etabliert. Ein Steinkern wurde so präpariert, dass man mit einem einzigen Hieb einen großen Splitter in der gewünschten Form abzuschlagen vermochte, der dann einer Feinbearbeitung unterzogen wurde. Die Splitter hatten extrem scharfe Kanten, die teilweise am ganzen Umfang nur die Dicke eines Moleküls aufwiesen. Mit den entsprechenden Fertigkeiten vermochte man auf diese Art und Weise eine ganze Werkzeug-Kollektion zu fertigen: Äxte sowieso, aber auch Speerspitzen, Schneiden, Kratzer und Stößel. Es war eine viel effizientere Art der Werkzeugfertigung, auch wenn sie primitiver anmutete.

Zumal diese neue Methode viel mehr kognitive Schritte erforderte als die alte. Man musste in der Lage sein, das richtige Ausgangsmaterial auszuwählen – nicht jeder Stein war gleichermaßen geeignet –, und man musste über eine dynamische Sehfähigkeit verfügen, bei der man nicht nur die Axt im Stein sah, sondern auch die Schneiden, die vom Kern abgeschert wurden.

Nach dem Essen gingen die Leute anderen Verrichtungen nach. Die Frau Grün gerbte ein Stück Antilopenleder, indem sie darauf herumkaute und es zwischen den Zähnen hindurch zog. Sie war eine Expertin im Gerben von Tierhäuten, wovon die verschlissenen und abgebrochenen Zähne kündeten. Die kleineren Kinder wurden nun müde. Sie versammelten sich im Kreis und kämmten sich, wobei sie sich mit den kleinen Händen gegenseitig durchs verfilzte Haar fuhren. Hände versuchte, Hyänes Wunde zu versorgen. Er inspizierte sie unter dem Breiumschlag, roch daran und deckte sie wieder mit dem Umschlag zu.

Staub war erschöpft, wie so oft dieser Tage, und hatte sich schon neben ihrem Feuer hingelegt. Aber sie war wach, und ihre Augen glänzten. Kieselstein verstand. Sie vermisste Plattnase, ihren ›Mann‹.

Die Leute hatten einen Preis für die immer größeren Gehirne ihrer Kinder gezahlt. Kieselstein war bei der Geburt völlig hilflos gewesen. Sein Gehirn musste sich erst noch voll entwickeln, und es lag eine lange Zeit des Wachsens und Lernens vor ihm, bevor er aus eigener Kraft zu überleben vermochte. Die Unterstützung der Großmütter reichte nicht mehr aus. Eine neue Lebensweise musste sich entwickeln.

Eltern mussten ihren Kindern zuliebe zusammenbleiben: Das war zwar noch keine Monogamie, aber schon sehr nah dran. Die Väter hatten gelernt, dass sie zur Sicherheit in der Nähe bleiben mussten, wenn sie ihr genetisches Erbe an künftige Generationen weitergeben wollten. Die Ovulation der Frauen fand nun im Verborgenen statt, und sie waren fast immer empfängnisbereit. Das war eine Verlockung: Wenn ein Mann in die Aufzucht eines Kinds investieren sollte, musste er sich sicher sein, dass es auch wirklich sein Kind war – und wenn er nicht wusste, wann seine Partnerin fruchtbar war, musste er in der Nähe sein, wenn es soweit war.

Aber es beruhte nicht alles auf Zwang. Paare zogen Sex in der Privatsphäre vor, sofern die in einer so engen und kleinen Gemeinschaft überhaupt möglich war. Sex war ein sozialer Kitt geworden, der Paare zusammenhielt. Die gnadenlose Selektion des Pleistozän formte alles, was die Menschheit ausmachen würde. Sogar die Liebe war ein Nebenprodukt der Evolution. Liebe, und der Schmerz des Verlustes.

Aber die Formung war nicht vollständig. Die sprunghafte Unterhaltung in dieser Hütte war nicht viel mehr als Tratsch. Werkzeugfertigung, Nahrungssuche und andere Tätigkeiten waren noch immer vom Bewusstsein abgetrennt und waren in – immerhin großen – Schubladen sortiert. Und sie kämmten sich noch immer wie Menschenaffen.

Sie waren keine Menschen.

Kieselstein war gereizt, unruhig und fühlte sich beengt. Er entriss Robbe eine Scheibe Nashornfleisch, der laut protestierte: »Mir, mir!« Dann setzte er sich allein in den Eingang der Hütte und schaute aufs Meer hinaus.

Sein Blick schweifte über das karge Land, wo die Leute Erbsen-, Bohnen- und Manioksträucher von Unkraut befreit hatten. Und dahinter wurde der Himmel im Norden und Westen von einem Sonnenuntergang angestrahlt, dessen purpurn-rosiges Licht die Flächen seines Gesichts konturierte. Es war ein wundervoller Eiszeit-Sonnenuntergang. Die Gletscher, die die nördlichen Kontinente abschmirgelten, hatten riesige Mengen Staub in die Atmosphäre befördert, sodass das Sonnenlicht von großen Wolken aus gemahlenem Gestein gefiltert wurde.

Kieselstein fühlte sich gefangen wie einer von Robbes Fischen, der am Spinnennetz festklebte.

Ohne sich dessen richtig bewusst zu sein, tastete er den Boden nach einem Gesteinssplitter ab. Als er einen gefunden hatte, der scharf genug war, führte er ihn zum linken Arm – wobei er nach einer Stelle suchen musste, die noch nicht vernarbt war –, presste den Stein gegen das Fleisch und genoss den köstlich prickelnden Schmerz.